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# taz.de -- Umgang mit Corona-Leugner:innen: Keine Zeit mehr für Rücksicht
> Das Wochenende hat erneut gezeigt: Die Gewalt der Corona-Leugner:innen
> ist nicht zu unterschätzen. Es braucht endlich ein strategisches
> Vorgehen.
Bild: Es gab mehrere Übergriffe bei der Querdenken-Demo am Samstag in Leipzig
Wie viele andere bin ich in der Pandemie zur Maskenwächterin geworden.
Manchmal reichte ein strenger Blick mit hochgezogenen Augenbrauen, manchmal
brauchte es ein Deuten auf die Maske oder eine Bitte, damit das Gegenüber
in der Bahn oder im Supermarkt die Maske (richtig) aufzieht. Mittlerweile
habe ich damit aufgehört. Aus Resignation: Bei all den Maskenmuffeln käme
man ja aus dem Augenbrauenhochziehen gar nicht mehr raus. Und sicherlich
hat auch der [1][Mord in Idar-Oberstein] etwas damit zu tun.
Im September war dort der 20-jährige Alexander W. in einer Tankstelle
erschossen worden. Auslöser war, dass der Täter beim Kauf eines
Sechserpacks Bier vom Tankstellenwart W. aufgefordert wurde, eine Maske zu
tragen. Gegenüber der Polizei sagte der 49-Jährige später, er habe „ein
Zeichen“ gegen die Coronapolitik setzen wollen.
Dieser Mord ist ein Extremfall, doch er hat die Angst gegenüber den
Querdenker:innen verstärkt. Auch Beleidigungen und tätliche Angriffe
will niemand erleben, der seine Mitbürger:innen lediglich an ein
solidarisches Verhalten in einer Pandemie erinnern möchte.
Wie viele Straftaten es im Zusammenhang mit der Coronapandemie in den
letzten 20 Monaten gegeben hat, ist nicht bekannt. Für 2020 hat das BKA
bislang Zahlen veröffentlicht: 3.559 politisch motivierte Straftaten „im
thematischen Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie“ sind dort statistisch
erfasst worden. Bis die Zahlen für 2021 veröffentlicht werden, wird es etwa
ein halbes Jahr dauern. Klar ist, dass die Bedrohungslage durch
Corona-Leugner:innen in letzter Zeit gestiegen ist.
## Angriffe an der Tagesordnung
Auch der Präsident des thüringischen Verfassungsschutzes, Stephan Kramer,
warnte am Wochenende vor einer zunehmenden Radikalisierung der Szene.
„Pöbeleien, Beleidigungen, tätliche Angriffe und ultraaggressives
Verhalten“ ständen mittlerweile [2][bundesweit an der Tagesordnung, sagte
er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland].
Das Problem ist, dass uns bislang gesellschaftlich und politisch ein
entschiedenes Vorgehen dagegen fehlt. Stattdessen lassen wir uns von einer
im Vergleich zur Gesamtgesellschaft eher kleinen Gruppe einschränken. Aus
Angst vor möglichen Aggressionen weisen wir Menschen nicht mehr darauf hin,
wenn sie sich nicht an die Infektionsschutzgesetze halten und damit
rücksichtslos agieren, sondern verlassen lieber selbst das Abteil.
Es wird immer noch enorm viel Rücksicht auf die Leugner:innen genommen.
Nicht selten wird in Diskussionen über eine mögliche Impfpflicht für
bestimmte Berufsgruppen oder die flächendeckende Einführung einer
2G-Regelung auf die Corona-Leugner:innen verwiesen. Man wolle ja keine
weitere Radikalisierung befeuern, heißt es dann.
Und nicht nur das: Noch immer wird den Leugner:innen medial eine große
Bühne gegeben. Und es ist noch nicht lange her, da [3][posierten
Politiker:innen im Wahlkampf mit Querdenker:innen]. Natürlich ist
nicht jede Person, die Coronamaßnahmen infrage stellt oder eine kritische
Haltung zum Impfen hat, gewalttätig. Doch auch diese Menschen nähren den
Boden für eine immer radikaler werdende Corona-Leugner:innenszene.
## Erfurt, Leipzig – und ganz Deutschland
Wer sich allein die Nachrichten des vergangenen Wochenendes durchliest,
sollte sich fragen, wie viel Rücksicht wir noch auf diese Menschen nehmen
wollen. Oder ob es nicht langsam mal an der Zeit ist, dass Politik,
Sicherheitsbehörden und Zivilgesellschaft ein konsequentes Vorgehen gegen
die Leugner:innen an den Tag legen.
Am Samstagmorgen hatte ein 19-Jähriger in einer Straßenbahn in Erfurt einen
zusteigenden Fahrgast auf die Maskenpflicht aufmerksam gemacht. Der
Angesprochene schlug dem jungen Mann daraufhin mit der Faust ins Gesicht
und beleidigte ihn rassistisch.
Wenige Stunden später startete die Querdenken-Demo in Leipzig. Dort wurde
ein Reporter von einem der Demonstranten angegriffen, auf den Boden
geworfen und mehrmals geschlagen. Zudem gibt es Berichte von Angriffen mit
Stühlen oder Fäusten auf die Polizei. Einem Polizisten soll mit dem Tod
gedroht worden sein. Insgesamt wurden am Ende des Tages 30
Ermittlungsverfahren eingeleitet wegen Sachbeschädigung, Körperverletzung,
Landfriedensbruch sowie Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte.
Am selben Tag kam ein Hilferuf von Vertreter:innen von
Medizinerverbänden: Sie berichten der Frankfurter Allgemeinen
Sonntagszeitung (FAS) von immer mehr Attacken auf Ärzt:innen, verübt von
Corona-Leugner:innen und Impfgegner:innen. Dabei geht es um verleumderische
Bewertungen im Netz, Beschimpfungen, Morddrohungen und das Veröffentlichen
von Privatadressen impfender Ärzt:innen im Netz. Hinzu kommen vermehrte
[4][Angriffe auf Impfzentren] oder Arztpraxen. Wie viele Ärzt:innen von
den Bedrohungen und Angriffen betroffen sind, ist bislang nicht bekannt.
Und auch das ist skandalös: Wir wissen, die Gewalt, die von
Corona-Leugner:innen ausgeht, ist alltäglich. Doch das konkrete Ausmaß ist
weiterhin unbekannt. Denn nicht nur Ärzt:innen und Pflegekräfte sind
bedroht und fühlen sich teilweise alleingelassen. Journalist:innen
kritisieren zu wenig Schutz – gerade auf Querdenker-Demos. Auch
Kassierer:innen, Friseur:innen, Politiker:innen oder Menschen aus
der Gastrobranche berichten immer wieder von einer Bedrohungslage.
Hier valide Daten zu erheben und daraufhin eine passende Strategie zum
Schutz dieser Menschen zu entwickeln, sollte jetzt höchste Priorität von
Zivilgesellschaft und Politik sein. Diese Strategie startet am besten
heute.
8 Nov 2021
## LINKS
[1] /Toedlicher-Angriff-in-Idar-Oberstein/!5803339
[2] https://www.rnd.de/politik/leipzig-querdenker-mit-demo-warnung-vor-radikali…
[3] https://www.rundschau-online.de/news/politik/bundestagswahl2021/-hetze-fueh…
[4] /Aktuelle-Nachrichten-in-der-Coronakrise/!5803561
## AUTOREN
Carolina Schwarz
## TAGS
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