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# taz.de -- Aufforstung in Deutschland: Gehölz fürs Gewissen
> In Mecklenburg-Vorpommern verkauft der Tourismusverband sogenannte
> Waldaktien. Ein echter Beitrag zum Klimaschutz oder nur ein
> Marketing-Gag?
Bild: Finden Sie den Laubbaum. Mecklenburg ist das waldärmste Bundesland mit w…
Wenn Olaf Schwahn den Erfolg seiner Aufforstungen messen will, muss er sich
nur neben die Bäume stellen, die in seinem Revier wachsen: Vor zehn Jahren
hat der Förster die ersten Traubeneichen im mecklenburg-vorpommerischen
Malchow in die Erde gesetzt – heute sind die meisten einen Kopf größer als
er.
„Das ist schon richtiger Wald“, freut sich Schwahn, während er die Schonung
abschreitet, immer darauf bedacht, nicht versehentlich einen Ast
abzubrechen. Über 100.000 Bäume sind es inzwischen: Traubeneichen,
Winterlinden, Lärchen, Roteichen, Flatterulmen. Und das ist erst der
Anfang. In den nächsten zehn Jahren soll sich die Anzahl noch einmal
verdoppeln.
Es ist Ende März. Rein optisch sieht der Wald, den der Revierförster
inspiziert, noch ziemlich trostlos aus. Kahle Stämme, keine Blüten,
vertrocknete Blätter aus dem vergangenen Herbst. Doch der Eindruck täuscht.
Von der Wühlmaus bis zum Wildschwein tummeln sich unzählige Lebewesen in
dem 19 Hektar großen Areal. Waldameisen krabbeln über den sandigen Boden,
der von der letzten Regenperiode noch feucht ist – ein guter Jahresstart in
Zeiten, in denen die Sommer immer trockener und heißer werden.
Der Wald in Malchow ist ein besonderer Ort. Er existiert nur deshalb, weil
Privatleute und Unternehmen dafür bezahlt haben. Sie haben eine „Waldaktie“
erworben, mit deren Hilfe das Land Mecklenburg-Vorpommern neue Bäume
pflanzt. Waldaktien sind keine echten Wertpapiere, sondern ein symbolischer
Beitrag zum Klimaschutz: Für alle zehn Euro, die jemand spendet, schafft
das Land fünf Quadratmeter Wald. Auf diese Weise soll man, ähnlich wie es
bei Flugreisen angeboten wird, die eigenen C02-Emissionen ausgleichen
können.
Ausgedacht hat sich das Modell der Tourismusverband. Dieser geht davon aus,
dass eine vierköpfige Familie während ihres Urlaubs rund 200 Kilogramm CO2
freisetzt, wenn sie per Auto anreist, im Hotel übernachtet und den üblichen
Freizeitaktivitäten nachgeht – immer noch deutlich weniger als beim Flug
nach „Malle“, aber eben auch mehr als bei einer Fahrt mit dem Zug.
Die Waldaktie soll nun Abhilfe schaffen: Neues Holz bindet CO2, speichert
Wasser, und das tut not in Deutschlands waldärmstem Bundesland, das in den
letzten Jahren verstärkt von Dürren heimgesucht wurde. Das Angebot richtet
sich hauptsächlich an Urlauberinnen und Urlauber, aber auch Firmen können
Waldaktien kaufen, um ihre Umweltbilanz aufzubessern. Und ihr Image.
Obwohl der Tourismusverband kaum Werbung für das Projekt macht, wurden seit
2007 insgesamt 100.000 Waldaktien verkauft. Mit den Einnahmen konnten 19
sogenannte Klimawälder gepflanzt werden, von der Insel Rügen bis zur
Mecklenburgischen Seenplatte, vom Schaalsee bis Usedom, insgesamt mehr als
100 Hektar.
Laut Landeswaldgesetz dürfen durch die Waldaktien keine Projekte umgesetzt
werden, die ohnehin geplant waren. So soll sichergestellt sein, dass es
sich auch wirklich um zusätzliche Aufforstungen handelt und nicht einfach
nur Geld eingespart wird. Und: Die Wälder sollen dem Klimawandel
standhalten. Statt Monokulturen werden deshalb robuste Baumarten gepflanzt,
die eine gewisse Trockenheit ertragen.
