# taz.de -- Aktivistin über Gewalt gegen Frauen: „Ein rechtsfreier Raum“ | |
> Familiengerichte halten Gewalt aufrecht, die Mütter durch Kindsväter | |
> erfahren, sagt Stefanie Ponikau. Sie ist Teil der Mütterinitiative für | |
> Alleinerziehende. | |
Bild: Die White Lily Revolution will auf institutionelle Gewalt gegen Frauen un… | |
taz: Frau Ponikau, die Mütterinitiative für Alleinerziehende (MIA) beklagt, | |
dass Mütter, die Gewalt durch den Kindsvater erfahren, nicht genügend | |
geschützt werden. Wie kommt das? | |
Stefanie Ponikau: Aus den Gewaltstatistiken wissen wir, dass die Zeit nach | |
einer Trennung die gefährlichste für eine Frau ist. Es gibt leider viele | |
Beispiele, wo das schiefgegangen ist. Im Familienrecht wird | |
(Ex-)Partnerschaftsgewalt gegen Mütter jedoch häufig einfach außer Acht | |
gelassen. Dem Umgangsrecht der Täter wird somit Vorzug vor dem Gewaltschutz | |
der Frau gegeben. Das ist fortgesetzte Gewalt. Umgangsbeschlüsse | |
funktionieren so letztlich nach dem Trial-and-Error-Prinzip. Also: Mal | |
gucken, bis was passiert. Aber das ist natürlich keine Lösung. Das ist | |
einfach gefährlich. | |
Das zweite Jahr in Folge rufen die MIAs zum [1][Internationalen Tag gegen | |
Gewalt an Frauen] zur „White Lily Revolution“ auf. Was steckt dahinter? | |
Die [2][White Lily Revolution] möchte endlich auf diese institutionelle | |
Gewalt gegen Frauen aufmerksam machen. Gewalt gegen Mütter hat bislang | |
überhaupt keine Plattform. In Medienberichten, die es ab und zu gibt, wird | |
suggeriert, es handele sich dabei um Einzelfälle. Aber das stimmt nicht. Es | |
gibt unzählige Mütter und Kinder, die diesen strukturellen Problemen in der | |
Familiengerichtsbarkeit ausgesetzt sind. In Gerichten selbst, aber auch die | |
Jugendämter spielen bei dem ganzen eine abenteuerliche Rolle. | |
Ist die Rechtslage in Deutschland denn nicht sehr mütterfreundlich? | |
Nein, eben nicht. Frauen erleben vor Gericht oder wenn sie vorm Jugendamt | |
auftreten, sehr viele Wissenslücken. Gerade im Gewaltkontext fehlt die | |
Expertise. Dadurch wird viel missinterpretiert – Gewalt wird | |
bagatellisiert, verharmlost oder überhaupt nicht geglaubt. Körperliche | |
Gewalt ist zumindest häufig nachweisbar, bei psychischer Gewalt sieht das | |
aber schon anders aus. Hinzu kommt das Problem, dass es in aller Regel | |
keine Zeugen gibt. Insofern gilt in dubio pro reo, also im Zweifel für den | |
Angeklagten, was grundsätzlich auch richtig ist. In diesen Fällen ist es | |
aber ein massives Problem. | |
Wieso ist psychische Gewalt derart schwer glaubhaft zu machen? | |
Im Grunde genommen ist es kaum möglich, jemandem, der keine Berührung damit | |
hat, begreiflich zu machen, dass psychische Gewalt ganz klar Gewalt ist. | |
Wenn dann noch grundlegendes Fachwissen fehlt, heißt es schnell: Das bilden | |
Sie sich nur ein. Auch die Vorstellung von Fachkräften, wie sich ein Opfer | |
zu verhalten hat, hat mit der Realität überhaupt nichts zu tun. | |
Wie sieht die denn aus? | |
Es scheint, als gebe es eine Erwartung, dass Opfer immer von Gram gebeugt, | |
weinend, halb zusammenbrechen. So ist es ja nicht. Die Frauen müssen ihren | |
Alltag trotzdem bestehen und sich um die Kinder kümmern. Insofern reißen | |
sich die allermeisten zusammen. Auch in dem Wissen, dass „Schwäche“ ihnen | |
ebenso negativ auslegt wird. Das ist ein ganz, ganz schmaler Grat. | |
Wie wirkt sich das konkret auf die Betroffenen aus? | |
Wir erhalten Meldungen von Frauen, die vor Gerichten regelrecht erpresst | |
werden. Viele haben den Eindruck, das Familiengericht sei ein rechtsfreier | |
