| # taz.de -- Kunst ganz ohne Hintergrund: Hauptsache, mit Kreide grundiert | |
| > Bucerius-Forum und Kunsthalle Hamburg widmen sich Emil Noldes | |
| > Maltechniken ganz unpolitisch. Sehenswert sind sie trotzdem. | |
| Bild: Melkmädchen, 1903. Das Landleben malte Emil Nolde modern antimodern | |
| HAMBURG taz | Seine Bilder werden geschätzt, ja geliebt, und bringen auf | |
| dem Markt Millionenbeträge. Sie hingen in den Büros von Helmut Schmidt und | |
| Angela Merkel und zierten in Leuchttafeln den Hamburger Jungfernstieg. Aber | |
| er, der sich im Selbstporträt von 1899 rembrandtesk umdunkelt zeigt, muss | |
| ein grässlicher Mensch gewesen sein. | |
| Vom Vater ob seiner Kunstliebe geschlagen, gierte er zeitlebens nach | |
| Anerkennung und [1][verstrickte sich dabei tief in die Widersprüche seines | |
| Jahrhunderts]. Er verstand sich als die Avantgarde einer ganz und gar | |
| deutschen Kunst – und blieb bei der Neufestlegung der deutsch-dänischen | |
| Grenzen durch den Völkerbund 1920 lieber dänischer Staatsbürger. | |
| Er wurde von den Akademien in München und Kopenhagen und den wichtigsten | |
| Kunstschauen des ersten Viertels des 20. Jahrhunderts abgelehnt, blieb im | |
| Wesentlichen Autodidakt und empfand sich umso auserwählter. Er malte nach | |
| einem Erweckungserlebnis christliche Bilder, deren Ausstellung die Kirche | |
| verbot. | |
| Er stritt sich mit Max Liebermann, dem Vorsitzenden der Berliner Secession, | |
| in Kunstdingen und interpretierte das dann rassistisch. Den französischen | |
| Impressionismus verurteilte er als „süßlich“. Als Mitglied der | |
| expressionistischen Künstlervereinigung „Brücke“ gewählt, verließ er di… | |
| nach wenigen Monaten im Streit als zu konform. | |
| ## Ein Fan von Adolf Hitler | |
| Er begleitete als Künstler 1917 sehnsuchtsvoll eine Südsee-Expedition und | |
| stellte die Menschen als wirre, nackte Wilde dar. Er war erklärter | |
| Antisemit, Parteigenosse und trotz seiner modernen Malerei im Kern ein | |
| Opponent der Moderne, doch ließ er sich von seinen reichlichen Einkünften | |
| in Seebüll ein Atelierhaus im Bauhausstil bauen. | |
| Als wesenhaft nordisch-deutscher Maler zum Beispiel durch eine Ausstellung | |
| in der Hamburger Kunsthalle noch 1935 auch von Teilen der NSDAP gelobt und | |
| gesammelt, galt er ab 1937 zu seiner Empörung als „entartet“. Die | |
| beschlagnahmten Bilder erhielt er als dänischer Ausländer zurück. | |
| Dennoch war er bis zu seinem endgültigen Ausschluss samt Berufsverbot | |
| (nicht: Malverbot!) 1941 eines der bestverdienenden Mitglieder der | |
| deutschen Kulturkammer. Er denunzierte andere, wenn es ihm nützlich | |
| erschien. Und er und seine Frau Ada bewunderten und verehrten Adolf Hitler | |
| – zugegebenermaßen wie die Mehrheit der Deutschen. | |
| Schließlich, nach 1945, wurde der, der gern Staatsmaler des Dritten Reichs | |
| geworden wäre, zum Opfer und Helden umdefiniert und nahezu zum Superstar | |
| einer – nun nicht mehr ideologisch antifranzösisch verstandenen – | |
| norddeutschen Kunst. Anders als die perfekten und auch in Frankreich oft | |
| bewunderten Figuren des NS-Bildhauers Arno Breker scheinen Noldes | |
| Wolkenhimmel über der weiten Nordsee und die knallroten Blumenblüten im | |
| nahen Garten seitdem über alle Politik erhaben. | |
| Doch bei den aktuellen Hamburger Nolde-Ausstellungen geht es nicht darum, | |
| wie sehr Nationalismus und massiver Antisemitismus sein Werk beeinflussten, | |
| nicht darum, wie schuldig Wikingerbeschwörungen oder expressiv-überhöhte | |
| Mohnblüten sein könnten. Dabei gibt es auch in den Landschaften und den | |
| scheinbar harmlosen Blumen ein Pathos, in dem etwas dem Faschismus | |
| Verwandtes gesehen werden kann. | |
| Dazu müsste aber akzeptiert werden, dass der deutsche Expressionismus wie | |
| der italienische Futurismus von Künstlerseite eben nicht | |