In Malchow setzt Revierförster Olaf Schwahn auf eine „bunte Mischung an
Pflanzen“, wie er sagt: Holunder, Schwarzdorn und Feldahorn an den Rändern;
Traubeneichen, Flatterulmen und Vogelkirschen im Inneren. In Zeiten, in
denen gerade keine Pandemie grassiert, kommen Kindergartengruppen vorbei,
um beim Pflanzen zu helfen. Zudem gibt es regelmäßige Pflanztage, an denen
sich die Waldaktionäre ihr „Investment“ aus der Nähe ansehen können.
Doch nicht nur Touristen, sondern auch Einheimische haben ihre Freude an
dem Gehölz: „Die Malchower sehen das inzwischen als ihren Rundweg an“, sagt
Schwahn. Der 2,5 Kilometer lange Pfad führt vom Wanderparkplatz aus an den
Jungbäumen vorbei. Ein Holzschild weist darauf hin, dass es sich um einen
Klimawald handelt. „Wenn dort mal Müll liegt oder ein herrenloses Fahrrad,
sagen sie sofort Bescheid“, freut sich der Revierförster.
So positiv das Projekt klingt, so tückisch ist jedoch manches Detail. Vor
allem die zunehmende Dürre setzt den Jungbäumen zu. „Alles hat seine
Grenzen“, erklärt Bernd Pöppel, der zuständige Forstamtsleiter. „Wir hat…
jetzt zwei Extremsommer hintereinander, in denen die Temperaturen über 40
Grad lagen. Da haben mir die Bäume richtig leidgetan.“ Zusätzlich schaden
Mäuse den jungen Trieben. Im Schnitt gehen zehn Prozent der neu gepflanzten
Bäume wieder ein. Immerhin hat das Land für solche Fälle vorgesorgt:
Klimawälder, die durch Trockenheit, Schädlinge oder Orkane zerstört werden,
forstet das Land mit eigenen Mitteln wieder auf.
Während die Verantwortlichen von ihrem Projekt voll und ganz überzeugt
sind, kommen von außen kritische Stimmen. So räumen Naturschutzverbände wie
der BUND zwar ein, dass Neupflanzungen ein probates Mittel sind, um dem
Klimawandel entgegenzutreten. Aber: „Wie viel Kohlendioxid am Ende wirklich
gebunden wird, kann man gar nicht genau sagen“, kritisiert Corinna Cwielag,
Geschäftsführerin des BUND in Mecklenburg-Vorpommern. Schließlich gingen
viele der Neupflanzungen durch die extreme Trockenheit kaputt – in den
kommenden Jahren wahrscheinlich noch mehr als bisher.
Darüber hinaus sieht sie grundsätzliche Probleme. Seit Jahren steigt die
Zahl der Übernachtungen in Mecklenburg-Vorpommern: 2019, vor Corona, auf
den bisherigen Höchstwert von über 34 Millionen. Gleichzeitig hat sich der
Anteil der Urlauberinnen und Urlauber, die per Pkw anreisen, in den
vergangenen zehn Jahren kaum verändert. Er liegt immer bei knapp über oder
unter 80 Prozent.
„Eigentlich müsste man den Leuten für eine Bahnfahrt eine Waldaktie in die
Hand drücken“, sagt Cwielag. Dafür mache der Tourismusverband aber kaum
Werbung. Auch sonst zeige die Landesregierung eine fragwürdige Doppelmoral:
Einerseits würden neue Klimawälder gefeiert, andererseits zerstöre man
existierenden Wald.
„Seit Jahren kämpfen wir gegen ein neues Gewerbegebiet an der A 14“,
berichtet Cwielag. In dem Areal in Südwestmecklenburg sollen 130 Hektar
Wald abgeholzt werden. „Das ist mehr als die gesamte Fläche, die durch
Waldaktien gepflanzt wurde“, schimpft die Naturschützerin. „Wenn man den
Klimaschutz ernst nähme, dürfte man gar nicht mehr roden, schon gar nicht
in einem waldarmen Bundesland wie Mecklenburg-Vorpommern.“
Spricht man die Verantwortlichen auf diese Kritik an, reagieren sie
durchaus mit Verständnis. „Die mangelnde Werbung ist ein wunder Punkt“,
räumt Thorsten Permien, der zuständige Referatsleiter im
Landesumweltministerium, ein. Bislang habe man die Waldaktie ausschließlich
über einen Onlineshop vertrieben. Dies werde sich aber demnächst deutlich
verbessern: „Wir sind aktuell dabei, im Ministerium eine Geschäftsstelle
zum Thema Öko-Wertpapiere einzurichten“, erklärt Permien. So will man die
Angebote in Zukunft besser kommunizieren.
