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# taz.de -- Radikalisierung der Klimabewegung: RWE auf die Fresse hauen?
> Ist für die Klimabewegung jetzt die Zeit gekommen, für mehr zivilen
> Ungehorsam? Die Politik macht nicht mit, also mehr Bagger und Wälder
> blockieren?
Bild: Der Ernst der Lage fordert mehr, Demos alleine reichen nicht aus
Es ist der Samstagabend vor dem neunten globalen Klimastreik. Zweieinhalb
Jahre sind vergangen, seit den ersten weltweiten Protesten. Ich laufe über
die leere Wiese vor dem Kanzler:innenamt auf der Suche nach
Aktivist:innen. Vor zwei Jahren campierten hier hunderte von Menschen,
forderten eine gerechte Klimapolitik, ja überhaupt erst einmal
Klimapolitik. Manche von ihnen gingen tagsüber zur Schule und verbrachten
die Nacht hier. Bis die Politik endlich der Krise Beachtung schenkt.
Heute widerspricht kaum jemand mehr der Notwendigkeit von Klimaschutz. Das
„Klimagerechtigkeitscamp“ finde ich weit weg vom Kanzler:innenamt, auf der
Wiese hinter dem Haus der Kulturen der Welt. Verdrängt? Versteckt?
Vergessen?
Zwei Jahre – für ein:e Politiker:in gerade einmal genug Zeit, sich zu
überlegen, dass es das Beste ist, sich doch erstmal auf jeden Fall zum
Klimaschutz zu bekennen. Das „wie“ kann ja zunächst einmal aufgeschoben
werden. Für ein:e 16 Jährige:n GenZ sind zwei Jahre jedoch die halbe
Jugend. Verbracht mit Lockdown und sehr viele unter ihnen politisiert durch
Fridays for Future. Es sind zwei Jahre weniger für einen korrekten Umgang
mit der Klimakrise. Keine Möglichkeit, zur Wahl zu gehen. Und eine schwache
Prognose im Moment für die Zukunft.
Ein paar leere Zelte stehen auf der Wiese, ein DJ legt auf und ein paar
Leute bewegen sich zu seiner Musik. Viele seien gerade damit beschäftigt,
den Streik und die Aktionstage für das nächste Wochenende vorzubereiten,
erklärt eine Aktivistin. Es ist auf jeden Fall kalt und Bier gibt es auch
nicht. „Wir bleiben, bis ihr handelt“, verspricht ein Plakat. Doch es sieht
verblasst aus. Fast so, als würde man schon sehr lange bleiben und es hätte
trotzdem niemand gehandelt.
## Einfach mal selbst handeln?
Sollte man nicht einfach selbst mal anfangen, zu handeln? Ja, wir brauchen
mehr zivilen Ungehorsam, bekomme ich als Antwort. Die Basis bei Fridays for
Future (FFF) spreche sich auch schon länger dafür aus, aber einige wenige
„ganz oben“ verhindern dies. Ganz oben? Ist das noch die basisdemokratische
Graswurzelbewegung von vor zwei Jahren? Oder spricht da einfach nur der
Frust aus ein paar Aktivist:innen?
„FFF war für viele wie eine Einstiegsdroge, hat uns für das Thema
sensibilisiert“, erzählt eine Aktivistin beim Klimacamp. Das Demonstrieren
reiche aber nicht mehr aus. Sie möchte jedenfalls, dass man radikaler
vorgeht. Obwohl es ihr schwergefallen sei, sei sie ausgestiegen. Und sie
ist nicht die einzige. Ich bekomme einige Kontakte vermittelt. Sie sind
alle bereit, zu telefonieren, wollen aber anonym bleiben.
Ja, FFF und Großdemos seien schon wichtig, denn sie machen erst mal das
Problem für alle sichtbar … und klar, wir brauchen die breite Unterstützung
aus der Gesellschaft … das darf nicht vergessen werden. Aber dann gibt es
da auch zu wenig Positionierung gegen Sexismus und gegen Kapitalismus bei
FFF. Und aufkommende hierarchische Strukturen. Deswegen seien sie gegangen.
Aber es ist vor allem eins, was die FFF-Aussteiger:innen vereint: sie alle
wollen mehr Druck ausüben.
