# taz.de -- Merkels Abschiedsbesuch in Athen: Man weint ihr keine Träne nach | |
> Für das Gros der Griechen ist die scheidende Bundeskanzlerin der | |
> Inbegriff des rigorosen Sparkurses im letzten Jahrzehnt. Kein einfache | |
> Visite. | |
Bild: Die geschäftsführende Bundeskanzlerin Angela Merkel mit Premierminister… | |
ATHEN taz | Um genau 20:33 Uhr Ortszeit an diesem eher frischen Donnerstag | |
im Oktober fuhr der schwarze Mercedes mit der scheidenden | |
[1][Bundeskanzlerin Angela Merkel] vor den Eingang des modernen | |
Gebäudekomplexes „One Athens“ mit seinen Luxuswohnungen im innerstädtisch… | |
Nobelviertel am Lykabettus, dem Stadtberg Athens, vor. | |
Gastgeber Kyriakos Mitsotakis, seit Juli 2019 griechischer Premier, | |
begrüßte Bundeskanzlerin Angela Merkel coronakonform per Ghetto-Faust und | |
führte sie in seine Privatwohnung in die oberste Etage. Merkel ist nach | |
ihrer ersten Visite 2007 zum vierten Mal in der griechischen Hauptstadt, | |
Mitsotakis der sechste Athener Regierungschef in ihrer auch für die | |
Griechen gefühlten Ewig-Kanzlerschaft. | |
Kein einfacher Besuch: Das Gros der Griechen verzeiht Merkel nicht, dass | |
sie Griechenland ab 2010 innerhalb der EU [2][einen rigorosen Sparkurs mit | |
fatalen ökonomischen und sozialen Folgen auferlegte]. Auf dem Höhepunkt der | |
hiesigen Krise setzten griechische Karikaturisten Angela Merkel in Panzer, | |
zeigten sie mit Lederpeitsche und Hakenkreuzbinde. | |
Mitsotakis und Merkel blieben unter sich. Man habe in dem | |
Vier-Augen-Gespräch eine Bilanz der deutsch-griechischen Beziehungen in | |
Merkels 16 Jahre währender Kanzlerschaft gezogen. Auch der Nachbar Türkei, | |
die Flüchtlingspolitik, die Energiekrise sowie Finanzpolitik in der | |
Eurozone in der Post-Corona-Zeit seien erörtert worden, berichteten | |
griechische Medien. | |
## Präsidentin: Griechenland habe sich „oft alleine gefühlt“ | |
Offenbar ausgiebig: Das Privattreffen der beiden Regierungschefs dauerte | |
gut zwei Stunden – inklusive Abendessen mit kulinarischen Köstlichkeiten | |
aus der Heimat Mitsotakis', der westkretischen Stadt Chania: den Käsesnack | |
„Kaltsounia“ als Vorspeise, zudem Spinatkuchen, anschließend Fisch, grüner | |
Salat und ein griechischer Wein. | |
Am Freitag ging es mit dem offiziellen Programm weiter. Im | |
Präsidentenpalast wurde Merkel von der griechischen Staatspräsidentin | |
Katerina Sakellaropoulou empfangen, in Athen die erste Frau in diesem Amt. | |
Die Griechin lobte Merkel zwar als „Pro-Europäerin“, die sie „mit großer | |
Freude“ begrüße, um dann aber mit Blick auf die Ära Merkel auch den Finger | |
in die Wunde zu legen: Es habe „Momente“ in ihrer Kanzlerschaft gegeben, | |
die „schwierig“ und „voller Anspannungen“ gewesen seien. Griechenland h… | |
sich in der Eurokrise „oft alleine gefühlt“, erinnerte sich Sakellaropoulou | |
mit leicht gesenktem Blick. Merkel nickte. | |
Heute, nach zehn Krisenjahren bis 2019 und dem Ausbruch der Coronapandemie, | |
ist die griechische Wirtschaftsleistung auf dem Stand von Anfang der | |
Nullerjahre. Obgleich auf Druck von Merkel und Co. eine Fülle von Reformen | |
in Athen durchgepeitscht wurden, bleibt die griechische Wirtschaft eine | |
stark konsumbasierte, auf Pump finanzierte Ökonomie – wie bis zum Crash im | |
Frühjahr 2010. | |
## Konflikt mit Türkei und Flüchtlingsfrage nehmen Raum ein | |
Dennoch wollte das griechische Staatsoberhaupt dem Ganzen mit einem | |
Höchstmaß an diplomatischen Geschick umgehend auch etwas Positives | |
abgewinnen. Besagte Schwierigkeiten hätten zum „gegenseitigen Verständnis | |
beigetragen“. Merkel sei eine „bedeutende Politikerin“, fügte | |
Sakellaropoulou hinzu. | |
Gleichwohl: Die Übersetzerin übertrieb an dieser Stelle sehr. Merkel sei | |
von der Gastgeberin angeblich als „großartige Politikerin“ bezeichnet | |
worden. Merkel blickte nach so einem unverhofften Lob sichtlich etwas | |
erstaunt. Dass die meisten Griechen (und Sakellaropoulou) wiederum nicht | |
der deutschen Sprache mächtig sind, verhinderte glücklicherweise | |
Schlimmeres. | |
Was blieb, war der letzte Pflichttermin bei Mitsotakis in dessen Amtssitz | |
„Megaron Maximou“. In der anschließenden Pressekonferenz wurde deutlich, | |
dass die Türkei sowie die Flüchtlingsfrage in den Konsultationen einen | |
größeren Raum eingenommen hatten. | |
Mitsotakis beklagte sich gegenüber Merkel über das Vorgehen Ankaras im | |
Gasstreit im östlichen Mittelmeer. Das zeige sich nicht zuletzt gegenüber | |
Zypern, was sich „leider auf vielen Ebenen häufe“. Ankaras „ständige | |
Provokationen“ seien auch Gegenstand der Gespräche mit Merkel gewesen, so | |
Mitsotakis. „Wir beide sind darüber sehr besorgt“, sagte er. | |
## Illegale Pushbacks lässt Merkel unerwähnt | |
Mitsotakis verurteilte zudem das Vorgehen des belarussischen Machthabers | |
Lukaschenko. Er schleuse gezielt Flüchtlinge und Migranten an die Grenze zu | |
Polen. Dieses Vorgehen sei deckungsgleich mit dem Vorgehen der Türkei, als | |
im März 2020 Tausende Flüchtlinge und Migranten an die griechische | |
Festlandsgrenze zur Türkei kamen. Lukaschenko tue heute nichts anderes als | |
damals der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan, sagte er. Merkel | |
pflichtete dem bei. | |
Fest steht: Der EU-Außenposten Hellas ist vor allem unter Premier | |
Mitsotakis zu einer Festung für Flüchtlinge avanciert, auch mittels | |
illegaler Pushbacks, die in Athen aufgrund erdrückender Indizien | |
unterdessen gar nicht mehr dementiert werden. Die Pushbacks erwähnte Merkel | |
aber nicht mit einer Silbe. Vielmehr lobte sie die Griechen in höchsten | |
Tönen, die beispielsweise Anfang 2020 „Herausragendes“ an ihrer Außengren… | |
(zur Türkei) geleistet hätten. | |
Nach rund 18 Stunden war der Trip der baldigen Altkanzlerin nach Athen | |
vorbei. Die meisten Griechen werden ihr keine Träne nachweinen. | |
30 Oct 2021 | |
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## AUTOREN | |
Ferry Batzoglou | |
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