| # taz.de -- Experte über die Pandora Papers: „Wir brauchen ein europäisches… | |
| > Die Pandora Papers beleuchten einen weiteren Teil der Schattenfinanzwelt. | |
| > Experte Christoph Trautvetter erklärt, welche Konsequenzen die | |
| > Enthüllungen haben sollten. | |
| Bild: Kreative Demonstration gegen Brasiliens Wirtschaftsminister Paulo Guedes | |
| taz: Herr Trautvetter, waren Sie überrascht von den jüngsten | |
| [1][Enthüllungen aus den Pandora Papers]? | |
| Christoph Trautvetter: Eher nicht. Dass es neben Mossack Fonseca – der | |
| Anwaltskanzlei im Fokus der [2][Panama Papers] – und Appleby aus den | |
| [3][Paradise Papers] noch Hunderte weiterer solcher Dienstleister weltweit | |
| gibt, war ja bekannt. Die Pandora Papers beleuchten einen weiteren | |
| Ausschnitt der Schattenfinanzwelt, aber immer noch nur einen kleinen Teil. | |
| Und die Erkenntnis, dass die Verschleierung mit den Panama Papers nicht | |
| aufgehört hat, ist frustrierend, aber nicht überraschend. | |
| Wie aufwendig sind solche Netzwerkrecherchen mit 11,9 Millionen Daten? | |
| Die Enthüllungen der Pandora Papers sind absolut großartig! Das Verdienst | |
| des Rechercheverbunds ICIJ kann man gar nicht hoch genug einschätzen. | |
| Hunderte Journalisten haben mit einer Datenmenge von 2,9 Terabyte hantiert. | |
| Das ist eine Aufgabe, an der viele Firmen und Behörden scheitern würden. | |
| Das über Länder- und Sprachgrenzen hinweg zu organisieren und geheim zu | |
| halten ist eine Leistung, die die Sicherheitsbehörden in den Schatten | |
| stellt. | |
| Aber wenn Sie nicht überrascht sind: Werden die Recherchen Folgen für | |
| Steuergerechtigkeit haben? | |
| Auf jeden Fall. Die Pandora Papers werden aktuellen Reformbemühungen neuen | |
| Schwung geben sowie weltweit zu Selbstanzeigen und Verfahren führen. Aber | |
| vor allem: Dass jetzt erneut Daten an die Öffentlichkeit gelangt sind, und | |
| diesmal gleich von 14 Dienstleistern, untergräbt das zentrale | |
| Geschäftsmodell der Schattenfinanzwelt. Jemand, der eine anonyme | |
| Briefkastenfirma in der Karibik eröffnen will, wird sich in Zukunft zweimal | |
| fragen, ob er die Anonymität, die er kauft, tatsächlich auch bekommt. Mit | |
| den Pandora Papers nimmt die Angst zu und dadurch wächst die Ehrlichkeit. | |
| Auch viele deutsche Steuerhinterzieher werden sich nicht mehr trauen, weil | |
| die Gefahr zu groß ist, dass sie auffliegen. | |
| Welche Folgen hatten die Enthüllungen der Panama Papers rückblickend? | |
| Die Aufsichtsbehörden in Panama und den britischen Jungferninseln haben den | |
| Firmen einige 100.000 Euro Strafzahlungen auferlegt – angesichts der | |
| Gewinne und des Schadens aus den schmutzigen Geschäften viel zu wenig und | |
| wie man sieht jetzt: eindeutig nicht genug zur Abschreckung. In der EU und | |
| in vielen Ländern wurden in den letzten Jahren sogenannte | |
| Transparenzregister eingeführt. | |
| Deutschland hat seines 2020 öffentlich gemacht, aber so schlecht umgesetzt, | |
| dass es 2021 komplett reformiert werden musste. Die USA, Panama und die | |
| britischen Jungferninseln haben versprochen, ebenfalls ein solches Register | |
| einzuführen. Und schließlich haben die Strafverfolgungsbehörden weltweit | |
| zumindest einen Teil der aufgedeckten schmutzigen Geschäfte aufgearbeitet | |
| und bestraft. | |
| Die Pandora Papers zeigen allerdings noch größeren Handlungsbedarf auf, | |
| oder? | |
| Ja, all diese Maßnahmen haben nicht gereicht, weil sie noch zu viele Lücken | |
| bieten, weil bei den Strafverfolgungsbehörden Personal und Kapazitäten | |