## Die Gegner:innen der Klimabewegung
Der Hinweis auf fehlenden Klimaschutz ist jetzt in der Gesellschaft
angekommen. Doch das reicht nicht. Ist das alles, was von Fridays for
Future zu erwarten war? Vielleicht kann die Klimabewegung ja nicht mehr
erreichen als diese Aufmerksamkeit. Doch immer wieder fällt das scheinbar
magische Schlüsselwort: ziviler Ungehorsam.
Ziviler Ungehorsam also für das Klima? Ich muss an Rosa Parks denken, die
im Bus ihren Sitzplatz nicht für eine weiße Person freimachte und eine
Bürgerrechtsbewegung auslöste. Oder Gandhi mit seinem Salzmarsch und der
späteren Unabhängigkeit Indiens. Doch wer sind die Gegner der
Klimabewegung? Die Autofahrer:innen, die bei Straßenblockaden daran
gehindert werden, pünktlich zur Arbeit zu kommen? Nein, das sei keine
sinnvolle Lösung. FDP-Chef Christian Lindner, der auf den FFF-Sprechgesang
„Unsere Zukunft ist nicht verhandelbar“ mit einem knappen „Doch“ reagie…
Wohl eher.
Dabei ist es doch die Zusammenarbeit der Ampel-Politiker:innen, die gerade
jetzt gebraucht wird, damit Klimapolitik endlich vorankommt. Was bleibt uns
denn sonst? Waldbesetzungen, Blockaden vor der IAA, Sabotagen, die RWE für
wenigstens ein paar Stunden lahmlegen. Das seien die Aktionen, die die
Aufmerksamkeit erregen, die wir brauchen. Die auch die Großkonzerne unter
Druck setzen. Engagement bei Organisationen wie Ende Gelände oder Sand im
Getriebe. Das braucht es jetzt.
Aber was ist dann mit der breiten Mitte der Gesellschaft? Und ist nicht ein
bisschen Klimaschutz besser als keiner und dafür das kompromisslose
Bestehen auf antikapitalistische Klimagerechtigkeit? Macht sich der
Großkonzernbesitzer wirklich mehr über den Klimawandel Gedanken, wenn ein
paar Menschen seine Bagger blockieren? Und finden das die Leute vor dem
Fernsehen wirklich gut, wenn sie sehen, dass wieder Geld für
Polizeieinsätze draufging, um ein paar „Ökos“ von den Bäumen runterzuhol…
Die subversiven Aktivist:innen halten daran fest.
## Die Zukunft nicht aufgeben
Nein, es sei nicht aus einer Hoffnungslosigkeit heraus, dass sie Bagger und
Wälder besetzten, sondern weil es etwas ändert. Und etwas sagt mir, aus
eigener Erfahrung, dass es durchaus zusätzlich auch psychologisch guttut,
seinen Frust gegen Polizei und Großkonzerne zu richten. Auch, wenn das
nicht dein Hauptbeweggründe sein muss. Das erklärt, warum der Wunsch nach
Radikalisierung existiert und danach mehr zu tun als nur Parolen auf der
Wiese vor dem Reichstag zu schreien. Eine konkrete Aktion, die etwas
geändert habe, gibt es zumindest (noch) nicht.
Ein radikaleres FFF wird es wohl auch nicht geben. Obwohl wir erst am
Freitag beim Klimastreik sehen werden, ob sie etwa doch zu zivilen
Ungehorsam tendieren, bekomme ich aus den „oberen Riegen“ gesagt. Nichts
steht fest. Außer, dass es doch viele junge Menschen gibt, die ihre Zukunft
nicht aufgegeben haben. Die sich nicht abtun lassen. Die nicht nur bleiben,
bis gehandelt wird, sondern direkt handeln wollen, bis gehandelt wird.
Doch die Zeit wird knapp, die Ergebnisse sind mau und keine wirklich
konkreten „Gegner:innen“ in Sicht. Ihr ziviler Ungehorsam ist nicht der von
Rosa Parks oder Gandhi. Denn es geht nicht um die Befreiung einer großen
Gruppe in der Gesellschaft von den Unterdrückern. Es geht um eine
verlorengehende Freiheit für die kommenden Generationen. Sozusagen einer
prophylaktischen Befreiung.
23 Oct 2021
## AUTOREN
Ruth Lang Fuentes
## TAGS
Schwerpunkt Klimawandel
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Ziviler Ungehorsam
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Kolumne Einfach gesagt
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Sondierung
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