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# taz.de -- Präsidentschaftswahl in Frankreich: Ein plumper Reaktionär
> Im Frühjahr wählt Frankreich. Éric Zemmour könnte dabei sogar Marine Le
> Pen rechts überholen. Seit Jahren verbreitet er Rassismus in Talkshows.
Bild: Rechter Scharfmacher mit Ambitionen: Éric Zemmour
Paris taz | Éric Zemmour ist zwar noch gar nicht Kandidat der französischen
Präsidentschaftswahlen im April 2022, und doch unverkennbar im
Wahlkampfmodus. Die Fans des Ex-Journalisten bezahlen Eintritt für seine
propagandistischen Veranstaltungen, wo er seine Bestsellerbücher über den
angeblich drohenden Niedergang Frankreichs signiert, vor dem er seine
Landsleute retten wolle. Das demagogische Rezept ist von einer geradezu
beschämenden Simplizität und funktioniert trotzdem – oder gerade deshalb.
Die französischen Medien haben den Provokateur in der Vorwahlperiode zu
ihrem Hauptthema gemacht. Seit Wochen grinst er von den Frontseiten der
Magazine, die sich mit dem „Phänomen Zemmour“ auseinandersetzen. Das
[1][rechte Medienimperium des Milliardärs Vincent Bolloré] möchte ihn an
die Staatsspitze hieven, wie dies einst Fox News in den USA mit Donald
Trump gelungen war.
Zemmour kann als Medienprodukt des Fernsehsenders CNews gesehen werden, wo
er mit einem gewissen Redetalent und einer Unverfrorenheit ohne gleichen
seit Jahren gegen Multikulti und Antirassismus hetzen durfte. Bis vor
Kurzem hatte Zemmour auf CNews mit einer täglichen Sendezeit eine Bühne als
Hauptdarsteller seiner selbst.
Eine kritische Biografie mit dem Titel „Le Radicalisé“ (Der Radikalisierte)
von Étienne Girard schildert in sehr anschaulicher Weise, wie es kommen
konnte, dass dieser zunächst unscheinbare Journalist in die Rolle eines
französischen Trump schlüpfen konnte. Zum einen stellte der Autor in
Frankreich eine politische Marktlücke fest. Aber auch die
Familiengeschichte erkläre einiges.
## Extrem rechte Rhetorik
Zemmour kam 1958 in einem Pariser Vorort als Sohn einer aus Algerien nach
Frankreich emigrierten jüdischen Familie auf die Welt. Das war vor dem
[2][Ende des Kolonialkrieg jenseits des Mittelmeers]. Nach seinem
Politologiestudium scheiterte er zwei Mal an der Aufnahmeprüfung der
Pariser Verwaltungshochschule ENA, der Kaderschmiede der französischen
Elite.
Später setzte er alles daran, dass seine heutige Kommunikationsberaterin,
die allgegenwärtige Sarah Knafo, schließlich an der ENA studieren konnte.
Die 28-Jährige ist heute seine rechte Hand, und nach Darstellung der
Klatschpresse, die intime Fotos publizierte, sogar weit mehr. Nach Ansicht
von Medien wie Libération habe sie das Phänomen Zemmour erst geschaffen und
würde ihn nun zu einer Präsidentschaftskandidatur drängen.
Statt in politische Spitzenpositionen vorzustoßen, musste sich Zemmour
lange Zeit mit Jobs in Zeitungsredaktionen begnügen, wo er nicht immer als
Starjournalist galt. Sein Talent als schlagfertiger Provokateur entfaltete
er erst später in Fernseh-Talkrunden, wo es einzig und allein darum geht,
mit Äußerungen zu schockieren und so ein am Spektakel interessiertes
Publikum anzuziehen.
Seit etwa 2010 geht Zemmour, der aus seiner Sympathie mit der extremen
Rechten kaum einen Hehl macht, in seiner Polemik immer weiter. So
behauptete er, Marschall Pétain, der Chef der faschistischen Kollaboration
mit den nationalsozialistischen Besetzern, habe die „französischen Juden
gerettet“, indem er die ausländischen Juden deportieren ließ. Mit dieser
historisch unhaltbaren Äußerung hat Zemmour nicht nur die jüdische
Gemeinschaft vor den Kopf gestoßen.
