# taz.de -- Axel Prahl über die Zukunft: „Keine Zeit zum Nachdenken“ | |
> Aktuell ist Prahl in einem Hörspiel zu Dystopien zu hören. Ein Gespräch | |
> über Klimakrise und das politische Potenzial von Unterhaltung. | |
Bild: In zwei Folgen der Hörspielserie „Wenn wir morgen sagen“ spielt Axel… | |
taz am wochenende: Herr Prahl, die Apokalypse war schon immer gute | |
Unterhaltung. Aber steckt in der dystopischen Hörspielserie „Wenn wir | |
morgen sagen“ auch ein politischer Anspruch? | |
Axel Prahl: Unbedingt. Denn „Wenn wir morgen sagen“ heißt ja eigentlich: | |
heute. Heißt, Raubbau an der Erde. Heißt das, was wir unseren Kindern | |
hinterlassen – schon jetzt. Das war meines Wissens auch der Anspruch, mit | |
dem Audible dieses Projekt angeregt hat bei der französischen | |
Drehbuchschule Conservatoire Européen d’Écriture Audiovisuelle. | |
„Wenn wir morgen sagen“ sind fünf Kurzgeschichten in Hörspielform über | |
Gesellschaften in der nahen Zukunft. Und zwar überwiegend dystopisch. Es | |
geht um Knappheit an lebenswichtigen Ressourcen. Zugleich beginnt diese | |
Woche [1][die Weltklimakonferenz in Glasgow] … | |
… und die Koalitionsverhandlungen, bei denen sich zeigen dürfte, was wieder | |
alles nicht unternommen wird. Die Fiktion wird erschreckende Realität. | |
Sie spielen unter anderem in der Folge mit dem Titel „Pandora“ den Leiter | |
einer Forschungsstation, von der aus in der Antarktis nach Erdöl gesucht | |
wird. In dieser Geschichte klammern sich die Menschen an die letzten | |
fossilen Ressourcen. Wirkt symbolisch. | |
So was wie das Abschmelzen der Permafrostböden in der Hoffnung, dort | |
fossile Brennstoffe zu finden, das spielt natürlich in diese Geschichte mit | |
rein. Das werden die Autoren zumindest im Hinterkopf gehabt haben. Der | |
Schauplatz der klaustrophobischen Forschungsstation macht das Ganze | |
obendrein zu einem Thriller. Das finde ich einfach ein atemberaubendes | |
Hörerlebnis. Vor allem mit den ausgefeilten Sounddesigns und der epischen | |
Orchestermusik. Da hat man mal tief in die Tasche gegriffen. | |
Sie sind im Bereich Hörspiel nicht neu. Sie erkennen da also einen | |
Unterschied, was diesmal in dieses Genre investiert worden ist? | |
Durchaus. Auch die Machart war für mich neu. Das Sounddesign hat viel | |
vorgegeben. Wir mussten oft innerhalb eines gegebenen Zeitrahmens die | |
Dialoge einsprechen. Das war stellenweise anspruchsvoll. | |
Da steht die zu erzeugende Stimmung über dem Komfort des einzelnen | |
Darstellers? | |
Naja, nicht ganz, aber es wird miteinander abgewogen. Es heißt dann zum | |
Beispiel: Bis zu dieser Minute sollten wir da und da im Skript ankommen. | |
Aber wenn es mal nicht klappt, dann ist das auch nicht so schlimm, das wird | |
dann im Schnitt gelöst. Es war jedenfalls spannend und neu, so zu arbeiten. | |
Die Dystopie kann einem bei allem Hörvergnügen die Zukunft aber auch | |
vergällen. Kein Öl, keine Atemluft, keine Nahrung, keine Biodiversität | |
mehr. | |
Das sind ja nicht alle Geschichten. In der Folge „Viola“ geht es um | |
Vereinzelung, nicht zuletzt auch durch Technik. Da geht es um Menschen, die | |
so sehr im eigenen Kosmos schwirren, dass sie anfangen, sich mit Pflanzen | |
zu unterhalten. Darin kann man, hoffe ich, auch eine gewisse Komik | |
erkennen. | |
Da spielen Sie einen Mann, der sich mit seiner Topfpflanze anfreundet. | |
Gleichzeitig lebt er in einer Welt, in der ihm von einer | |
Roboter-Haushälterin alles bequem vor die Füße gelegt wird. Das hat was von | |
Rückzug ins Einfache, in die Natur angesichts von technischem Fortschritt. | |
Diese Geschichte wirkt wie eine Reaktion auf die anderen vier. | |
Ist nicht von der Hand zu weisen. Es geht aber auch um den Energieaufwand | |
von Technik. Tablets, E-Autos, das ist etwas, was die Fridays for Future | |
meiner Ansicht nach nicht immer mitbedenken. Der Verbrauch wird ja immer | |
schlimmer. | |
Sofern man die alten Gepflogenheiten beibehält und die neue Technik | |
parallel benutzt, ja. Den Fridays geht es ja um einen Wechsel vom einen zum | |
andern. | |
Für mich persönlich stellen sich dann eben so Fragen wie: Fahre ich mein | |
altes Auto jetzt noch weiter, bis der TÜV uns scheidet? Oder hole ich aus | |
ökologischen Gründen ein E-Auto, obwohl mein Auto noch gut ist und fährt. | |
Herstellungskosten der Batterien noch nicht mitgedacht. Ist das zum | |
jetzigen Zeitpunkt das Richtige? Es ist extrem kompliziert geworden. | |
