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# taz.de -- Historischer Prozess in Burkina Faso: Wahrheitsfindung nach 34 Jahr…
> In Ouagadougou wird ab Montag der Mord am Revolutionshelden Thomas
> Sankara vor Gericht verhandelt. Zeitzeugen erinnern sich noch gut.
Bild: Das 2020 eingeweihte Sankara-Denkmal in Ouagadougou
Ouagadougou taz | Der Prozess, der am Montagmorgen in Burkina Fasos
Hauptstadt Ouagadougou beginnt, ist das Gesprächsthema schlechthin. Es geht
darum, wie am 15. Oktober 1987 der damalige Präsident Thomas Sankara sowie
zwölf seiner Vertrauten [1][ums Leben gekommen] sind. „Es ist ein
historischer Prozess“, sagt [2][Smockey], Musiker und Sprecher der
Bürgerbewegung Balai Citoyen (Bürgerbesen). „Nicht nur in Burkina Faso hat
die Bevölkerung darauf gewartet, sondern in ganz Afrika“.
Für viele Angehörige der jungen Generation ist Sankara, der dem einstigen
Obervolta den Namen Burkina Faso (Republik der Aufrechten) gab, bis heute
ein Held der Dekolonisierung, Afrikas Che Guevara. Er starb nach vier
Jahren an der Macht bei einem Militärputsch, den sein Vertrauter Blaise
Compaoré anführte – der regierte Burkina Faso dann selbst, bis im Oktober
2014 wochenlange Proteste der Balai Citoyen ihn zum Rücktritt zwangen.
Den [3][Putschtag 15. Oktober 1987] wird Abdoul Salam Kaboré nie vergessen.
Der promovierte Pharmazeut sitzt in seiner Apotheke „Pharmacie de Progrès“
in der Nähe des Friedhofs von Goughin. Unter Thomas Sankara war er
Sportminister. Am fraglichen Tag befand er sich im Stadion des 4. August,
rund fünf Kilometer vom Regierungssitz entfernt. Plötzlich hieß es: Straßen
sind gesperrt, Schüsse fallen. „Und Thomas war nicht telefonisch zu
erreichen. Und auch Blaise nicht,“ erinnert sich der 70-Jährige im Gespräch
mit der taz.
In der Nacht erhielt er schließlich die Nachricht vom Tod seines Kameraden
Thomas Sankara. Die Angst sei groß gewesen, möglicherweise selbst ermordet
zu werden. Eins war für ihn trotzdem klar: Ein Gegenaufstand kam nicht in
Frage. „Thomas hätte keinen Skandal gewollt und keinen Bürgerkrieg.“ Sich…
war für Kaboré noch etwas anderes: „Blaise war verantwortlich. Er war von
einer Gruppe umgeben, die hungrig auf Rache war. Thomas hat wie kein
anderer Führungsqualitäten verkörpert.“
Kennengelernt hatten sich Sankara und Kaboré vor heute 55 Jahren an der
weiterführenden Militärschule PMK (Prytanée Militaire de Kadiogo). „Ich war
damals 15, Thomas ein Jahr älter.“ Aus einer Freundschaft unter
Jugendlichen wurde schnell eine große Vertrautheit mit einem gemeinsamen
Ziel: „Wir müssen etwas für unser Volk tun“. Als Sportminister versuchte
Kaboré, die Bevölkerung zweimal pro Woche zur Leibesertüchtigung zu
motivieren.
Der Exminister schwärmt von Sankaras Charisma, verbunden mit
Bescheidenheit. Er sei der unangefochtene Anführer gewesen, dem niemand
seine Führungsposition streitig gemacht habe. Compaoré stieß zu seiner
Regierung, nachdem er und Sankara sich bei einem Auslandsaufenthalt
kennengelernt hatten. Dass auch Sankara 1983 durch einen Staatsstreich an
die Macht gekommen war, ist für seine Anhänger*innen bis heute kein
Manko, im Gegenteil: „Wir waren sehr glücklich und an unserem Ziel
angelangt. Wir wollten das Land nicht von außen ändern.“
Abdoul Salam Kaboré hat eine Einladung zum Prozess erhalten. Einer sitzt
allerdings nicht persönlich auf der Anklagebank: [4][Blaise Compaoré]. Der
heute ebenfalls 70-Jährige ging nach seinem Sturz 2014 ins Exil in die
Elfenbeinküste, 2016 nahm er die ivorische Staatsbürgerschaft an. Seine
Anwälte gaben am vergangenen Mittwoch bekannt, dass weder sie noch ihr
Mandant am Prozess teilnehmen werden. Er sei nie zu einer Vernehmung
vorgeladen worden. Auch sei kein faires Verfahren zu erwarten, heißt es in
der Erklärung.
Aziz Salmone Fall, ein in Kanada lebender Politikwissenschaftler, bleibt
deshalb dem Prozess fern. Dabei hat er die internationale Kampagne
[5][„Gerechtigkeit für Thomas Sankara“] koordiniert. Sein Prozessboykott
sei sein Protest gegen Compaorés Abwesenheit. Besser wäre es, wenn der
Ex-Präsident da wäre, finden in Ouagadougou auch die Balai Citoyen. Von
seiner Signalwirkung büßt das Verfahren dennoch nichts ein, zeigt es doch:
Auch ein ehemaliger Staatschef kann zur Rechenschaft gezogen werden –
wenngleich in Abwesenheit.
Ob Abdoul Salam Kaboré den Prozess verfolgen wird, weiß er noch nicht. Es
würde ihn nicht sonderlich interessieren. Begrüßen würde er es aber, wenn
man in Burkina Faso sagen würde: „Hau ab, Blaise. Du hast hier nichts mehr
verloren.“ Kaboré selbst genügt folgende Gewissheit: „Thomas ist als
tapferer Mann gestorben, der das Beste für sein Volk wollte.“
Was auch immer ab heute vor Gericht passiert – jetzt, sagt der Aktivist und
Musiker Smockey, müsse alles dafür getan werden, dass die Verhandlung für
die Nachwelt aufgezeichnet und archiviert wird. „Das ist wichtig für das
kollektive Gedächtnis.“
11 Oct 2021
## LINKS
[1] /Autopsiebericht-von-Thomas-Sankara/!5238984
[2] /Rapmusiker-Smockey-aus-Burkina-Faso/!5592001
[3] /Archiv-Suche/!1858730/
[4] /Volksaufstand-in-Burkina-Faso/!5029677
[5] https://www.thomassankara.net/gerechtigkeit-fuer-thomas-sankara-gerechtigke…
## AUTOREN
Katrin Gänsler
## TAGS
Burkina Faso
Ouagadougou
Thomas Sankara
Blaise Compaoré
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