Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Streit um Thälmann-Denkmal in Berlin: Der Koloss im Kontext
> Das Thälmann-Denkmal in Pankow ist nun „künstlerisch kommentiert“. Bei
> der Einweihung wurden als Protest alte DDR-Lieder gesungen.
Bild: Thälmann mit roten Fahnen, am Donnerstag bei der Demo
Berlin taz | In Prenzlauer Berg, zwischen Zeiss-Großplanetarium und der
Greifswalder Straße, steht das Ernst-Thälmann-Denkmal. Ein fast 15 Meter
hoher Kopf ragt aus dem Betonboden und schaut streng Richtung Westberlin.
Die alten Scheinwerfer sind schon lange kaputt. Nachts bleibt die
gigantische Bronzebüste heute unbeleuchtet.
Das von Lew Kerbel geschaffene Berliner Denkmal wurde 1986 eingeweiht. 1993
sollte es abgerissen werden. Damals wurde aber befunden, dass der 50 Tonnen
schwere Bronzekopf zu schwer sei, um ihn abzureißen. 2014 wurden die Statue
und das dahinter liegende Areal unter Denkmalschutz gestellt. Doch der
Streit, wie mit dem Monument umzugehen sei, blieb.
Eine Folge: 2019 folgte eine Ausschreibung vom Bezirksamt Pankow zur
„künstlerischen Kommentierung“ des Denkmals. Ziel war, das Denkmal
öffentlich in seinen Kontext zu setzen – und den meistens menschenleeren
Platz zu beleben.
Gewonnen hat die Ausschreibung die Künstlerin Betina Kuntzsch. Am
Donnerstag wurde ihre Arbeit enthüllt. Fünf rote Quader sind um das Denkmal
herum auf dem Platz aufgestellt worden. Dazu ist ein Film entstanden, der
Denkmal, Person und Platz einordnet und beleuchtet. Die 10 Episoden des
Films sind über QR-Code an den Klötzen abrufbar.
## Thälmann war immer umstritten
Zur historischen Einordnung von Thälmann muss man zum Beispiel auch wissen,
dass der KPD-Führer die Sozialfaschismusthese vertrat. Er leitete seine
Partei dazu an, die SPD als größten Feind in der Weimarer Republik zu
betrachten. Laut der Sozialfaschismusthese ist die Sozialdemokratie der
linke Flügel des Faschismus und verhindert den geschlossenen Klassenkampf.
So wurde Thälmann vorgeworfen, die Weimarer Republik durch diese
Positionierung seiner Partei destabilisiert zu haben.
Das Denkmal ist also spätestens seit der Wende umstritten. Nicht nur wegen
der komplizierten Rolle, die Thälmann in der Weimarer Republik spielte,
sondern auch wegen seines Symbolcharakters im sozialistischen Deutschland.
Als 1991 die Leninstatue am heutigen Platz der Vereinten Nationen
abgerissen wurde, dachten viele, dass Thälmann ihm bald folgen würde.
So ging der Enthüllung der „künstlerischen Einordnung“ am Donnerstag auch
eine heftige Debatte voraus. Der „Deutsche Freidenker-Verband e.V.“
bezeichnete das Projekt in einer der taz vorliegenden E-Mail als
„rot-rot-grüne Schändung“ des Denkmals.
Der Protest der Freidenker erinnert dabei im Wortlaut an die
Sozialfaschismusthese, die Thälmann so beeinflusste. Sören Benn, der
Pankower Bezirksbürgermeister von den Linken, und überhaupt alle, die an
der „künstlerischen Einordnung“ beteiligt waren, werden in der E-Mail in
eine Reihe mit der AfD gestellt. Diejenigen, die von „künstlerischer
Einordnung“ sprechen, seien nur die, die zur Erfüllung ihrer Ziele „am
meisten Kreide gefressen“ hätten.
## Gesang gegen Kontextualisierung
Auch am Donnerstag ist der Verband vertreten. Ungefähr 20 BürgerInnen, die
meisten von ihnen aus der Gegend, stellen sich mit erhobenen Fäusten vor
dem Denkmal auf und singen das „Thälmann ist niemals gefallen“, ein Lied
des DDR-Dichters Kuba. Über ihnen wehen KPD-Flaggen und Friedensbanner.
