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# taz.de -- Über das Mäßigungsprinzip: Und die angemessene Antwort …
> Wenn ein Ausflug eher einer Flucht gleicht. Unsere Autorin würde sich am
> liebsten mit nichts weiter beschäftigen. Muss es aber doch irgendwie tun.
Bild: Aber dann verlor der Ethiktat das Interesse und entfernte sich in Richtun…
Kürzlich sah ich im Kino einen Film, der sehr schön den Tod meiner Branche
beschreibt, zumindest des Teils, der papiern und glamourös ist. Das Kino
ist in eine ehemalige Schiffsschraubenfabrik hineingebaut, und während
ich die alten Schienen entlangging, dachte ich, dass all dies Trübe
schlüssig war. Da hörte ich den Ethikrat meinen Namen rufen. Der Ethikrat,
das sind drei ältere Herren von geringer Größe, die mir gelegentlich
Hinweise in Sachen praktischer Ethik geben.
Ich tat so, als hätte ich den Ruf nicht gehört, aber der Ratsvorsitzende
nahm darauf keine Rücksicht. „Guten Abend“, sagte er aufgeräumt, „machen
Sie einen Ausflug in die Welt des Films?“. „Ja“, sagte ich lahm, denn es
war eher eine Flucht als ein Ausflug. „Und Sie?“
„Wir haben uns mit dem [1][jüngsten Agentenfilm] vertraut gemacht“, sagte
der Ratsvorsitzende, „schließlich sind auch wir in einem Alter, wo wir uns
mit dem Abschiednehmen befassen.“ Ich schwieg. Die beiden anderen
Ratsmitglieder betrachteten mich interessiert, als sei ich eines der
Bond-Fahrzeuge, das bald Flossen ausfahren würde, aber dann verloren sie
das Interesse und entfernten sich in Richtung des Popcornstands. „Womit
beschäftigen Sie sich derzeit?“, fragte der Vorsitzende und betrachtete
mich forschend.
Ich stockte. Die ehrliche Antwort wäre gewesen, dass ich versuchte, mich
mit nichts zu beschäftigen, weil ich das Ergebnis fürchtete. Aber da fiel
mir ein Leserinnenbrief in meinem Posteingang ein. „Ich frage mich, ob
jeder Brief eine Antwort verdient“, sagte ich. „In gewisser Weise ist er ja
wie eine ausgestreckte Hand, die man ergreifen sollte.“
Tatsächlich war der Brief weniger eine ausgestreckte Hand als eine Polemik
über die Unzulänglichkeit meines Charakters gewesen, genauer meiner
Arroganz, und ein Verweis auf die vorbildliche Haltung der Schreiberin.
## Das alttestamentarische Mäßigungsprinzip
„Ich habe einen Monat darüber nachgedacht, ob ich den Brief beantworten
solle“, sagte ich. „Theoretisch, weil hier jemand eine Birne von meinem
Obststand gekauft hat und sie reklamiert. Praktisch, weil mich jemand
anpöbelt. Wäre es souveräner zu schweigen?“ Im Hintergrund begannen die
beiden Ratsmitglieder die Plakataufsteller zu verschieben, und es dauerte
eine Weile, bis ich begriff, dass sie den Anschlag auf Bond auf einem
italienischen Friedhof nachstellten. Der Ratsvorsitzende betrachtete sie
wohlwollend.
„Sicherlich ist Ihnen das alttestamentarische Mäßigungsprinzip ‚Auge um
Auge‘ geläufig“, begann er, während die Ratsmitglieder Plastikgewehre
zogen, aus denen sie weiße Kugeln feuerten. Ein Irrläufer streifte den
Popcornstand. Die Kinoaufseherin erhob sich.
„Entschuldigen Sie mich“, sagte der Vorsitzende. Ich folgte ihm, aber dann
traf mich eine Kugel. Als ich mich danach bückte, sah ich, dass sie
beschrieben war. „An den Ethikrat“, las ich und faltete sie auseinander.
„Hiermit kündige ich mein Abonnement ‚Der philosophische Hausbesuch‘
zugunsten einer Potenzialanalyse bei einem jüngeren Anbieter. Ich rechne
mit Ihrem Verständnis.“ Ich sah auf und begegnete dem Blick des
Ratsvorsitzenden. Er lächelte.
28 Nov 2021
## LINKS
[1] /James-Bond-007-Keine-Zeit-zu-sterben/!5800669
## AUTOREN
Friederike Gräff
## TAGS
Kolumne Ethikrat
Schwerpunkt Stadtland
Bibel
Philosophie
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Behindertengleichstellungsgesetz
Kolumne Speckgürtelpunks
Schwerpunkt Stadtland
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