# taz.de -- Vor der Wahl in Burkina Faso: „Ich wähle und ich bleibe“ | |
> Es geht nicht nur um die freundlichsten Wahlen der Region. Es geht um | |
> eine Insel der Stabilität und eine erfolgreiche Bürgerbewegung. | |
Bild: Veranstaltung der „Bürgerbesen“: Erst die Nationalhymne singen, dann… | |
Ouagadougou taz | Aus den großen schwarzen Lautsprechern knarzt | |
ohrenbetäubende Musik, unter die sich immer wieder drei Buchstaben mischen: | |
MPP. Sie stehen für die Partei „Volksbewegung für den Fortschritt“, die | |
künftig den Präsidenten von Burkina Faso stellen könnte. Sobald „MPP“ zu | |
hören ist, halten die Wahlkampfhelfer – allesamt junge Männer in Jeans und | |
T-Shirts – kleine Poster mit dem Konterfei von Spitzenkandidat und | |
Ex-Premierminister Roch Marc Christian Kaboré hoch und springen gefährlich | |
dicht vor die Autos, die im Schritttempo über die Avenue de la Nation im | |
Zentrum der Hauptstadt Ouagadougou fahren. | |
Doch nicht nur der 58-jährige Kaboré ist zu sehen, sondern auch Konkurrent | |
Zéphirin Diabré, der für die „Union für Fortschritt und Wandel“ (UPC) i… | |
Rennen geht, Minister war und für die Vereinten Nationen gearbeitet hat. | |
Das Gesicht des bulligen, ernsten Mannes mischt sich zwischen das des | |
lächelnden Roch, wie Kaboré meist nur genannt wird. Seine Anhänger brüllen | |
den Autofahrern zu: „Ihr müsst Zéphirin wählen. Das ist unser Präsident!�… | |
Und dann lachen sie – gemeinsam mit den MPP-Unterstützern – und klatschen | |
sich ab. Allen Prognosen zufolge dürften beide in einer Stichwahl landen. | |
Es ist bezeichnend für diesen Wahlkampf in Burkina Faso. Von verhärteten | |
Fronten oder gar Gewaltausbrüchen ist zwei Tage vor den Parlaments- und | |
Präsidentschaftswahlen nichts zu spüren. Viele Menschen fiebern zwar dem | |
Sonntag entgegen, aber in einer erwartungsvollen und freundlichen Stimmung. | |
Diesen Eindruck teilt Aminata Kassé, die das National Democratic Institute | |
in Ouagadougou leitet. | |
„Alle Akteure haben einen ruhigen und friedlichen Verlauf der Wahlen | |
gefordert“, sagt sie. Helfen würde die hohe Akzeptanz der nationalen, | |
unabhängigen Wahlkommission Ceni. Die hat gut 5,5 Millionen Wähler | |
registriert – in einem Land mit 19 Millionen Menschen und einem | |
Durchschnittsalter von nur 17 Jahren. 99 Parteien und Zusammenschlüsse | |
treten an. 14 Kandidaten bewerben sich um das höchste Amt im Staat. „Hier | |
ist jedem bewusst, wie wichtig diese Wahl ist“, sagt Aminata Kassé. | |
## 27 Jahre gab es nur einen Herrscher | |
Auch Gouasso Yabre lächelt, wenn er an Sonntag denkt. „Ich habe sie“, sagt | |
er und meint damit seine Wählerkarte. Wer in Westafrika wählen gehen will, | |
muss sich einige Wochen vor dem Urnengang in ein Verzeichnis eintragen | |
lassen. Der 23-Jährige, der an der Universität von Ouagadougou Geografie | |
studiert, hat das in diesem Jahr zum ersten Mal getan, ist er doch sicher: | |
„Diese Wahl wird etwas bewegen.“ Das sei anders als in der Vergangenheit. | |
Der Student ist in einem Land groß geworden, das 27 Jahre lang nur Blaise | |
Compaoré kannte. Der heute 64-Jährige hatte sich 1987 an die Macht | |
geputscht, nachdem sein Vorgänger und heutiger Held der Jugend, Thomas | |
Sankara, auf mysteriöse Weise ermordet worden war. Auch Sankara, gerne als | |
Che Guevara von Afrika bezeichnet, war durch einen Staatsstreich an die | |
Spitze des westafrikanischen Staates gerückt. Seine Anhänger trauern ihm | |
bis heute nach. Bei Wahlen erhielt die Opposition zwar ein paar Stimmen und | |
Sitze im Parlament. Doch es war stets klar, dass ein Machtwechsel nicht | |
durch eine Wahl erreicht werden könne – bis zum Oktober 2014. Damals hatte | |
Compaoré angekündigt, per Verfassungsänderung ein weiteres Mal für das | |
Präsidentenamt zu kandidieren, und überspannte den Bogen endgültig. Die | |
friedlichen Massenproteste zwangen ihn am 31. Oktober schließlich zum | |
Rücktritt. | |
Unter Langzeitherrscher Compaoré tat sich auch wirtschaftlich wenig. | |
Burkina Faso ist bis heute eines der afrikanischen Armenhäuser. Viele der | |
knapp 19 Millionen Einwohner hängen von der Subsistenzlandwirtschaft ab. Im | |
größeren Stil werden hauptsächlich Baumwolle, Erdnüsse und Sesam angebaut. | |
Da es sich jedoch um einen Binnenstaat handelt, ist der Export | |
problematisch. Die nächsten Häfen in Accra und Lomé liegen gut 950 | |