Wolfgang [1][Gehrcke], von 1998 bis 2002 stellvertretender Vorsitzender der
PDS-Bundestagsfraktion, diskutiert heftig mit der Polizei, als diese den
Gesang unterbricht. Der taz sagt er, die „künstlerische Kommentierung“ sei
im Kontext gesehen eindeutig gegen das Denkmal gerichtet.
Trotz der vorausgegangenen Polemik gestaltet sich die Demonstration am
Donnerstag friedlich. Betina Kuntzsch ist erleichtert. Der Gesang stört sie
nicht: „Auseinandersetzung gehört zur Kunst dazu. Das war ja gewissermaßen
das Ziel.“ Die Künstlerin ist selber in dem Viertel aufgewachsen. Sie hat
bereits beim Bau des Denkmals 1986 Fotos gemacht, von denen jetzt viele in
ihre Kurzfilme eingegangen sind. Diese sind einordnend, anregend, aber
eigentlich nicht politisch.
Auch die Enkeltochter des KPD-Führers, Vera Dehle-Thälmann, gefallen die
Filme. Sie findet die Kontextualisierung nicht verkehrt. Für sie ist es
„ein Zeichen, dass das Denkmal bleibt“.
„Die großen Führer, und was – na, was; wird bleiben von denen? Von denen
wird bleiben; dass sie einfach gestürzt wurden“, sang Wolf Biermann Anfang
der Siebziger. Was auf das Lenin-Denkmal am heutigen Platz der Vereinten
Nationen zutraf, trifft auf Thälmann aber nicht zu. Der ermordete
Antifaschist bleibt erhalten. Vielleicht wird sein Platz sogar ein bisschen
einladender, durch die „künstlerische Einordnung“, denn auf den roten
Klötzen kann man nicht nur QR-Codes scannen, sondern auch prächtig sitzen.
19 Nov 2021
## LINKS
[1] /Preisverleihung-fuer-Ken-Jebsen/!5471004
## AUTOREN
Hanno Rehlinger
## TAGS
DDR
Gedenken
Schwerpunkt Ostdeutschland
Denkmäler
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Interview
Schwerpunkt Stadtland
Plattenbau
Denkmal
Denkmal
## ARTIKEL ZUM THEMA
Diebstahl von Bronze-Statuen: Von geplanten und gebauten Thälmann-Monumenten
Berlins Polizei sucht nach einem Bronze-Kopf. Er zeigt Ernst Thälmann und
ist von einer Künstlerin, die lange an einem Mega-Denkmal für ihn
arbeitete.
CDU will Abriss von Thälmann-Denkmal: Betonköpfe in Pankow
Wegen des Ukrainekriegs will die CDU das monumentale Denkmal abreißen. Was
hat der Berliner Kommunist mit Putins Russland zu tun?
Georg Stefan Troller über sein Leben: „Ich darf nicht verzeihen“
Der Autor, Journalist und Filmemacher Georg Stefan Troller hat in seinem
Werk die Möglichkeiten des Menschen ausgelotet. Nun ist er hundert
geworden.
DDR-Denkmal kommt im Heute an: Bronzekopf vor Plattenbau
Der Thälmann-Park war ein Ostberliner Vorzeigeprojekt, doch mit der Zeit
verändert sich der Blick. Eine Künstlerin ordnet das Denkmal nun ein.
Diskussion zu Folgen des Mauerfalls: Platte Vorurteile
Plötzlich war eine Wohnung in der Platte nicht mehr prestigeträchtig,
sondern Getto: Wie gingen und gehen die BewohnerInnen damit um?
Thälmann-Denkmal in Prenzlauer Berg: Kommentar statt Grafitti?
Künstlerischer Wettbewerb für Ernst-Thälmann-Denkmal aus DDR-Zeiten
ausgerufen. Und was ist mit den anderen Denkmalen der Stadt? Ein
Wochenkommentar.
Berliner Ernst-Thälmann-Denkmal: Die erweiterte Faust der Geschichte
Das Bezirksamt Pankow schreibt einen Kunstwettbewerb zur Kommentierung des
Ernst-Thälmann-Denkmals, einem umstrittenen Überbleibsel der DDR, aus.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.