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# taz.de -- „Bring mich nach Hause“ im ZDF: Ein beherztes Plädoyer
> Ein Film zum Thema Wachkoma bezieht eindeutig Stellung: Zu Sterbehilfe,
> Gerätemedizin und gegen die Geschäftsmodelle von Pflegedienstleistern.
Bild: „Ungleiche Schwestern“ hat man oft im Fernsehfilm. Aber hier geht es …
Es geht los wie in einem TV-Familienfilm, und das ist es in gewisser Weise
ja auch. Zwei Schwestern, wie sie gegensätzlicher nicht sein könnten – oder
es eben nur in einer Seifenoper sind. Ulrike (Silke Bodenbender) lebt in
ihrem Heimatdorf, mit Mann und Kindern und dem lieben Gott, an den sie ganz
fest glaubt. Sandra ([1][Anneke Kim Sarnau]) hingegen ist ausgezogen in die
große Stadt, wo sie gerade Karriere als (Natur-)Wissenschaftlerin macht.
Die Schwestern haben sich nicht viel zu sagen, ihre Leben haben nicht viel
miteinander zu tun.
Bis beide sich hoffnungslos in denselben Chefarzt verlieben …
Nein, Spaß, tun sie nicht, denn in diesem Genre sind wir dann doch nicht.
Die Liebe der beiden Schwestern wird auf viel weniger romantische Weise auf
die Probe gestellt. Durch ihre Mutter, die im Koma liegt. „Selbst wenn Ihre
Mutter aufwachen sollte“, heißt es im Krankenhaus. „wird sie nicht wieder
zu Bewusstsein kommen. Sie wird in jedem Falle schwer hirngeschädigt sein.
Das geht in der Regel mit einer extrem geringen Lebensqualität einher.“
Wie geht man mit so einer Nachricht um? Ulrike maximal emotional und arg
unbedarft; Sandra so sachlich wie möglich, so skeptisch wie nötig. Ihre
Reaktion, als die Mutter (Hedi Kriegeskotte) die Augen öffnet, könnte
gegensätzlicher nicht sein: Ulrike hofft das Beste – Sandra ahnt das
Schlimmste. „Was bist du, ohne Bewusstsein?“, fragt Sandra. „Ein lebendig…
Wesen, das Gott genauso liebt“, antwortet Ulrike. Ihren Kindern versichert
sie: „Ganz sicher geht es ihrer Seele gut. Ganz sicher.“
## Geld spielt eben eine Rolle
Da ist der Streit etwa um die monatlichen Leasingraten für ein Auto, das
die Mutter nie wieder fahren wird, vorprogrammiert. Geld spielt eben eine
Rolle. Im Krankenhaus kann die Mutter in ihrem Wachkoma (nach einer
Gehirnblutung) nicht bleiben, eine Patientenverfügung zum Abschalten der
Apparate scheint es nicht zu geben, sie soll ins Pflegeheim. „Unser
Eigenanteil läge bei mindestens zweitausendfünfhundertirgendwas Euro im
Monat“, rechnet Ulrikes Mann ihr vor.
„Bei uns menschelt es richtig doll. Diese Medizin bewirkt oft mehr als jede
Pille“, nährt die Leiterin des Pflegeheims ihre Hoffnung. Sie tut das auch
noch, als die Mutter immer mehr an Gewicht verloren und ein offenes
Druckgeschwür entwickelt hat, als ihr sämtliche Zähne aus dem inzwischen
verfaulten Kiefer gezogen werden müssen: „Wir finden, dass sich Ihre Mutti
gut eingelebt hat. Also, soweit man natürlich davon sprechen kann.“ Und:
„Also erst mal muss ich Ihnen sagen, dass Ihre Mutti eine ganz tolle
Persönlichkeit hat. Das überträgt sich auf jeden, der ihr Zimmer betritt.“
Es gibt da in dem Pflegeheim auch noch eine Pflegerin, die den Traumfänger,
den der Enkel seiner Oma gebastelt hat, in den Papierkorb wirft mit den
Worten: „Du, das ist ein dummer, heidnischer Brauch. Das braucht deine
liebe Oma hier gar nicht. Hier passt der liebe Gott auf sie auf.“ Unterm
Arm trägt die Pflegerin dabei eine Illustrierte mit dem Titelthema:
„Herzhafte Hack-Diät“.
Das kann man schon mehr als nur leicht übertrieben nennen, es soll aber
kein Slapstick sein. Dieter Hallervorden gehört nicht zum Cast, ebenso
wenig hat sich hier Til Schweiger das Thema Wachkoma als Fortsetzung zu
seiner Alzheimer-Schmonzette „Honig im Kopf“ ausgesucht. Der Film von
Christiane Balthasar (Regie) und Britta Stöckle (Buch) will nicht
warmherzig sein. Er ist eine eindeutige Stellungnahme, ein beherztes
Plädoyer: für die [2][Sterbehilfe], gegen die Gerätemedizin und das
Geschäftsmodell der Pflegedienstleister. Ulrike, und das ist ihr Zweck in
dieser lehrfilmhaften Versuchsanordnung, exerziert mit ihrem Einlenken auf
die Linie der Schwester am Ende vor, was richtig ist – und was von Anfang
an falsch war. Damit es auch der letzte Zuschauer noch begreift.
Und es könnte natürlich sein, dass es wirklich richtig ist.
25 Oct 2021
## LINKS
[1] /ARD-Polizeiruf-aus-Rostock/!5654359
[2] /Streitgespraech-zur-Sterbehilfe/!5029032
## AUTOREN
Jens Müller
## TAGS
Sterbehilfe
ZDF
Film
Dokumentarfilm
Mainz
Schwerpunkt Armut
Ibiza-Affäre
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