Kilometer entfernt und die Straßen dorthin sind schlecht. | |
Die Versorgung mit Strom und Wasser ist vielerorts miserabel. Ähnlich | |
düster sieht es im Gesundheits- und Bildungsbereich aus. Geografiestudent | |
Yabre bräuchte eigentlich drei Jahre bis zum ersten Abschluss. Doch er | |
rechnet mit mindestens vier Jahren, denn Kurse fallen oft aus und die | |
Ausstattung der Uni ist mau. Auf die Frage, ob er anschließend einen Master | |
machen kann, zuckt er mit den Schultern. Allein das Einschreiben kostet | |
500.000 CFA – umgerechnet gut 750 Euro. Für viele Menschen ist das mehr als | |
ein Jahresgehalt. | |
## Die „Balai Citoyen“ sorgten für den Übergang | |
„Wie soll das zum Beispiel ein Bauer für sein Kind bezahlen?“, fragt sich | |
Gouasso Yabre. Schließlich sei ein Master-Abschluss nicht einmal eine | |
Garantie für einen Job. „Bei uns werden jährlich vielleicht 10.000 Stellen | |
frei. Aber auf die gibt es 600.000 Bewerber.“ Wenn er endlich mit der | |
Universität fertig ist, wolle er sich zwar überall bewerben und hart für | |
eine Stelle kämpfen. „Aber wer gewinnt letztendlich? Die, die Geld haben | |
und schmieren können.“ | |
Umso erstaunlicher ist der friedliche Übergang zur neuen Zeit. Federführend | |
waren die „Balai Citoyen“ (Bürgerbesen), eine Jugendbewegung, mit der sich | |
schnell Zehntausende Burkinabé identifizieren konnten. Bekannte Musiker | |
waren bei der Gründung dabei. Viele der Balais berufen sich auf den | |
ermordeten Präsidenten Sankara und seine damaligen Kehraktionen. Sie | |
symbolisierten nicht nur das Wegfegen alter Herrschaft, sondern dass jeder | |
selbst etwas tun müsse. | |
Die „Balai Citoyen“ Fatoumata Souratié lächelt verlegen, wenn man ihr zu | |
der gelungenen afrikanischen Revolution gratuliert. „Merci“, sagt sie leise | |
und fast ein wenig ergriffen. Sie steht auf dem großen Ascheplatz, der an | |
der Ausfahrtstraße in Richtung Fada liegt. Dort hat sie eine politische | |
Diskussion mit organisiert. Es könnte ein langer Abend werden, denn noch | |
warten sie und ihre Mitstreiter auf die Vertreter der politischen Parteien | |
und die Kandidaten. Doch die Zuschauer warten geduldig. Reggae-Musik hält | |
sie bei Laune. | |
Jetzt gilt es, als Watchdog aktiv zu bleiben, weshalb die „Balai Citoyen“ | |
die Kampagne „Ich wähle und ich bleibe“ ins Leben gerufen haben. Mit dieser | |
werden die Einwohner zum Wählen aufgefordert, vor allem aber nach 18 Uhr | |
nicht nach Hause zu gehen, sondern bei der Stimmenauszählung anwesend zu | |
bleiben und zuzuschauen. Während die Wahllokale geöffnet sind und gut von | |
Wahlbeobachtern frequentiert werden, ist eine Manipulation kaum möglich. | |
Sie passiert viel eher nach der Schließung und während der Auszählung der | |
Stimmzettel. | |
Da die Bürgerbewegung ohne Kandidat und Wahlempfehlung antritt, wirkt sie | |
umso glaubhafter. Und es macht sie noch einmal mächtiger. Ihren Einfluss | |
musste sie schon im September einmal mehr unter Beweis stellen, als | |
Compaorés Präsidentschaftsgarde putschte, um sich die letzten Pfründen zu | |
sichern. Die Anhänger der einstigen Eliteabteilung der Armee stellten so | |
für kurze Zeit alles auf die Kippe. Doch wieder waren die „Balai Citoyen“ | |
zur Stelle und sorgten mit dafür, dass der Staatsstreich nach einer Woche | |
beendet wurde. | |
Mit dem Wahlgang am Sonntag dürfte aber auch die ganze Region aufatmen. So | |
wirtschaftlich unbedeutend das Sahelland wirkt, so wichtig ist es für die | |
Stabilität Westafrikas. Es ist umgeben von kriselnden Staaten. Im Süden | |
findet die Elfenbeinküste nach der Chaos-Wahl im Jahr 2010 erst wieder | |
zurück zur Normalität. Im Niger und vor allem in Mali tummeln sich seit | |
Jahren verschiedene Terrorgruppen, was der Anschlag auf das Radisson Blu | |
Hotel in Bamako vor gut einer Woche bewiesen hat. Ein instabiles Burkina | |
Faso gilt deshalb als riskant. | |
In Ouagadougou hat sich Student Gouasso Yabre noch immer nicht entschieden, | |
wem er am Sonntag seinen Zeigefingerabdruck geben soll. Kandidaten wie Roch | |
und Diabré haben lange mit den 2014 verjagten Eliten gemeinsame Sache | |
gemacht, andere junge Bewerber jedoch keine Chancen auf Erfolg, so urteilt | |
er unschlüssig. Trotzdem freut sich er sich auf Sonntag. Denn seine Stimme | |
wird zählen. | |
29 Nov 2015 | |
## AUTOREN | |
Katrin Gänsler | |
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