# taz.de -- Demokratie in Burkina Faso: Sankara Superstar | |
> Der ermordete Präsident und Sozialist Thomas Sankara war lange tabu. | |
> Heute beflügelt sein Name die Hoffnungen der jungen Leute. | |
Bild: Weckt Hoffnung: Graffito in Ouagadougou. | |
OUGADOUGOU taz | Serge Bayala sitzt auf einem Mäuerchen und hält für einen | |
kurzen Moment die Augen geschlossen. Niemand spricht oder ruft ihn an, | |
niemand will etwas von ihm, und weder ein Auto noch ein Moped sind irgendwo | |
zu hören. In der Ferne sieht man einige Bauruinen, die daran erinnern, dass | |
der Stadtteil Dagnoen zu Ouagadougou gehört, der Hauptstadt Burkina Fasos. | |
Rechts und links des Mäuerchens befinden sich kleine Gruften. Ein | |
verlassener Friedhof, dessen Gräber längst von Unkraut überwuchert sind. | |
Namen sind nirgendwo mehr zu lesen. Wenn Wind aufkommt, wirbeln kleine | |
schwarze Mülltüten durch die Luft. Irgendwo erklingt der laute dröhnende | |
Schrei eines Esels. | |
Obwohl kein Stein mehr für Sankara und seine Kampfgefährten steht, ist die | |
Stelle für Serge Bayala zu einem Pilgerort geworden. „Man sieht zwar nichts | |
mehr, aber das ist egal“, lächelt er und schaut einen Moment andächtig zu | |
Boden. „Sein Geist ist ja noch da.“ Hier lag noch bis Ende Mai Bayalas Held | |
begraben, Capitaine Thomas Sankara. Burkinas Expräsident gilt dem | |
23-jährigen Studenten als Revolutionär, als „Che Guevara Afrikas“. Und wie | |
um viele Revolutionäre ranken sich Mythen um den 1987 – nach nur vier | |
Jahren Regentschaft – ermordeten Politiker. Eine geeignete | |
Projektionsfläche für die Träume von Aufbruch und Demokratie der jungen | |
Burkinabés. | |
Sankaras Grab ist verschwunden, aber nicht um ihn ganz dem Vergessen anheim | |
zu geben. „Eine gute Entscheidung“, findet es Bayala, dass Sankaras | |
Leichnam nun zur Exhumierung freigegeben worden ist. Denn seit seinem Tod | |
bestand nie wirklich Gewissheit, ob es sich bei dem Toten auf dem Friedhof | |
tatsächlich um Sankara gehandelt hat und wie er ums Leben gekommen ist. Im | |
letzten Oktober wurden die Ergebnisse der Obduktion veröffentlicht: Mit an | |
Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit starb er im Kugelhagel bei dem | |
Putsch, den sein einstiger Gefährte und späterer Nachfolger im | |
Präsidentenamt, Blaise Compaoré, zu verantworten hatte. Noch immer steht | |
allerdings das Ergebnis der DNA-Untersuchung aus, die in Frankreich in | |
Auftrag gegeben wurde. | |
„Ich war mir immer sicher, dass Sankara hier begraben liegt“, sagt Serge | |
Bayala erleichtert. | |
## Endlich Exhumierung | |
Möglich wurde die Exhumierung ohnehin erst nach dem erzwungenen Rücktritt | |
von Blaise Compaoré am 31. Oktober 2014. Nach wochenlangen friedlichen | |
Protesten gegen seinen Plan, die Verfassung zu ändern, um erneut für das | |
Präsidentenamt kandidieren zu können, musste er den Weg für Neuwahlen | |
freimachen. Die Übergangsregierung hat auf Drängen der Familie Sankara die | |
Untersuchung angeordnet. | |
Auch ohne Knochen bleibt der Friedhof von Dagnoen ein wichtiger Ort für | |
Serge Bayala, an dem er Kraft und Ruhe findet. Heute kann er ganz offen | |
