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# taz.de -- Ein Jahr nach der US-Wahl: Kraftlose Demokraten
> Der Zauber von Joe Bidens Start als US-Präsident ist verflogen. Das liegt
> an einer selbstbezogenen Partei und verkrusteten Strukturen.
Bild: Die Zustimmungswerte für Joe Biden sinken, aber das liegt vor allem an d…
Nach [1][dem Debakel bei den Gouverneurswahlen in Virginia] scheint der
Höhenflug, den die USA mit ihrem neuen Präsidenten Joe Biden gemacht haben,
wie eine lang zurückliegende Vorgeschichte. Selbst bei den Demokraten ist
die Zustimmung zu Bidens Amtsführung geschrumpft. Dabei ist es nicht einmal
zehn Monate her, dass er ins Weiße Haus einzog und dass ein Ruck durch das
Land ging.
Bei seiner Ankunft war Biden mit einer medizinischen Katastrophe
konfrontiert, [2][die sein Amtsvorgänger schlimmer gemacht hatte, als sie
ohnehin war]. Biden fand auch eine pandemiebedingte ökonomische Krise vor,
eine nie dagewesene Polarisierung und Vergiftung des öffentlichen Klimas,
eine internationale Isolierung, in der Washington mehr mit seinen
Erzfeinden als mit seinen traditionellen Alliierten redete – und einen
gewalttätigen Angriff auf den US-Kongress, den sein Amtsvorgänger
angestachelt hatte.
Biden schien der richtige Mann für den Moment, schlug einen ruhigen und
versöhnlichen Ton an, zeigte Mitgefühl, reagierte schnell und zupackend. Er
kam mit einem Programm, bei dem es tatsächlich um die Probleme im Land und
in der Welt ging. Er holte Fachleute in die verwaisten Räume des
Außenministeriums zurück, brachte Frauen und Vertreter der Minderheiten in
sein Kabinett, reinstallierte Umweltregeln, bahnte aufgekündigte
internationale Abkommen erneut an und unterschrieb schon im März das
Konjunkturprogramm, das Privatleuten mit kleinem Einkommen und Kommunen
finanziell half.
Wie konnte es passieren, dass der Absturz so schnell und so brutal kam?
Dass Biden, der im Frühsommer auf 53 Prozent Zustimmung segelte, inzwischen
um 12 Prozentpunkte abgesackt ist, dass seine Reformvorhaben im Kongress
stecken bleiben und dass seine Partei die Wähler in Virginia, die sich seit
Jahren kontinuierlich auf die Demokratische Partei zubewegt hatten,
verloren hat?
Die Antwort hat weniger mit Biden zu tun als mit den Strukturen, die ihn
hervorgebracht haben. Biden wollte von Anfang an mehr, als Trump
loszuwerden. Er wollte transformieren. Sein Infrastrukturgesetz und seine
„[3][Build-Back-Better“-Reform], das Wirtschaftshilfeprogramm, sollen die
maroden Straßen, Brücken und das Breitbandnetz modernisieren, die Sonnen-
und Windenergie ausbauen und Millionen neuer Arbeitsplätze schaffen.
Zugleich sollen sie überfällige Sozialleistungen einführen – vom Anspruch
auf Jahresurlaub über Steuernachlässe für die Kindererziehung bis hin zum
Recht auf eine Babypause. Sie sollen auch der staatlichen
Krankenversicherung für Senioren erlauben, die Medikamentenpreise zu
verhandeln, die gegenwärtig bis zu zehn Mal höher sind als in Europa und
Kanada.
Dass diese versprochenen Reformen nicht vorankommen, liegt zum einen an der
Demokratischen Partei, zum anderen an verkrusteten politischen Strukturen
und Institutionen des Landes. Sie erfüllen bis heute den Zweck, für den sie
ursprünglich im 18. und 19. Jahrhundert konzipiert wurden: Sie wahren den
Status quo und verhindern Erneuerung. Unter anderem geben sie Vertretern
von konservativen weißen Wählern in ländlichen Bundesstaaten
unverhältnismäßig viel Macht.
