| # taz.de -- Heinz Emigholz über seinen Adolf-Loos-Film: "Ich liebe meine Arbei… | |
| > Heinz Emigholz filmt in einzigartiger Weise moderne Architektur. Seine | |
| > neue Dokumentation über die antiornamentalistischen Bauten von Adolf Loos | |
| > kommt demnächst ins Kino. | |
| Bild: Adolf Loos' Villa Müller in Prag. | |
| taz: Herr Emigholz, mit biografischen Fakten zu Adolf Loos halten Sie sich | |
| in "Loos Ornamental", Ihrem jüngsten Film, auffallend zurück. Aus dem Off | |
| ertönen ein paar dürre Lebensfakten, der Rest wird in den Bauten | |
| fortgeschrieben, nur mit Raumbildern. | |
| Heinz Emigholz: Das Internet leistet doch unschätzbare Dienste. Ich muss | |
| als Filmemacher ja nicht mehr den Oberlehrer spielen, der Ihnen | |
| lexikalisches Wissen beibringt. Jeder kann sich das mit Tastenklick | |
| beschaffen, warum sollte ich darauf mein Filmmaterial verschwenden? | |
| Insofern ist das auch ein Rückgriff auf das, was Kino einmal war. Die | |
| Brüder Lumière entsandten Kameraleute in die ganze Welt, um herauszufinden, | |
| wie es anderswo aussieht. Das kann ich jetzt wieder tun, ohne diesen | |
| Pädagogenbombast. | |
| Sie arbeiten in Ihren Bildkompositionen sehr markant mit Kippeffekten. Fast | |
| jede Ihrer Einstellungen ist aus dem Lot. Warum? Um die Räume zu | |
| dynamisieren? Um sie zu komplizieren? | |
| Es ist einfacher: Ich habe eine Bildfläche, auf der ich eine | |
| architektonische Situation, die aus vielen Einzelheiten besteht, fassen | |
| will. Grundsätzlich nenne ich das nicht gekippt, sondern: in den Raum | |
| hinein fotografiert. Wenn ich den Kopf, von dem aus wir Menschen in die | |
| Welt blicken, nehme, so ist der ja nicht fest verschraubt. Sie halten Ihren | |
| Kopf hin und her, um sich in der Wirklichkeit ein Bild zu machen. Die | |
| Kamera ist der Schwerkraft nicht verpflichtet, weil sie Bilder macht, die | |
| projiziert werden und aus denen nichts herausfallen kann. Mir wird gerade | |
| von Architekten, die ein seltsam verschobenes Bild des Filmischen haben, | |
| manchmal vorgeworfen, dass ich viel zu wenig Bewegung einsetze. Sie sagen, | |
| die Kamera müsste diese Räume doch vor allem durch Bewegung rekonstruieren. | |
| Aber das würde dazu führen, dass ich den Raum in seiner Abfolge unglaublich | |
| eindimensional festlege - durch das Zufallsergebnis einer solchen Fahrt. | |
| Gibts beim Drehen in berühmten Häusern nicht auch andere Produktionszwänge: | |
| dass etwa nicht genug Zeit zur Verfügung steht, um einen Raum angemessen zu | |
| fotografieren? | |
| Manchmal kommt es zu Konfliktsituationen mit den Bewohnern bekannterer | |
| Häuser; die sind an die Präsenz von Filmteams gewöhnt, die da einmal mit | |
| der Videokamera durchschwenken und wieder gehen. Wenn sie aber merken, dass | |
| das bei mir Stunde um Stunde dauert, kann das schon atmosphärisch ein wenig | |
| ungut werden: Man beginnt dann, an den Leuten vorbeizuschauen, damit es zu | |
| keinen Gesprächen kommt. | |
| Das einzelne Bild zu bauen ist Millimeterarbeit? | |
| Ja. Ich weiß aber mittlerweile, welche Bilder ich brauche, um einen Raum | |
| zusammenzusetzen. Ich fange auch immer sofort an zu drehen. Ich liebe | |
| Dreharbeiten übrigens. Wenn ich jetzt hier sitze, hab ich das Gefühl, mein | |
| Gehirn läuft nur auf 60-prozentiger Leistung. Beim Drehen läuft es | |
| 100-prozentig. | |