darüber sprechen und er kann vor allem kommen und gehen, wie er will. | |
Während der 27-jährigen Herrschaft Compaorés war das anders. Bayala und | |
seine Freunde mussten vorsichtig sein. Die Heldenverehrung war verhasst und | |
hat vermutlich gleichzeitig dazu beigetragen, dass Sankaras Popularität | |
immer weiter stieg. | |
Denn wie dem Studenten mit den kleinen Dreadlocks geht es Tausenden jungen | |
Menschen in Burkina Faso. Auf Autos und Mopeds kleben Sticker, auf | |
Hauswänden und Mauern tauchen neue Graffiti mit Sankaras Konterfei auf. Vor | |
der Präsidentschaftswahl am 29. November 2015 versprach auch Kandidat | |
Zéphirin Diabré, das zu beenden, was Sankara begonnen hat. Obwohl er als | |
aussichtsreichster Kandidat galt, gelang es Diabré trotzdem nicht, in eine | |
Stichwahl einzuziehen. In den vergangenen Wochen wurde auch bereits | |
Tansanias neuer Präsident, John Magufuli, als neuer Sankara bezeichnet. Am | |
Unabhängigkeitstag ließ er alle Feiern absagen und forderte stattdessen die | |
Bevölkerung auf, überall im Land Müll einzusammeln. | |
## Madame Céline und das Wasser | |
Wer heute Sankara verehrt, hat ihn vermutlich nie selbst als Präsidenten | |
erlebt. Auch er putschte sich am 4. August 1983 an die Macht, wird aber von | |
seinen Anhängern als Intellektueller beschrieben und nicht als lärmender, | |
trinkender Soldat, der mit der Staatsführung überfordert gewesen wäre. Das | |
sieht auch Serge Bayala so. Für ihn steht Sankara für eine neue, andere | |
Politik. Was ihm besonders gefällt: Sankara wollte gegen Korruption und die | |
Einmischung des Westens kämpfen, er setzte sich für Frauenrechte ein und | |
ging selbst mit gutem Beispiel voran. Sein Dienstwagen war ein Renault 5, | |
das günstigste Auto, was damals zu kriegen war. Diesem Mann möchte Bayala | |
gemeinsam mit Freunden nun das Sankara-Zentrum widmen, eine Kultur- und | |
Begegnungsstätte in Dagnoen. | |
Er stemmt sich von der kleinen Mauer hoch, auf der er Platz genommen hatte. | |
Da er wegen einer Verletzung auf Krücken läuft, muss er vorsichtig sein. | |
Das Mäuerchen gehört zum Grab einer alten Dame. Madame Céline hieß sie. | |
„Sie hat hier im Viertel gewohnt“, sagt Bayala und zeigt Richtung Ausgang. | |
Dort stehen kleine Lehmhütten. Die Dächer sind aus Wellblech, die Fenster | |
haben keine Scheiben. Die Straßen sind ausgetretene Sand- und Kieswege. Der | |
braunrote Staub bleibt an den Füßen kleben. | |
„Madame Céline hat Sankaras Ermordung nicht gut geheißen“, erinnert sich | |
Bayala. Deshalb sei sie jeden Morgen um fünf Uhr auf den Friedhof gekommen | |
und habe einen schweren Eimer mit Wasser herbeigeschleppt, um das Grab, das | |
mit einer Betonplatte versiegelt war, zu waschen. „In unserer Kultur hat | |
das große Bedeutung.“ Es zeige Respekt und Achtung. Und deshalb sei Madame | |
Céline direkt neben „dem Präsidenten“ beerdigt worden. | |
Auch wenn der Exmachthaber nach Abschluss der Untersuchungen wohl eher | |
anderswo in Ougadougou ein echtes Heldendenkmal erhalten wird, ist das | |
Viertel Dagnoen die beste Wahl für das Sankara-Zentrum. Serge Bayala | |
humpelt zum Ausgang. Die geplante Begegnungsstätte liegt nur etwa 300 Meter | |