Da sprechen wir über den bestehenden Zwiespalt zwischen einfachen | |
Forderungen, die eher Politik nach vorne bewegen, und dem differenzierteren | |
Blick. | |
Das Blöde ist, man möchte sich die Zeit nehmen, darüber nachdenken zu | |
können. Aber wir haben die Zeit nicht. | |
Die Geschichten im Hörspiel haben ja ebenfalls etwas Einfaches. Etwas | |
Mahnendes und etwas Warnendes. | |
Ich glaube, man hofft, dass man über solche Geschichten ein gewisses | |
Bewusstsein schafft für den Zustand der Erde. Wenn ich mich mit manchen | |
Leuten unterhalte, die ich da und dort treffe, dann weiß ich nicht immer, | |
ob sie sich so eingehend mit der Materie befasst haben. Einige brauchen | |
womöglich einen kreativeren, nachvollziehbareren Zugang. Für sie wäre so | |
eine Geschichte wie „Pandora“ doch noch mal ein anderer, emotionalerer | |
Anknüpfungspunkt als etwa die Nachrichten. | |
Ihr [2][„Tatort“-Kollege Jan Josef Liefers] spricht in einem neuen Video | |
kritisch von einem Alarmismus der Medien beim Thema Corona. Ich übertrage | |
das mal auf die Klimakrise: Sehen Sie das Problem? Dass ewiges Warnen die | |
Leute passiv macht? | |
Ich möchte eigentlich dazu, wie Jan Josef sich öffentlich äußert, keine | |
Stellung nehmen. Das wird zur Genüge betrieben. In einigen Dingen bin ich | |
da anderer Meinung. Und das kann man ja auch einfach mal so stehen lassen, | |
finde ich. | |
Das ist Ihr gutes Recht. Sie müssen sich nicht zu seiner Aktion äußern – | |
aber zum Argument? | |
Zum Argument kann ich sagen: Es mag sein, dass das alles ermüdend ist. Aber | |
wenn ich einen Plastikteppich im Ozean schwimmen sehe, der größer ist als | |
Nordrhein-Westfalen, dann komme ich nicht umhin zu warnen. Und dann muss | |
etwas passieren. Dann müssen die Leute langsam mal aufwachen. Es kann so | |
nicht weitergehen. | |
Und da ist die emotionale Ebene der Kunst auch dann hilfreich, wenn sie | |
unangenehm ist? | |
Kunst, im Sinne beispielsweise dieser Hörspiele? Das denke ich. Und hoffe | |
ich! Wenn Dystopien dazu führen, dass kleine Schritte in die richtige | |
Richtung gemacht werden, dann wäre schon mal viel geschafft. Denn momentan | |
sehe ich nicht mal die kleinen Schritte. | |
Wenn Sie an die Zukunft denken, denken Sie dann eher an eine Dystopie oder | |
an eine Utopie? | |
Momentan ist natürlich Dystopie vorherrschend. Die mich aber motiviert, | |
Dinge zu tun. Ich hätte Tempo 130 begrüßt, obwohl ich gerne schnell fahre. | |
Das hätte mir nicht wehgetan. Ebenso wenig, wie es mir wehtut, auf | |
Inlandsflüge zu verzichten. Also meinen Zeitplan so zu gestalten, dass es | |
mir möglich ist, diese Wege mit der Bahn zu fahren. | |
Da gibt es schon länger Impulse, [3][etwa den „Tatort“ ökologischer zu | |
machen], indem man Emissionen beim Dreh reduziert. Sehen Sie da weiterhin | |
ernsthafte Anstrengungen? | |
Auf jeden Fall. Beim letzten Dreh hatten wir zwei vegetarische Tage. Und | |
haben darauf geachtet, dass wir eben nicht mit dem Flieger durch die Gegend | |
jetten … wobei, da muss ich gestehen, ich musste dieses Mal doch auf den | |
Flieger zurückgreifen, weil ich einen Wasserschaden zu Hause hatte. Da | |
musste ich ganz schnell hin und die Bude ausräumen. Also manchmal kommt man | |
nicht umhin. Aber wo es sich vermeiden lässt, sollte man versuchen, die | |
Dinge anders zu gestalten. Zoom-Konferenzen machen sich gut, man muss nicht | |
für jede Sitzung von Berlin nach Köln fliegen. | |
31 Oct 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Vor-Klimakonferenz-COP26-in-Glasgow/!5807348 | |
[2] /Aktion-allesdichtmachen-im-Netz/!5763320 | |
[3] /Bewegtbild-und-Green-Producing/!5684405 | |
## AUTOREN | |
Peter Weissenburger | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
Hörspiel | |
Dystopie | |
Tatort | |
Tatort | |
Tatort | |
Tatort | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Murot-„Tatort“ aus Wiesbaden: Familie und Genickschuss | |
Ein obdachloser Ex-Professor wird ermordet, nun braucht es eine | |
Familienaufstellung. Der zehnte Murot-„Tatort“ macht vieles richtig und | |
Spaß. | |
„Tatort“ aus Münster: Corona im Mittelalter | |
Boerne und Thiel ermitteln, wer den König im alten Wasserschloss getötet | |
hat. Unter Coronabedingungen gedreht, wird der Krimi zum Kammerspiel. | |
Münster-Tatort „Lakritz“: Ein ewiger Volkstheaterschwank | |
Eine slapstickhafte Zuspitzung auf bürgerliche Kleinstadtkriminalität: In | |
Professor Börnes und Thieles neuem Fall ist eigentlich alles wie immer. |