Raum. In unserer White Lily Revolution teilen Frauen Erfahrungen, die sie | |
in diesem Zusammenhang machen müssen. Was Betroffene teils an Misogynie | |
erfahren müssen, lässt einem das Blut in den Adern gefrieren. | |
Was sind das für Erfahrungen? | |
Es gibt die absurdesten Sachen. Etwa Fälle, bei denen das Jugendamt von | |
häuslicher Gewalt weiß, die Mutter zur Trennung drängt, verbunden mit der | |
Drohung, dass ohne Trennung vom gewalttätigen Vater eine | |
Kindeswohlgefährdung vorliege und die Kinder in Obhut genommen werden | |
müssten. Für jede Mutter sind die Kinder die Achillesferse, und meistens | |
ist das der Anstoß, dass es dann tatsächlich zur Trennung kommt. Im | |
Nachhinein wird aber so getan, als sei das Problem nun gelöst und die | |
Gewalt einfach verschwunden. Und dann kommt es zu diesen | |
Umgangssituationen, in der die Gewalt weitergeht. Das ist völlig paradox. | |
Was wäre eine Lösung? | |
Grundsätzlich muss erst mal klar sein – und es gibt genug [3][Studien, die | |
das belegen] – dass Gewalt gegen die Mutter immer auch Gewalt gegen das | |
Kind ist. Dieses eklatante Wissen fehlt, das wird einfach nicht beachtet. | |
Wenn Umgang mit einem gewalttätigen Elternteil stattfindet, kommt es, egal | |
ob das begleiteter oder unbegleiteter Umgang ist, mit einer sehr hohen | |
Wahrscheinlichkeit zu einer sekundären Traumatisierung des Kindes. Wenn | |
dann auch noch Kontakt des Täters zur Mutter besteht, was gar nicht anders | |
geht, wenn es irgendeine Art von Umgang gibt, kann das für sie unter | |
Umständen sehr gefährlich werden. | |
Gibt es Instrumente, die Mütter in diesen Situationen schützen können? | |
Seit 2018 gilt in Deutschland [4][die Istanbulkonvention], die wird aber | |
immer noch nicht umgesetzt. Laut letztem Stand gibt es bundesweit drei | |
Urteile, in denen die Istanbulkonvention überhaupt Beachtung findet, die | |
kommen aber nicht aus dem Familiengericht. Eine betroffene Mutter hat uns | |
berichtet, dass sie sich in ihrem Verfahren auf die Istanbulkonvention | |
berief und der Richter sagte: „Ausländisches Recht wird hier nicht | |
angewandt.“ Da fehlen einem wirklich die Worte. Es ist der Auftrag der | |
Bundesregierung, das umzusetzen. Die Istanbulkonvention kann im Grunde wie | |
ein Rezept abgearbeitet werden. Das wäre wirklich ein wirkungsvolles | |
Mittel. | |
Hilft es Betroffenen vor Gericht weiter, wenn Gewaltvorfälle zur Anzeige | |
gebracht wurden? | |
Schwierig. Wie auch bei anderen Gewaltformen gibt es das Problem von | |
Victim-Blaming. Anwälte raten Frauen teils sogar ab, die Gewalt zu | |
thematisieren. Das könnte sonst negative Auswirkungen auf den kompletten | |
Fall haben. Wenn Frauen Kindsväter beschuldigen, steht schnell der Begriff | |
„Bindungsintoleranz“ im Raum, also die Vermutung, dass der Kontakt zum | |
anderen Elternteil abgelehnt wird. Das ist jedoch ein Konstrukt ohne | |
wissenschaftliche Evidenz – im Grunde ein einfaches Mittel, um jede Kritik | |
am anderen Elternteil auszuhebeln. Wer als „bindungsintolerant“ gelabelt | |
wird, gilt als nicht erziehungsfähig. Das kann dann sogar dazu führen, dass | |
die Kinder, ja, verloren gehen. Das geht relativ schnell. | |
25 Nov 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Gewalt-in-der-Partnerschaft/!5813723 | |
[2] https://whitelilyrev.de/ | |
[3] https://irp-cdn.multiscreensite.com/be90064b/files/uploaded/Kinder%20und%20… | |
[4] /Beirat-gegen-sexualisierte-Gewalt/!5805913 | |
## AUTOREN | |
Katja Musafiri | |
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