Die Demokratische Partei hat den Kraftakt vollbracht, Donald Trump aus dem
Weißen Haus zu verjagen. Aber das Pfund, das sie dadurch in Händen hielt,
verspielte sie anschließend. Die Partei ist vor allem eine Wahlmaschine. In
Kampagnen kann sie Millionen Dollar beschaffen und Menschen und Gefühle
mobilisieren. Aber kaum sind die Wahllokale geschlossen, sackt sie kraftlos
in sich zusammen und überlässt das Feld streitenden Abgeordneten und
Fraktionen, die wirken, als gehörten sie zu verfeindeten Parteien.
Diese Flügelkämpfe unterscheiden die Demokraten von den Republikanern.
Letztere haben vier Jahre lang [4][in eiserner Disziplin hinter Donald
Trump] gestanden, den die meisten von ihnen zuvor nicht als Präsident
gewollt hatten. Unter ihm schmiedeten sie Pläne, um ihre Mehrheiten in den
Gerichten und in den Bundesstaaten auszubauen. Seit seiner Niederlage
arbeiten sie geschlossen an ihrer Rückkehr zur Macht.
Die Demokraten hingegen verschleißen sich in Flügelkämpfen. Schon direkt
nach Bidens Wahl fiel der demokratische Senator [5][Joe Manchin aus West
Virginia] dem neuen Präsidenten in den Rücken. Der Senator verhinderte,
dass der Mindestlohn angehoben wurde. Seit dem Sommer sorgen Manchin und
die Senatorin Kyrsten Sinema aus Arizona mit geeinten Kräften dafür, dass
die Kernstücke von Bidens Amtszeit immer kleiner werden.
## Zwei Senatoren torpedieren Bidens Pläne
Die beiden Senatoren vertreten zwei Bundesstaaten, die zusammengenommen
weniger Einwohner haben als New York City. Mit repräsentativer Demokratie
hat ihre Macht wenig zu tun. Für die Suche nach den Motiven für ihre
Blockadehaltung ist ein Blick auf ihre Geldgeber nützlich. Manchin bekommt
mehr Geld von Öl-, Gas- und Kohleindustrie als jeder andere US-Senator. Die
Branche ist nicht am Ausbau erneuerbarer Energien interessiert. Sinema ist
eine der fünf am großzügigsten von der Pharmaindustrie bedachten Mitglieder
des Senats. Die Branche wünscht keine niedrigeren Medikamentenpreise.
In Bidens bisheriger Amtszeit sind viele Dinge nicht optimal gelaufen. Die
schwerste – und an der Urne folgenreichste – Konfrontation des neuen
Präsidenten ist [6][die mit seiner eigenen Partei]. Biden hat sein Programm
Build Back Better um die Hälfte abgespeckt. Aber selbst in der
Schrumpfversion ist es noch das größte Reformvorhaben in den USA seit den
60er Jahren.
Das Schicksal seiner Präsidentschaft liegt in den Händen der Demokraten.
Wenn sie das Reformvorhaben durch den Kongress bringen, befördern sie ihr
Land in das 21. Jahrhundert und machen sich selbst wieder wählbar.
Andernfalls bereiten sie den Weg für ein Comeback von Trump – oder einen
Klon von ihm.
5 Nov 2021
## LINKS
[1] /Wahlen-im-US-Staat-Virginia/!5812981
[2] /US-Praesident-Donald-Trump/!5717270
[3] https://www.whitehouse.gov/build-back-better/
[4] /Corona-Katastrophe-in-den-USA/!5686811
[5] https://de.wikipedia.org/wiki/Joe_Manchin
[6] /Linke-bei-den-US-Demokraten/!5744813
## AUTOREN
Dorothea Hahn
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