| # taz.de -- Werkschau zu Filmemacher Heinz Emigholz: Räume neu zusammensetzen | |
| > Heinz Emigholz nähert sich der Welt wie kein anderer. Sein Film „Die | |
| > letzte Stadt“ läuft im Kino. Im Berliner HKW gibt es eine große | |
| > Werkschau. | |
| Bild: In Heinz Emigholz' Film „Die letzte Stadt“ wechseln die Kleider, die … | |
| Zwanzig Jahre lang hat Heinz Emigholz an der Berliner Universität der | |
| Künste als Professor für „Experimentelle Filmgestaltung“ gelehrt. Anders | |
| als manch anderer hat er seine eigene Forschung daneben mit großem Fleiß | |
| weiterbetrieben. Diese Forschung ist Praxis des Films, mehr als hundert | |
| Filme, kürzere, längere, umfasst heute das Werk. Der Titel der Professur | |
| ist wörtlich zu nehmen, auch der der Forschung. | |
| Als Handwerk mit Regeln, die man einfach nur anwenden muss, begreift | |
| Emigholz das Filmemachen ganz sicher nicht. Es spaltet sich in einen | |
| dokumentarischen Teil und in Formen des Spielfilms. Es spaltet sich aber | |
| auch wieder nicht, denn es sind stets ähnliche und ähnlich grundsätzliche | |
| Fragen, die den filmenden Forscher über konventionelle Grenzen hinweg | |
| umtreiben: vor allem die nach der Gestaltung des filmischen Raums, im | |
| Ausschnitt der Kamera (Bildgestaltung: Emigholz selbst), in der Montage | |
| (auch diese besorgt Emigholz meist höchstpersönlich). | |
| Bekannt, ja berühmt in einschlägigen Kreisen ist die lange Serie, in der | |
| sich [1][Emigholz wieder und wieder der Architektur widmet]. „Photographie | |
| und jenseits“ ist dieser Teil des Werks überschrieben, das „jenseits“ im | |
| Titel markiert das X wie Experiment, also Erprobung eines ungesicherten | |
| Neuen. | |
| Die Architekturfilme, mehr als dreißig inzwischen, von „Goff in der Wüste“ | |
| (2003) über „Schindlers Häuser“ (2007) und „Loos Ornamental“ (2008) b… | |
| „Bickels: Socialism“ (2017) und nun, ganz neu, sie erleben in der | |
| Retrospektive „Counter Gravity“ im Berliner Haus der Kulturen der Welt ihre | |
| Premiere: „Zwei Häuser von Arno Brandlhuber“ und „WEISS hoch zwei“. | |
| Diese Filme nähern sich der Architektur in stets etwas schrägen, | |
| verkanteten Bildern, sie nähern sich Raum, Wand, Durchgang von innen und | |
| außen, sie stehen mitten darin oder nehmen ein Gesamt in den Blick, in | |
| immer neuen Perspektiven, in unbewegten Einstellungen, mit denen die Räume | |
| zum Wohnen und Leben nicht als ein für alle Male bestehend gezeigt, sondern | |
| Bild für Bild und als fast kubistische Zusammenschau in der Montage neu | |
| zusammengesetzt werden. Anleitung durch Voiceover-Kommentar gibt es nicht, | |
| die anderen Mittel des Films sprechen für sich. | |
| ## Verlässlich schräg | |
| Orientierung heißt so immer auch Desorientierung. Filmen heißt forschen, | |
| finden von neuen Möglichkeiten, wenngleich das filmische Verfahren von | |
| Heinz Emigholz, nicht zuletzt die verlässlichen Schrägen, inzwischen selbst | |
| ein eigenes Trademark ist. | |
| Keiner nähert sich der Welt und den Formen des Films wie Heinz Emigholz. | |
| Das macht seine Filme dann aber auch immer auf Anhieb als die seinen | |
| erkennbar. Nicht nur im „dokumentarischen“ Teil des Werks, sondern auch in | |
| den Arbeiten experimenteller Spielfilmgestaltung. | |
| Sie nahmen in der Filmografie lange weniger Raum ein, ein frühes Hauptwerk | |
| in dieser Richtung war der 1991 nach mehreren Jahren fertig gewordene Film | |
| „Der zynische Körper“, eine filmische Dekomposition in Farbe (in den | |
| Innenräumen) und Schwarz-Weiß, mit Figuren, die sich äußerlich über | |
| Zuordnungen von Tätigkeiten (Liza, die Fotografin, John, der Architekt, | |
| Fred, der Zeichner, Carl, der Autor), aber nicht psychologisch von innen | |
| erschließen. | |
| In den letzten Jahren hat Emigholz wieder stärker mit Texten, mit dem | |
| Ins-Bild-Setzen von Körpern, mit Annäherungen an Narration experimentiert. | |
| Ausgesprochen charmant, sogar komisch war das im [2][Dialogfilm | |
| „Streetscapes“ (2017)], in dem Emigholz sich, auch seine Biografie, in | |
| Dialogen mit dem Trauma-Wissenschaftler Zohar Rubinstein ins Spiel und ins | |
| Bild gebracht hat. Mit dem jüngsten Großprojekt „Die letzte Stadt“ (2020), | |
| im Kino und ebenfalls in der Retrospektive zu sehen, schließt er in der | |
| Dialogform an diesen Vorgänger an. | |
| ## Die Schauplätze wechseln | |
| Gleichberechtigt nebeneinander stehen hier die Körper, die Texte, die Räume | |
| und die Montage. Die Schauplätze wechseln, als wäre es ein Bond-Film: von | |
| Be’er Scheva im israelischen Süden nach Athen und São Paulo und Hongkong | |
| und Berlin. Schon in Schuss und Gegenschuss löst sich oft der Zusammenhang | |
| auf: Mit einem Satz ist die Figur in Be’er Scheva verortet, in der Antwort | |
| ist dann im Hintergrund die Akropolis sichtbar. Aber auch sonst hält | |
| Emigholz von filmischer Continuity wenig: Es wechseln die Kleider, die | |
| Frisuren, die Lage im Raum. | |
| Im ersten der Dialoge, in die der Film zerfällt, sind ein Künstler (John | |
| Erdman), der nun Archäologe ist, und ein Psychoanalytiker (Jonathan Perel), | |
| der sich aufs Waffendesignen verlegt hat, zu sehen, zu hören. In einem | |
| weiteren Dialog sieht man wiederum John Erdman, ein Emigholz-Regular seit | |
| Jahrzehnten, der nun aber mit „sich selbst“ als jungem Mann (Young Sun Han) | |
| ins Gespräch kommt. | |
| In weiteren Dialogen kommen weitere Figuren (unter anderem zweimal Susanne | |
| Sachsse) und als Themen japanische Kriegsverbrechen, künstliche Intelligenz | |
| und die Rolle des Menschen im Weltall ins Spiel. So recht runden will sich | |
| das nicht, auch nicht zum Exempel vielfacher Diskontinuität. Das aber ist | |
| das Risiko filmischen Forschens: Manches gelingt, anderes nicht. | |
| 21 Oct 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Ekkehard Knörer | |
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