| Sie haben neben den Eingang zu Ihrer Berliner Ausstellung im Werkraum des | |
| Hamburger Bahnhofs ein Motto gesetzt, demzufolge unsere Augen stets auch | |
| nach innen gewandt seien. Sind Ihre Arbeiten also Innenbilder? | |
| Illustrationen psychischer Zustände, Visualisierungen von Denkprozessen? | |
| Man muss lesen, wie die Bilder auf der Retina ankommen; das sind sehr | |
| komplizierte kulturelle Prozesse, wie und wann man etwas als Bild begreift. | |
| In dieser Lage bin ich beim Filmemachen unentwegt: Ich projiziere einen | |
| Blick und nehme ihn dann auf - also aktiv-passiv. | |
| Die Frage, wie ein Bild auf der Netzhaut ankommt, beschäftigt Sie schon | |
| lange. Ihr Produktionslogo ist eine Art Gitter auf Netzhaut: das im toten | |
| Auge eines Kaninchens gefundene letzte Bild eines Laborfensters. | |
| Dieses Bild fand ich in einer wissenschaftlichen Zeitung, in Scientific | |
| American, in einem Text zur Retina-Fotografie und zu einem | |
| wissenschaftlichen Experiment von Willy Kühne von 1878: Man ging darin | |
| davon aus, dass sich das letzte Bild, das ein Lebewesen sieht, wenn man | |
| seinen Sehprozess anhält, biochemisch in die Retina einbrennt. Das wurde | |
| dann sogar in der Kriminologie verwendet: Man operierte Ermordeten die | |
| Netzhäute raus und fixierte deren letzte Bilder, um sich Aufschlüsse über | |
| Tatorte oder Tathergänge zu verschaffen, aber man erkannte da meist nur | |
| sehr grobe Schemen, Schattenhaftes. Das war natürlich nicht beweiskräftig. | |
| Ihre Architekturfilme sind mit Ihrer rätselhaften zeichnerischen Arbeit | |
| nicht leicht in Verbindung zu bringen. | |
| Das sind eben spezielle Aufgaben. Die Architekturfilme haben sich ja aus | |
| meiner Spielfilmarbeit heraus entwickelt, wo ich immer schon extrem auf | |
| Hintergründe oder Sets reagiert habe. Das wurde, weil ich auch selbst die | |
| Kamera führe, immer prekärer. Mit meinen Spielfilmen erlitt ich Anfang der | |
| 90er-Jahre Schiffbruch: Mit "Der zynische Körper", dem letzten in dieser | |
| Reihe, ging ich 1991 fürchterlich pleite. Ich dachte also ganz pragmatisch: | |
| Du willst weiter Filme machen, dann lass die teuren Schauspieler weg und | |
| filme das, was dich sowieso am meisten interessiert - die Räume. | |
| Wie viel Forschungsarbeit geht denn dem Drehen voraus? Sitzen Sie da erst | |
| mal monatelang in Bibliotheken? | |
| Ich recherchiere vorab, aber das wirklich Wichtige ist dann erst die | |
| Drehreise, die Erfahrung, all diese Werke vor Ort zu verbinden. Deshalb | |
| verwende ich auch kein historisches Bildmaterial. Denn mich interessiert | |
| nur eines: Wie sieht diese Architektur heute aus? | |
| Das Verfallen des Erbes ist in "Loos Ornamental" eine Ebene: Beim Haus | |
| Rufer in Wien etwa betonen Sie dessen desolaten Zustand. Aber es geht auch | |
| in die andere Richtung: Beim Café Museum fragt man sich eher, wie tödlich | |
| Renovierungsarbeit wirken kann. | |
| Ja, das ist fürchterlich hässlich. Und leider, weil ich Wert auf | |
| chronologische Ordnung lege, steht das Café Museum gleich am Anfang des | |
| Films! | |
| Ihre beiden kommenden Spielfilmprojekte sollen "Tale of Five Cities" und | |
| "Second Nature" heißen. | |
| Den ersten Titel bereiten wir gerade vor: Es geht um fünf Städte, aber nur | |
| im Subtext um Architektur, in jeder der Städte wird ein etwa 20-minütiger | |