Und die grundsätzliche Kritik? „Es ist richtig, dass
Kompensationsmöglichkeiten nicht zu dem Gedanken führen dürfen, dass alles
machbar ist, weil es ja kompensiert werden kann“, erwidert der
Referatsleiter. Er sagt aber auch: „Übertragen auf den Tourismus bedeutet
dies genau genommen, nicht zu verreisen.“ Die Waldaktie sieht er deshalb
als Kompromiss: nicht perfekt, aber immer noch besser, als gar nicht zu
kompensieren und trotzdem mit dem Auto anzureisen. Dass das Land einerseits
Wald aufforstet und an anderer Stelle fällt, mindert aus seiner Sicht den
Wert der Waldaktien nicht. Man müsse eben die Instrumente nutzen, die es
gibt.
Aber taugen sie nun etwas, diese Instrumente? „Hierzu gibt es in der Tat
sehr unterschiedliche Auffassungen“, sagt Stefan Schaltegger, Professor für
Nachhaltigkeitsmanagement an der Leuphana-Universität Lüneburg. Aus seiner
Sicht tendiert jede Seite dazu, „die eine halbe Wahrheit zu betonen“.
Schaltegger weist vor allem auf zwei Punkte hin: Zum einen müsse es sich um
Wälder handeln, die nicht ohnehin gepflanzt werden (was bei den Waldaktien
also gegeben ist). Zum anderen dürften Bäume erst ab etwa drei Jahren in
die Klimabilanz eingerechnet werden, weil sie vorher kein CO2 binden (was
bei Waldaktien nicht geschieht). Grundsätzlich rät der
Nachhaltigkeitsforscher dazu, lieber „überzukompensieren“, also mehr zu
pflanzen, als die Zertifikate vorsehen. „So können Unsicherheiten, zum
Beispiel im Falle eines Waldbrandes, gepuffert werden.“
Was unwiederbringlich zur nächsten Frage führt: Bringt das Ganze überhaupt
etwas, oder sind Aufforstungen am Ende nur ein Tropfen auf den heißen
Stein? In der Wissenschaft wird diese Frage seit einigen Jahren lebhaft
diskutiert. Vor zwei Jahren untersuchten Forschende der Eidgenössischen
Technischen Hochschule Zürich (ETH), ob sich der Klimawandel mithilfe von
Neupflanzungen stoppen lässt.
Das Ergebnis der Studie: Es ginge – aber nur in einem gigantischen Ausmaß.
Um nennenswert Kohlendioxid aus der Atmosphäre zu filtern, müssten weltweit
etwa 900 Million Hektar Wald gepflanzt werden. Das entspricht in etwa der
Fläche der Vereinigten Staaten. Mit ein paar Klimawäldern in
Mecklenburg-Vorpommern wäre es demnach also nicht getan.
Doch auch die ETH-Studie selbst rief Kritik hervor. So bezeichnete der
Agrarwissenschaftler Eike Lüdeling von der Uni Bonn das zugrunde liegende
Modell als „viel zu undifferenziert“. Die Schweizer Studie sehe
Aufforstungspotenzial in Gegenden, die dafür überhaupt nicht geeignet
seien.
Lüdeling spricht vor allem die starke landwirtschaftliche Nutzung vieler
Gegenden an – wo soll da noch Wald entstehen?! Darüber hinaus sei es an
vielen Orten schlicht zu kalt oder zu warm, um schnell einen neuen Wald
heranzuzüchten. Die enorme Dimension des Aufforstens – laut ETH müsste der
weltweite Waldbestand um 25 Prozent wachsen – hält Lüdeling schlicht für
nicht machbar. Auch seien die Kosten enorm. „Die Umstellung unseres
Energiesystems wäre weitaus günstiger“, sagt der Professor.
