# taz.de -- Netflix-Dokuserie „Vendetta“: Episch wäre besser gewesen | |
> Auch Mafia-Storys kann man überdramatisieren. Das zeigt die Dokuserie | |
> „Vendetta“ über einen eigentlich spannenden Aspekt sizilianischer | |
> Politik. | |
Bild: Still aus der Netflix-Serie-Vendetta | |
Diesen Herbst waren gefühlt – beziehungsweise über die sozialen Medien | |
geteilt – alle im Urlaub auf [1][Sizilien]. Wenn das dazu beiträgt, die | |
gebeutelte Ökonomie der größten Mittelmeerinsel zu stabilisieren, dann ist | |
das ja nur gut. Bekannt war Sizilien in den letzten Jahrzehnten weniger als | |
Fluchtort vor kalten Nordwinden denn als Heimat der Mafia, der [2][Cosa | |
nostra]; und wenn wiederum eine Dokuserie auf Netflix dazu beiträgt, dieses | |
Bild nicht einfach wegzuwischen, sondern die Linien feiner zu zeichnen, | |
dann ist das ja schon viel. | |
„Vendetta“ erzählt von zwei Menschen, deren Ziel im Leben es immer gewesen | |
ist, Protagonisten zu sein: vom Journalisten Pino Maniaci und der | |
ehemaligen Richterin Silvana Saguto. Ehemalige, weil Saguto aus dem Corps | |
der italienischen Richter und Staatsanwälte (auf Italienisch zusammen | |
„magistrati“) ausgeschlossen worden ist. Sie war eine mächtige Juristin in | |
Palermo, verwaltete die beschlagnahmten Güter der Mafia oder eben Güter, | |
bei denen sie einen solchen Besitz oder eine solche Einflussnahme | |
vermutete. | |
Pino Maniaci wiederum ist ein self-made Anti-Mafia-Journalist, über dessen | |
durchaus trashigen Privatsender [3][Telejato] die taz wiederholt berichtet | |
hat, über Silvana Saguto hingegen noch nie. Maniaci und Saguto liefern sich | |
in der sechsteiligen Serie einen dramatischen Schlagabtausch, der für das | |
Publikum aus dem Norden schnell etwas von Kasperlethater hat – nach dem | |
Motto: Du hast angefangen – nein, du! | |
Das liegt daran, dass die ernsteste Frage der Angelegenheit deutlich zu | |
kurz kommt – nämlich wer auf welche Weise von der Beschlagnahme des | |
Mafiavermögens illegal, aber eben auch formaljuritisch legal profitiert. | |
Eine Kritik, [4][die auch die italienische Diskussion über die | |
Netflix-Produktion prägt.] | |
Dieser Punkt aber wäre entscheidend für echten Wissenstransfer: Follow the | |
money war die Methode der von der Mafia 1992 ermordeten „magistrati“ | |
Giovanni Falcone und Paolo Borselllino, die zusammen mit dem ebenfalls vom | |
Mob ermordeten kommunistischen Politiker Pio La Torre das nach ihm benannte | |
Gesetz durchsetzen, welches die Beschlagnahme erst möglich machte. | |
Wer aber nun diese enormen Vermögen (Geld, Immobilien, Industriebetriebe) | |
verwaltet – und wie die konfiszierten Liegenschaften zum Nutzen der | |
Gemeinschaft betrieben werden können, ist ein riesiges Problem. Darüber | |
stolpert Richterin Saguto. Wer sie stolpern lässt, ist Journalist Maniaci, | |
der wiederum ganz andere Probleme hat, die er auf typisch derbe Art | |
zusammenfasst: „Wenn man gern fickt, kann man dann nicht mehr anti Mafia | |
sein?“ | |
Maniaci ist privat kein Saubermann, sondern einer, der, wie sein Anwalt | |
sagt, auch ein kleiner Gauner hätte werden können, wenn ihn sein Ego nicht | |
nach vorne, in die Öffentlichkeit gepeitscht hätte. Man muss sich also die | |
Rosinen rauspicken, bei „Vendetta“, aus dem Dramatischen eher das Epische | |
ziehen. Nämlich die lange Geschichte des sizilianischen Freiheitskampfs, | |
mit all seinen Irrungen, grauenhaften Tragödien, Farcen und endlosen | |
Prozessen. Hinfahren will man danach weiterhin. Womöglich bloß mit einem | |
wacheren Blick. | |
25 Oct 2021 | |
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[4] https://www.editorialedomani.it/fatti/pino-maniaci-telejato-silvana-saguto-… | |
## AUTOREN | |
Ambros Waibel | |
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