| Akt spielen - im iranischen Kaschan, im ägyptischen Alexandria, in Rom, | |
| Buenos Aires und Houston, Texas. Es soll ums Atmen gehen und um | |
| Aircondition, aber mit Schauspielern - und die einzelnen Teile sollen | |
| austauschbar sein. "Second Nature" ist ein ausgearbeitetes Drehbuch, leider | |
| ein teurer Film, ein großes Road-movie. | |
| Das klingt wie der Einstieg in eine schon wieder neue Laufbahn. Angefangen | |
| haben Sie in den frühen Siebzigern anders, im Avantgardefilm. Erscheint | |
| Ihnen das nicht inzwischen sehr fern? | |
| Eigentlich ist das für mich kein Widerspruch. Ich hab so angefangen, weil | |
| ich die übliche filmische Abbildung nicht ertragen konnte. Ich kam nicht | |
| vom Theater. Die Umsetzung von Geschichten hat mich damals null | |
| interessiert. Ich war völlig entfremdet vom jungen deutschen Film. Den fand | |
| ich kotzlangweilig. Dass das eine Revolution gewesen sein soll, begreife | |
| ich bis heute nicht. Das hat aber auch mit dem Ort zu tun: Wir waren in | |
| Hamburg, dort hat seit den 60er-Jahren ein sehr grundsätzliches Neudenken | |
| des Kinos angesetzt. | |
| Wie diszipliniert arbeiten Sie denn? | |
| Na ja, ich liebe meine Arbeit, darum stehe ich morgens so früh wie möglich | |
| auf; leider bin ich etwas müder geworden. Ich hab daneben auch noch den | |
| Uni-Job, das ist eine Art Zeitfresser. Das letzte Jahr war hart. | |
| Sie haben unlängst proklamiert, dass in Ihren Arbeiten "nichts durch | |
| dramaturgische Maßnahmen vernebelt werden" sollte. Ist das die Sehnsucht | |
| nach einem Kino der absoluten Transparenz? | |
| Transparenz? Jeder Mensch hat doch einen bestimmten Blick. Ich reagiere auf | |
| bestimmte Räume fast allergisch. Die Art, mit der Kamera in die Räume zu | |
| gehen, ist für mich auch eine Methode, mich zur Wehr zu setzen. Das macht | |
| vielleicht das Spannende an diesen Filmen aus: Erst denkt man, das ist ja | |
| ne simple Nummer - ein kaum bewegtes Bild nach dem anderen. Nach einer | |
| Weile aber merkt man, wie sich die Dinge addieren, und wie der Raum, der | |
| sich im Film darstellt, immer komplexer wird. Im Größeren vollzieht sich | |
| diese Addition auch in der Struktur der Filme, die jeweils ein Bild der | |
| Karriere oder des Lebens eines Architekten aus lauter Fragmenten entwerfen. | |
| Ich wechsle, was die Architekturfilme betrifft, meinen Ansatz nicht. Wie | |
| kann es daher sein, dass etwa der Loos-Film und der Schindler-Film zwei | |
| gefühlsmäßig völlig verschiedene Ergebnisse darstellen? Weil meine Methode | |
| das durchlässt, was der Architekt veranstaltet hat. | |
| Das meine ich mit Transparenz. | |
| Wenn Sie es so sehen: ja. Ich empfinde zu den Architekten oder | |
| Bauingenieuren, die ich gewählt habe, auch eine gewisse Nähe im | |
| Raumempfinden. Ich bin kein Architekt und werde nie einer sein, denn ich | |
| kann dreidimensional nichts gestalten. Aber ich kann Architektur ganz gut | |
| auf die Fläche runterziehen - und die Räume, die ich zeige, rekonstruierbar | |
| machen. | |
| INTERVIEW STEFAN GRISSEMANN | |
| 22 May 2008 | |
| ## TAGS | |
| Spielfilm | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Werkschau zu Filmemacher Heinz Emigholz: Räume neu zusammensetzen | |
| Heinz Emigholz nähert sich der Welt wie kein anderer. Sein Film „Die letzte | |
| Stadt“ läuft im Kino. Im Berliner HKW gibt es eine große Werkschau. |