von der verlassenen Grabstelle entfernt. Aus einer schwarzen Umhängetasche | |
kramt Bayala einen schwarzen Laptop hervor und präsentiert seinen Plan. | |
Viel zu sehen ist noch nicht. | |
Das Herzstück ist ein Luftbild, auf dem die brachliegende Fläche vor dem | |
Friedhof zu erkennen ist. Sie wird sonst zum Fußballspielen genutzt. | |
Kleine, gescheckte Ziegen suchen nach Essbarem. In weißer Farbe hat Bayala | |
verschiedene Linien auf das Foto gezeichnet. So könnte es einmal werden. Er | |
wandert mit seinen Augen von rechts nach links über den Platz und fängt an | |
zu erklären, was alles hier entstehen soll. „Wir wünschen uns ein | |
Amphitheater und einen Sportplatz.“ Etwa dort hinten könne der Platz | |
entstehen, deutet er mit der linken Hand vage an. Selbstverständlich | |
brauche ein solches Projekt eine Bibliothek und Räume, in denen sich die | |
Menschen treffen und austauschen könnten. Bayala träumt von Konzerten, | |
Lesungen, Sportwettbewerben. Es soll vor allem eine Begegnungsstätte für | |
junge Menschen sein. In Burkina Faso, wo die Bevölkerung jedes Jahr um mehr | |
als drei Prozent ansteigt, sind 66 Prozent der knapp 19 Millionen Einwohner | |
jünger als 25 Jahre. | |
## Die Hoffnungen sinken | |
Schon Anfang 2015 haben Serge Bayala und seine Freunde die Initiative | |
„Zentrum Thomas Sankara“ gegründet. Das Logo gibt es bereits. Bayala ist | |
der Öffentlichkeitsbeauftragte und reagiert schnell, wenn jemand von ihm | |
Informationen zum Projekt möchte. Kleine Aktionen hat die Initiative schon | |
durchgeführt. Sie haben auf dem großen Platz Müll gesammelt, damit es | |
ordentlich aussieht, aber auch, weil es wohl im Sinne ihres Helden gewesen | |
wäre. In seinen gut vier Jahren an der Macht forderte er schon in den | |
1980er Jahren die Wiederaufforstung seiner Heimat. Das Sahelland ist seit | |
Jahrzehnten stark von Wüstenbildung betroffen. | |
Auf einem Moped fährt langsam ein Mann vorbei, der einen blaugrün | |
gemusterten, selbst geschneiderten Anzug trägt und Bayala grüßend zuwinkt. | |
Auch das sei wichtig: Die Menschen im Viertel müssen mitgenommen werden. | |
Doch obwohl alle hinter der Initiative stehen, fehlt es an finanzieller | |
Unterstützung. „Wir haben auf die Übergangsregierung gehofft, die war | |
neutral“, sagt Bayala und denkt an die Zeit zwischen Compaorés Rücktritt im | |
Herbst 2014 und der Präsidentenwahl im vergangenen November 2015. Doch | |
durch einen Putsch der Präsidentengarde geriet alles andere in den | |
Hintergrund. | |
Serge Bayala klingt längst nicht mehr so optimistisch wie noch vor ein paar | |
Monaten. Da gibt es durchaus Parallelen zu Sankaras Amtszeit. Die Ideen des | |
großen Sozialisten gingen nicht auf. Die Wirtschaft schwächelte, die | |
Unzufriedenheit wuchs. Ältere Burkinabé erzählen noch davon. Doch seine | |
Anhänger hören das nicht gern – auch der 23-jährige Serge Bayala nicht. | |
„Wir bleiben und kämpfen weiter, um das Andenken an Sankara zu bewahren“, | |
sagt er energisch und schließt die Augen, um im Kopf das Sankara-Zentrum | |
schon einmal Wirklichkeit werden zu lassen. | |
9 Jan 2016 | |
## AUTOREN | |
Katrin Gänsler | |
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