# taz.de -- Neues Oppositionsbündnis in Türkei: Gemeinsam gegen Erdoğan | |
> Die türkischen Oppositionsparteien verbünden sich. Ihr Ziel: in den | |
> kommenden Wahlen mit einem gemeinsamen Kandidaten Erdogan schlagen. | |
Bild: Der CHP-Vorsitzende Kemal Kilicdaroglu während einer Pressekonferenz am … | |
Istanbul taz | Bei Wahlen in der Türkei gab es in den letzten zwanzig | |
Jahren immer nur einen Gewinner: Recep Tayyip Erdoğan. Die zwei Gründe für | |
Erdoğans Erfolg waren der wirtschaftliche Erfolg seiner Regierungen und vor | |
allem der desolate Zustand der Opposition. Beides ist aktuell dabei, sich | |
grundlegend zu verändern. | |
Die Wirtschaftspolitik, lange die Paradedisziplin Erdoğans, ist längst zu | |
seiner Achillesferse geworden. Die großen Wachstumsraten sind bereits seit | |
2013 vorbei und die darauf folgende Stagnation hat sich mittlerweile in | |
eine massive Krise verwandelt, aus der der autokratisch regierende | |
Präsident keinen Ausweg mehr findet. | |
Gleichzeitig ist die Opposition erstmals dabei, sich zu einer echten | |
Alternative zu formieren. Unter Führung von Kemal Kılıçdaroğlu, dem | |
Vorsitzenden der kemalistisch-sozialdemokratischen CHP, schmiedet die | |
Opposition ein Sechs-Parteien-Bündnis, mit dem sie geschlossen gegen | |
Erdoğan antreten will. | |
Dazu gehören neben der CHP die rechte İyi-Partei (Gute Partei), die | |
islamische Saadet-Partei und die früher führende konservative Demokratische | |
Partei, DP, sowie die beiden Abspaltungen von der AKP, die DEVA des | |
früheren AKP Finanz-und Wirtschaftsministers Ali Babacan und die | |
Zukunftspartei des von Erdoğan geschassten Ex-Ministerpräsidenten Ahmet | |
Davutoğlu. | |
„Eine prinzipielle Einigung auf die Eckpunkte des Bündnisses steht“, | |
bestätigte Koray Aydin, ein führender Vertreter der İyi-Partei, dieser | |
Tage. Ebenfalls vor wenigen Tagen machte Parteichefin Meral Akşener klar, | |
dass das Oppositionsbündnis einen gemeinsamen Präsidentschaftskandidaten | |
aufstellen will für die Wahl, die für Sommer 2023 angesetzt ist. | |
## Vorbild Kommunalwahlen | |
Von der Seitenlinie hat auch die kurdisch-linke HDP dem Bündnis | |
Unterstützung signalisiert. Vorbild sind die Kommunalwahlen im Frühjahr | |
2019, bei denen es dem Bündnis von CHP und İyi-Partei ebenfalls mit | |
indirekter Unterstützung der HDP gelungen war, [1][die AKP in den drei | |
wichtigsten türkischen Städten Istanbul, Ankara und Izmir] zu besiegen. | |
Der strategische Kopf dieses Bündnisses ist der lange belächelte | |
CHP-Vorsitzende Kemal Kılıçdaroğlu. Kılıçdaroğlu ist kein charismatisch… | |
Politiker und auch kein guter Redner, jahrelang sah es so aus, als könne er | |
Erdoğan nicht das Wasser reichen. Doch er versteht es geschickt, hinter den | |
Kulissen die Fäden zu ziehen, auch weil er sich als Person zurücknehmen | |
kann. | |
Zu Akşener hat er seit den Kommunalwahlen ein belastbares | |
Vertrauensverhältnis aufgebaut, das Erdoğan trotz mehrerer Versuche, die | |
İyi-Partei-Vorsitzende auf seine Seite zu ziehen, bislang nicht zerstören | |
konnte. Die politische Basis dieses Bündnisses ist die Ablehnung des von | |
Erdoğan durchgesetzten Präsidialsystems und die Rückkehr zum | |
parlamentarischen System. | |
Deniz Zeyrek, Kolumnist der größten Oppositionszeitung Sözcü, der gute | |
Kontakte zu Kılıçdaroğlu hat, schrieb kürzlich: „Die sechs | |
Oppositionsparteien sind sehr klar, was die Wiederherstellung des | |
parlamentarischen Systems angeht. Die dafür notwendige Verfassungsänderung | |
und die einzelnen Stationen des Übergangs sollen klar definiert werden.“ | |
## Werden die Wahlen vorgezogen? | |
Wer der gemeinsame Präsidentschaftskandidat wird, ist noch offen. Klar ist | |
jedoch, dass es keine oder keiner der Vorsitzenden der Oppositionsparteien | |
sein wird. Stattdessen wird immer wieder über die beiden populären neuen | |
[2][Oberbürgermeister von Istanbul und Ankara, Ekrem İmamoğlu] und Mansur | |
Yavaş spekuliert. Beide liegen in Umfragen deutlich vor Erdoğan, obwohl sie | |
offiziell keine Kandidaten sind. | |
Auch das Bündnis von CHP und İyi-Partei liegt in den meisten Umfragen | |
deutlich vor der Regierungskoalition aus AKP und der rechtsradikalen MHP. | |
Zwar sollen die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen offiziell erst 2023 | |
stattfinden, doch spekulieren in Ankara etliche auf vorgezogene Wahlen. | |
Präsident Erdoğan werde die Abstimmungen vorziehen, bevor die türkische | |
Wirtschaft völlig zusammenbricht und eine Schuldenkrise wie in Griechenland | |
2009 entsteht, glaubt Cumhuriyet-Autor Ergin Yıldızoğlu. Der Türkei stehe | |
ökonomisch „ein perfekter Sturm“ bevor. Kommt es zu vorgezogenen Wahlen, | |
ist die Opposition in der Türkei jedenfalls bereit. | |
13 Oct 2021 | |
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## AUTOREN | |
Jürgen Gottschlich | |
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