| links-oppositionell war, sondern oft eine nationale und gewalttätige | |
| Weltsicht vertrat, die einige Zeit als offizieller NS-Stil angedacht war. | |
| Statt solcher Überlegungen analysiert die kleine Studioausstellung | |
| „Meistens grundiere ich mit Kreide“ in der Hamburger Kunsthalle in einem | |
| langjährigen, interdisziplinären Projekt tiefschürfend die angewandten | |
| Maltechniken und im Bucerius-Forum geht es mit kaum bekannten 80, meist | |
| naturalistischen und impressionistischen Bildern um das faszinierende | |
| Frühwerk und dessen vielfältige dänische Einflüsse. | |
| Kunsthistorisch höchst interessant, kann der Bauernsohn Emil Hansen, später | |
| nach seinem nordslesvigschen Geburtsort genannt Nolde, mit naturalistischen | |
| Bildern der Kopenhagener Kanäle und fast romantisch aufgefassten | |
| Bauern-Landschaften sowie impressionistischen Interieurs und verschwommenen | |
| Küstenvisionen als bedeutender dänischer Künstler am Anfang des 20. | |
| Jahrhunderts erfahren werden: ein neuer Baustein der Legende. | |
| ## Auch böse Menschen malen gute Bilder | |
| Neben der bürgerlich-individuellen ist eine überraschende Lesart der hier | |
| in 25 Beispielen aus dänischen Museen präsentierten Rückbindung an die | |
| sanfte dänische Malerei des 19. Jahrhunderts mit ihren | |
| biedermeierlich-familiären Innenräumen und idyllisch verklärten | |
| Landschaften in kaltem Licht, dass danske Hygge und reaktionäre | |
| Heimattümelei sich erstaunlich nahe sind: Die diagonal ins Bild gesetzten | |
| Bauern im Bild „Kornmähen“ von 1900, 1940 noch einmal überarbeitet, hätt… | |
| allerfeinst im Reichsernährungsministerium hängen können. | |
| Künstlerbiografien werden historisch immer unterschiedlich bewertet. Auch | |
| der geniale Caravaggio, immerhin ein erwiesener Mörder, wird ja bewundert, | |
| oder in der Moderne das Macho-Monster Picasso. Es gibt bis heute unabhängig | |
| vom Leben ihrer Autoren höchst intensive, manchmal direkt auf das Gefühl | |
| zielende Bilder. Und bei Nolde ist die Inwertsetzung der norddeutschen | |
| Landschaft und seine in allen Stilepochen beeindruckende Kunst umso | |
| großartiger, je weniger sie ideologisiert wird. | |
| Wird nach den Ursachen der Einstellung Noldes gesucht, ist der | |
| deutsch-dänische Konflikt in der schleswigschen Grenzregion wichtig. Statt | |
| das Vieldeutige zu leben, wurde nach dem Ersten Weltkrieg eine eindeutige | |
| Positionierung gefragt. Aber solchem Druck konnte der selbstverständlich | |
| zweisprachige Nolde mit seiner dänischen Frau Ada nur mit Aggression | |
| antworten. | |
| Was sind einem großen Künstler schon Grenzen, wo es in seinem | |
| Selbstverständnis um die allein durch ihn erneuerte nordische Kunst geht? | |
| Das jüngste Bild in der Ausstellung zeigt 1945 einen blutroten Himmel über | |
| einer sich duckenden grünen Warft – es ist, als ob die Elemente brennen und | |
| sich wie seine fantastischen Monster gegen den stets sich irgendwie in der | |
| Defensive wähnenden Künstler verschworen haben. | |
| Wenn Nolde schon immer wieder gezeigt werden muss, beschert der jetzige | |
| Verweis auf die Kunst des Nordens einige neue Bezüge und Entdeckungen. | |
| Besonders überraschend dabei ist der von Nolde bewunderte | |
| Paul-Gauguin-Freund Jens Ferdinand Willumsen. In jungen Jahren keineswegs | |
| nur ein zurückgezogener Eigenbrötler, sah Nolde dessen Arbeit „Jotunheim“ | |
| bei seinem neunmonatigen Aufenthalt in Paris 1900 auf der Weltausstellung. | |
| Dieses ungewöhnliche symbolistische Gesamtkunstwerk aus Holzschnitzerei, | |
| Emaille und Malerei, die 1893 in der Spiegelung des mythischen Bergs der | |
| Riesen im Wasser bereits zu kubistischen Formen findet, ist allein schon | |
| den Besuch der Ausstellung wert. | |
| 6 Nov 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Hajo Schiff | |
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