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# taz.de -- Neue Staffel von „Streetphilosophy“: Fragen aus dem Nichts
> Für Deutschlands Jugend hat Religion ausgedient und Politik keine
> Antworten parat. Was treibt sie dann um? Jan Kawelke will es wissen.
Bild: Jan Kawelke im Gespräch mit der Künstlerin Atusa Jafari
Ein Mann steht auf dem Dach [1][des rbb-Fernsehzentrums] und schaut über
Berlin. Die Offstimme spricht nachdenklich über sein schwarz-weißes Bild:
„Wenn man von oben auf diese Stadt schaut, wirkt es ja schon so, dass
irgendetwas hinter den Kulissen die Dinge ordnet, ihnen einen tieferen Sinn
gibt.“ Die Einstiegsszene gibt vor, wie man in dieser neuen Folge von
„Streetphilosophy“ über die wichtigen Fragen des Lebens nachdenkt. Sehr
getragen. Und etwas zu verkrampft.
[2][„Streetphilosophy“ ist eine Sendung auf Arte], die den „Spirit“ der
Mittzwanziger einfangen will. Bisher moderierten die Journalistin Ronja von
Rönne und der Schauspieler Jonas Bosslet. Der junge Mann auf dem Dach heißt
Jan Kawelke, er ist Musikjournalist und Rapper. Als Bosslets Nachfolger
moderiert er mit von Rönne im Wechsel die neue Staffel. Als Host des
„Machiavelli“-Podcasts über Rap und Politik vom WDR scheint er perfekt für
das Konzept von „Streetphilosophy“ geeignet zu sein.
Es ist nämlich ein Angebot für Leute, die sich gleichzeitig für Nietzsche
und Bonez MC interessieren, oder wie die Sendung selbst sagt: Man will
existenzielle Fragen „vom Denkerstübchen raus auf die Straßen von Kreuzberg
und Neukölln“ holen. Wäre das Konzept von „Streetphilosophy“ ein Mensch,
wäre es ein Geisteswissenschaftsstudent, der sich in der Kneipe
herüberbeugt und erklärt, warum Feierngehen und Drogennehmen etwas
Religiöses sein kann.
Das Thema der ersten Folge mit Jan Kawelke heißt „Esoterik: Stell Dich dem
Übernatürlichen!“. Noch immer nachdenklich auf dem Dach stehend, fragt er:
„Woher kommt unsere Sehnsucht nach Göttern, Geistern, Engeln und Energien?
Ist das Esoterik oder ist da etwas dran, dass mein Leben vom
Übernatürlichen beherrscht wird?“
## Antworten unerwünscht
Das Problem: Im Laufe der Sendung bekommt man den Eindruck, dass Kawelke
die Fragen gar nicht unbedingt beantworten will. Als eine
Feng-Shui-Beraterin erklärt, wo überall im Raum graue Wolken schlechter
Energie hängen, wirkt Kawelke so, als versuche er, nicht loszukichern. Beim
Currywurstessen erklärt ein Philosoph, dass der Begriff „Esoterik“
wahrscheinlich auf Aristoteles zurückgeht und dass der damit wohl seinen
Lehrer Platon beschrieb. Kawelke: „Ach krass, okay.“
Ein Künstler, der virtuelle Engel erschafft, die man durch eine VR-Brille
sehen kann, liefert die schrägsten Kommentare: Er spricht vom „allsehenden
Kommetenauge“ und sagt, er wolle „Rodins Höllentor updaten“. Kawelke ste…
etwas verlegen daneben und kommentiert lieber wieder in der Offstimme: „Im
Gegensatz zur Engelsanbetung kann ich mir beim Internet sicher sein, dass
es funktioniert.“
Kawelke trägt bei seinen Moderationen philosophisch dick auf, wirkt im
Beisein seiner Protagonist:innen aber etwas unbeteiligt. Man glaubt ihm
die Begeisterung für das Übernatürliche und für die (zugegeben
exzentrischen) Menschen nicht.
Ronja von Rönne strahlt in ihren Folgen so viel Begeisterung aus, dass es
die Sendung auch über eher plätschernde Passagen trägt. In der Folge
„Faulheit: Mach mal nix!“ ist sie im Altersheim zu Besuch, angelt mit einem
Streetfischer in der Spree oder isst mit einem Beinahe-Fußballprofi Chips –
und hat eine tolle Zeit. Selbst als sie mit einem Comiczeichner bei 10 Grad
und Wind im Strandbad Wannsee einen Campingtisch aufbauen muss, scheint von
Rönne nirgendwo anders lieber sein zu wollen.
## Moderne Hexe
In von Rönnes Folge „Nimm’s mit Humor“ bekommt sie die Aufgabe, einen
Stand-up-Auftritt vorzubereiten und zu performen. Dabei kommt sie zu dem
Schluss: Am besten kommt man beim Publikum an, wenn man statt andere sich
selbst verarscht. Wenn man aufhört, sich über seine Schwächen zu ärgern,
und anfängt, sich über sie lustig zu machen. Diese Fähigkeit von Rönnes,
loszulassen, ist der Grund, warum ihre Moderation bei „Streetphilosophy“ so
mitreißt.
Auch [3][Kawelkes Esoterikfolge hat ihre Momente]: Vor allem, als er eine
„modern witch“, eine „moderne Hexe“, besucht und sich von der
Volltätowierten Tarotkarten legen lässt. Zwischen Gesprächen über Altare
und Spiritualität fragt Kawelke aus dem Nichts, was man denn als Hexe bei
der Steuer angebe. „Beim Finanzamt bin ich als Kreativcoach gemeldet“,
antwortet sie, „aber ich würde gerne als Magierin in die KSK aufgenommen
werden.“ Manchmal ist auch eine sachliche Herangehensweise gar nicht so
übel.
9 Nov 2021
## LINKS
[1] /RBB/!t5010099
[2] https://www.arte.tv/de/videos/RC-014424/streetphilosophy/
[3] /Esoterik/!t5014682
## AUTOREN
Emeli Glaser
## TAGS
Jugend
Arte
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Philosophie
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