| fehlen, das Problem systematisch zu verfolgen. Und weil die, die es sich | |
| leisten können, langjährige Gerichtsverfahren durchziehen oder eben andere | |
| sichere Häfen ansteuern. | |
| Was zeigt sich noch? | |
| Die Enthüllungen belegen, dass die Panama Papers und die danach | |
| angekündigten Reformen das Problem mit den karibischen | |
| Briefkastengesellschaften nicht gelöst haben. Außerdem werden | |
| Ausweichbewegungen sichtbar: Beispielsweise wurden | |
| Briefkastengesellschaften aus Panama in noch geheimere Vehikel in die USA | |
| verlagert. | |
| Gibt es bei den Pandora Papers eine neue Qualität gegenüber Panama und | |
| Paradise Papers oder Luxemburg Leaks? | |
| Im Prinzip ist es das gleiche Schema F, es sind auch sehr ähnliche Daten. | |
| Wesentliche Unterschiede sind, dass die Informationen teilweise bis 2021 | |
| reichen und dass sich das Leak nicht auf Panama beschränkt, sondern auch | |
| Daten aus Belize, den britischen Jungferninseln, Dubai oder Hongkong | |
| enthält. Deswegen kann man jetzt auch die Ausweichbewegungen nach den | |
| Panama Papers sehen – etwa die Verlagerung der Firmenstruktur des | |
| ecuadorianischen Präsidenten aus Panama nach South Dakota. | |
| Nach unserer Einschätzung aus dem Schattenfinanzindex war die USA 2020 der | |
| zweitgrößte Schattenfinanzplatz der Welt. Dort bekommt man in South Dakota, | |
| Nevada oder Delaware völlig anonyme Stiftungen und Firmen und die USA | |
| nehmen nach wie vor nur beschränkt am internationalen Informationsaustausch | |
| zu Bankkonten teil. Deswegen sind die USA ein gutes Fluchtziel und | |
| vermutlich bald der größte Schattenfinanzplatz der Welt. | |
| Ist es auch eine neue Qualität, dass viele hochrangige Politiker betroffen | |
| sind? | |
| Auch in den Panama Papers gab es eine ganze Reihe davon, aber die Pandora | |
| Papers sind allein vom Umfang her eine neue Dimension mit etwa 330 | |
| hochrangigen Politikern. Und die Berichterstattung macht deren | |
| Doppelzüngigkeit und Interessenkonflikte sehr deutlich: Viele von ihnen | |
| bekunden in der Öffentlichkeit, dass sie gegen Geldwäsche und Steueroasen | |
| vorgehen wollen – und sind zum Teil mit der Bekämpfung von | |
| Schattenfinanzplätzen betraut, die sie selbst nutzen. | |
| Was ist das dreisteste Beispiel aus Ihrer Sicht? | |
| Der [4][Wirtschaftsminister aus Brasilien, Paulo Guedes], der tatsächlich | |
| ein Amnestiegesetz für Offshore-Investments verhandelt hat und mit einer | |
| Briefkastenfirma möglicherweise selbst betroffen war. Ebenso ist der | |
| Präsident aus Ecuador besonders dreist, der sich mit der Ankündigung wählen | |
| ließ, gegen Steuerparadiese vorzugehen und dann seine Firma einfach nur | |
| besser versteckt hat. Ähnliche Geschichten gibt es auch in Kenia und vielen | |
| anderen Ländern. | |
| Welche politischen Folgerungen müssen aus den Enthüllungen gezogen werden? | |
| Eigentlich ist es ganz einfach: Erstens können wir uns nicht auf | |
| Dienstleister und Aufsichtsbehörden aus den Schattenfinanzplätzen | |
| verlassen, weil die Bekämpfung von Offshore-Geschäften schlicht ihr | |
| Geschäftsmodell zerstört. Zweitens können wir uns nicht auf internationale | |
| Verhandlungen verlassen, weil Politiker mit am Tisch sitzen, die selbst von | |
| dem System profitieren und deswegen verhindern, dass am Ende mehr | |
| herauskommt als ein Minimalkompromiss. | |
| Was muss stattdessen geschehen? | |
| Wir können anonymen Briefkastengesellschaften die Geschäfte in Deutschland | |
| verbieten und wir brauchen viel mehr Ermittlungskapazitäten, um | |
| internationale Strukturen aufzudecken. Notwendig wäre eine | |