Schon heute lösen ambitionierte Aufforstungsprojekte nicht selten Konflikte
aus. So kommt es im indischen Bundesstaat Telangana seit einigen Jahren zu
Zusammenstößen zwischen der lokalen Bevölkerung und Bediensteten der
Forstbehörde. Während die Regierung aus Klimaschutzgründen Setzlinge
pflanzt, sprechen die Einwohner von Landraub.
Immerhin benötigten sie die Fläche, um Nahrungsmittel anzubauen. Überträgt
man dieses Szenario auf den Rest der Welt, zeichnet sich eine klare
Konfliktlinie ab: Je mehr Wälder gepflanzt werden, desto stärker tritt
Klimaschutz in Konkurrenz zu Nahrung und Wasser. Ein Anwachsen des globalen
Waldbestandes um 25 Prozent erscheint unter diesen Vorzeichen mehr als
fraglich.
Auch innerhalb der EU schreien nicht alle automatisch Hurra, wenn neue
Bäume gepflanzt werden. Beispiel Irland: Hier treibt die Regierung ein
striktes Aufforstungsprogramm voran; bis 2046 sollen 18 Prozent des Landes
mit Wald bedeckt sein (heute sind es etwa 11 Prozent). Verwendet werden
dabei meist aber keine einheimischen Bäume, sondern vor allem die aus
Nordamerika stammende Sitka-Fichte. Die wächst schnell und lässt sich gut
zu Baumaterial verarbeiten, steht aber in Verdacht, den irischen Boden zu
versauern und auszutrocknen. Auch hier hagelt es Proteste.
„An den richtigen Stellen kann man mit den richtigen Bäumen durchaus etwas
Gutes tun“, fasst Agrarwissenschaftler Lüdeling seinen Standpunkt zusammen.
„Aber es fehlt einfach die Fläche. Stellen wir uns doch nur mal vor, wo in
unserer eigenen Stadt noch ein Wald entstehen könnte.“ Statt blind darauf
zu setzen, immer mehr Bäume zu pflanzen, müsse es vielmehr darum gehen, CO2
zu reduzieren.
„Es gibt effizientere Wege, den Klimawandel zu stoppen“, so Lüdeling. „Z…
Beispiel so schnell wie möglich aus der Kohlekraft auszusteigen.“ Überträgt
man diese Forderung auf die Tourismusregion Mecklenburg-Vorpommern, deckt
sie sich mit den Aussagen des BUND: Klimawälder gut und schön, aber noch
besser wäre es, mit der Bahn in den Urlaub zu fahren.
Ob potenzielle Waldaktien-Nachahmer all das im Blick behalten, ist noch
unklar. In Nordrhein-Westfalen spricht Kommunalministerin Ina Scharrenbach
(CDU) jedenfalls von einem „hervorragenden Instrument für den Klimaschutz“.
Auf Nachfrage bestätigt das dortige Landesumweltministerium, Waldaktien
einführen zu wollen, nennt aber keine Details. Nur so viel: Auch in NRW
sollen künftig sowohl Privatpersonen als auch Unternehmen in einen
Waldfonds einzahlen können. Stürme, Dürre und Borkenkäfer haben die Wälder
dort in den letzten Jahren massiv geschädigt. Allein bei Fichten sind seit
2018 mehr als 31 Millionen Kubikmeter Schadholz angefallen.
In Malchow begutachtet Revierförster Olaf Schwahn derweil den jüngsten
Zugang in seinem Klimawald: Die Traubeneichen, die im vergangenen Jahr
gepflanzt wurden, sind gerade einmal so groß wie ein DIN-A4-Blatt. „Die
kämpfen noch“, sagt Schwahn, der inständig hofft, dass sie den Sommer
überstehen.
Die Jungbäume sollen nicht nur die Klimabilanz der Urlauber verbessern,
sondern auch dazu beitragen, dass die Malchower Wälder vielfältiger werden.
Am Rande der Aufforstungen zeichnet sich ein Kiefernwald ab. Die Bäume
wurden vor 90 Jahren als Monokultur angelegt: immergrün, einheitlich und
damit besonders anfällig für Schädlinge. Den Klimawäldern in
Mecklenburg-Vorpommern soll es einmal anders ergehen. Noch ist der Kampf
nicht verloren.
22 Oct 2021
## AUTOREN
Steve Przybilla
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Umweltschutz
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Wohnungsbau
Schwerpunkt Klimawandel
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Damit sie nicht andere Bäume in die Tiefe reißen, werden sie gefällt.
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