Über eingereiste Minderjährige ohne Familie sagte er: „Diese Jugendlichen,
wie der Rest der Migranten, haben hier nichts zu suchen. Das sind Diebe,
Mörder, Vergewaltiger. […] Man muss sie zurückschicken.“
## Sexist mit einem Herz für Putin
Einige Fernsehsender haben mittlerweile ihre Zusammenarbeit mit Zemmour
gekündigt. Er wurde mehrfach wegen gehässiger Äußerungen angeklagt und in
zwei Fällen auch letztinstanzlich verurteilt, nachdem er die Prozesse bis
zum Kassationsgericht gezogen hatte. Wegen dieser Vorstrafe ist derzeit
unklar, ob Zemmour überhaupt bei der Präsidentschaftswahl kandidieren kann.
Einen Antrag, der die Kandidatur verhindern soll, hat jetzt der Parteichef
der französischen Kommunisten, Fabien Roussel, in der Nationalversammlung
eingereicht.
Auch in seiner Rolle als sexistischer Macho gefällt sich Zemmour. In seinen
Büchern „Le premier sexe“ (Das erste Geschlecht) und „Le suicide frança…
(Der französische Suizid) skizziert er einen durch die „Feminisierung der
Gesellschaft“ provozierten Geschlechterkrieg, der Frankreich mit einer
„Entmannung“ bedrohe. Mindestens fünf Frauen beschuldigen ihn der
„sexuellen Aggression“.
Weniger bekannt sind in Frankreich Zemmours prorussische Einstellungen. Die
Times aber konstatiert hier eine wachsende Gegenliebe: „Moskau setzt in
Frankreich (bei den Präsidentschaftswahlen) auf ein neues Pferd“, weil das
Regime des russischen Präsidenten Wladimir Putins die nationalistische
Einstellung Zemmours und dessen Wunschvorstellung einer Allianz mit
Frankreich und Deutschland gegen die Angelsachsen teile.
Egal ob die französische Öffentlichkeit über Drogenprobleme, Kriminalität
oder Terrorismus diskutiert – stets will Zemmour die Immigration,
insbesondere von Muslimen, als Ursache erkennen. Sie seien für die
französische Republik nicht integrierbar.
Und er hat eine weitere Obsession: Dass gemäß der Theorie des Grand
Remplacement von Renaud Camus in absehbarer Zukunft die aus Afrika
Eingewanderten die weißen Einheimischen in der Bevölkerung Frankreichs
mehrheitlich „ersetzen“ würden.
## Politische Debatten in Frankreich verpestet
Mit einem derart abgestandenen Rassismus Schlagzeilen zu machen und als
Präsidentschaftskandidat glaubwürdig zu werden, ist tatsächlich
bemerkenswert. Laut letzten Umfragen würde Zemmour derzeit bei Wahlen als
Zweiter 17 Prozent erzielen und könnte damit in der Stichwahl gegen
Amtsinhaber Emmanuel Macron antreten.
Ob Zemmour wirklich kandidiert, ist noch unklar. Doch er verbreitet schon
jetzt Schrecken. [3][Marine Le Pen vom rechtsextremen Rassemblement
National] muss befürchten, dass er sie rechts überholt, sie damit kostbare
Stimmen kostet – laut einer Studie mehr als 40 Prozent ihrer Wählerschaft –
und ihr womöglich die Qualifikation für das Finale gegen Macron raubt. Auch
die Konservativen könnten einen Teil ihrer Wählerschaft, die sich von
Zemmours rassistischer und antimuslimischer Rhetorik beeindrucken lässt,
verlieren.
Dass Zemmour zum nächsten Präsidenten Frankreich gewählt wird, halten die
allermeisten Politologen für unwahrscheinlich. Trotzdem bestimmt der Rummel
um seine Persönlichkeit und die damit verbundenen reaktionären und
nationalistischen Parolen bis auf Weiteres die politische Debatte im Land.
9 Nov 2021
## LINKS
[1] /Neuer-Vivendi-Grossaktionaer/!5800469
[2] /Spannungen-zwischen-Algier-und-Paris/!5801294
[3] /Wahlkampfauftakt-in-Frankreich/!5800149
## AUTOREN
Rudolf Balmer
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