| Bundesfinanzpolizei und ein europäisches FBI, das in der Lage ist, | |
| grenzüberschreitende komplexe Finanzdelikte zu ermitteln. | |
| Was ist aus Ihrer Sicht die wichtigste Forderung gegen illegale und | |
| verdeckte Finanzströme? | |
| Ein europäisches FBI. Nehmen Sie als Beispiel den Betrugsskandal, bei dem | |
| hunderte deutsche und europäische Anleger um mehrere hundert Millionen Euro | |
| betrogen wurden. Eine wichtige Rolle spielen dabei Briefkastenfirmen aus | |
| Hongkong. Mit solchen Fällen sind die deutschen Strafverfolgungsbehörden | |
| regelmäßig überfordert, weil die grenzüberschreitende Zusammenarbeit sehr | |
| aufwendig ist. Ein europäisches FBI hätte es da einfacher: Es könnte viele | |
| Fälle aus verschiedenen Ländern bündeln und die Ermittlungen könnten mit | |
| deutlich mehr Druck geführt werden, wenn die gesamte EU mit Sanktionen | |
| drohen würde. | |
| Für wie realistisch halten Sie es, dass am Ende von Koalitionsverhandlungen | |
| tatsächlich so etwas umgesetzt wird? | |
| Es ist durchaus denkbar, dass das Thema auch in Koalitionsverhandlungen | |
| Platz findet. Die FDP hat im Wahlprogramm die Idee eines Europäischen | |
| Kriminalamtes. Die Grünen wollen die Finanzpolizei und den Zoll stärken und | |
| ein Immobilienregister einführen. Und die SPD will den Zoll stärken und | |
| erwägt ein globales Register für mehr Transparenz. Selbst bei der Union | |
| gibt es Vorschläge, Europol zu einer Art von FBI weiterzuentwickeln, den | |
| Zoll zu stärken und sogar eine Beweislastumkehr für Vermögen unklarer | |
| Herkunft einzuführen. | |
| Apropos Union: Die Partei hat in Puncto Korruption auch so einiges auf dem | |
| Kerbholz. Warum finden sich so wenige deutsche Namen im Leak? | |
| Das war schon in den Panama Papers und den Paradise Papers ähnlich. Das | |
| heißt aber nicht, dass deutsche Politiker die Schattenfinanzwelt nicht | |
| genauso nutzen. Aus früheren Leaks und Steuer-CDs wissen wir: Sie | |
| bevorzugen dafür andere Orte – zum Beispiel Liechtenstein, Dubai, Monaco, | |
| Gibraltar oder Zypern und nicht Panama oder Belize. Und selbst wenn | |
| Deutsche oder die Geschäftspartner von deutschen Politikern karibische | |
| Briefkastengesellschaften aus dem Leak genutzt haben, heißt das noch lange | |
| nicht, dass die Journalisten das auch in den Unterlagen sehen würden. Oft | |
| fehlen schlicht die Informationen, wofür die Briefkästen genutzt wurden, | |
| wohin das dort gewaschene Geld geflossen ist. | |
| Wie viel Geld steckt eigentlich insgesamt in den Schattenfinanzplätzen? | |
| Mehrere Schätzungen gehen von rund zehn Billionen US-Dollar aus, die anonym | |
| durch die Welt fließen. Andere kommen sogar auf 20 bis 30 Billionen | |
| US-Dollar. | |
| Zur Einordnung: Zehn Billionen ist eine 1 mit 13 Nullen und soviel wie die | |
| fünf größten Staatshaushalte von den USA, China, Japan, Deutschland und | |
| Frankreich zusammen. Wie schätzt man das überhaupt? | |
| Dafür gibt es unterschiedliche Methoden. Der Wirtschaftswissenschaftler | |
| Gabriel Zucman etwa nutzt die Lücken aus den Berichten von Banken. Die | |
| melden regelmäßig an die Bank für den internationalen Zahlungsausgleich und | |
| an den internationalen Währungsfonds, wie viel Geld aus welchen Ländern bei | |
| ihnen angelegt ist und wie viel Geld ihre Kunden in anderen Ländern | |
| angelegt haben. | |
| Vereinfacht gesprochen gibt es also eine Zahl aus der Bundesrepublik, wie | |
| viel Geld Deutsche in Luxemburg investiert haben und eine aus Luxemburg, | |
| wie viel Investments in Luxemburg von Deutschen gehalten werden. Die Zahl | |
| aus Luxemburg und vielen anderen Schattenfinanzplätzen ist dabei | |
| systematisch höher, weil sie auch das versteckte Vermögen kennen. Aus der | |
| Lücke lässt sich dann ungefähr das anonyme Vermögen schätzen. | |
| Aber was ist mit Immobilienvermögen oder Luxusgütern? | |
| Mit der beschriebenen Methodik lässt sich nur das Finanzvermögen erfassen. | |
| Bezieht man andere Vermögenswerte wie Yachten, Gemälde, Gold und Immobilien | |
| und schätzt, welchen Anteil die an einem typischen Portfolio ausmachen, | |
| kommt man auf deutlich höhere Summen. Ganz grob gesprochen liegt jeder | |
| zehnte bis zwanzigste Dollar weltweit anonym in Schattenfinanzplätzen. | |
| In den Pandora Papers geht es auch um Immobilien in Innenstadtlagen, die | |
| über Briefkastenfirmen verschleiert erworben wurden – etwa von der | |
| aserbaidschanischen Herrscherfamilie, dem [5][tschechischen | |
| Ministerpräsidenten Andrej Babiš] oder auch einem Vertrauten von Wladimir | |
| Putin. Ist das vor allem ein Problem von Autokraten bzw. in Oligarchien? | |
| Es ist ein weltweites Problem, das je nach Land in unterschiedlichen | |
| Facetten auftritt. Wir sehen, dass sich reiche und korrupte Potentaten | |
| weltweit gerne Villen in London, Florida oder an der Côte d’Azur kaufen. In | |
| Deutschland gibt es das vergleichsweise selten. Dafür ist Deutschland sehr | |
| beliebt als Investitionsziel. | |
| Inwiefern? | |
| In Deutschland standen in den letzten Jahren vergleichsweise viele und | |
| günstige Mietobjekte zum Verkauf. In Berlin gibt es 85 Prozent | |
| Mietwohnungen. In London sind es nur 50 Prozent. Der Spielraum für | |
| Schattenfinanzinvestitionen ist hier also viel größer. Und anders als quasi | |
| alle Nachbarländer veröffentlicht Deutschland keine Informationen zu | |
| Immobilieneigentum. | |
| Österreich, Schweiz, Dänemark, Tschechien, Luxemburg und Frankreich haben | |
| öffentliche Immobilienregister. Nur Deutschland weigert sich bisher. Das | |
| heißt, wenn die Journalisten im Leak eine Briefkastenfirma finden, können | |
| sie gar nicht überprüfen, ob sie Immobilien in Deutschland hält. Deswegen | |
| ist zwar bekannt, welche Immobilien der Präsident aus Aserbaidschan in | |
| London besitzt, für Deutschland findet sich dort nur der kryptische Verweis | |
| „hält Immobilie in Berlin, Deutschland“. | |
| Ist nicht damit zu rechnen, dass sich das Kapital einfach in die nächste | |
| Nische flüchtet, sobald Steueroasen ausgetrocknet sind? Machen die dann | |
| vielleicht eher in Kryptowährungen wie Bitcoin oder Monero? | |
| Man könnte ergänzen: Gemälde, die in Freihandelszonen am Flughafen in Genf | |
| gelagert sind oder Goldbarren unterm Kopfkissen. Aber ich würde das nicht | |
| überbewerten. Das Vermögen in der Schattenfinanzwelt ist einfach um ein | |
| Vielfaches zu groß, um es in Bargeldkoffer, Goldbarren und unsichere | |
| Krypto-Assets zu übertragen. Außerdem sind bei Kryptowährung die meisten | |
| Transaktionen öffentlich aufgezeichnet. Vielleicht hat die Polizei in fünf | |
| oder zehn Jahren die Möglichkeiten, die entsprechenden Informationen zu | |
| knacken. Wie bei einer eingefrorenen Doping-Probe. Die Gefahr bleibt. | |
| 11 Oct 2021 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Pandora-Papers-zu-Offshore-Geschaeften/!5805273 | |
| [2] /Die-Maechtigen-aus-den-Panama-Papers/!5292085 | |
| [3] /Paradise-Papers-Enthuellungen/!5457878 | |
| [4] https://english.elpais.com/usa/2021-10-03/pandora-papers-in-latin-america-t… | |
| [5] /Vorwuerfe-gegen-Tschechiens-Premier/!5801470 | |
| ## AUTOREN | |
| Gareth Joswig | |
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