# taz.de -- Sanierung von Wäldern im Rheinland: Bäume fällen, um Wald zu ret… | |
> Der Klimawandel gefährdet das Rheintal: Die Dürre rafft viele Buchen | |
> dahin. Damit sie nicht andere Bäume in die Tiefe reißen, werden sie | |
> gefällt. | |
Bild: Sicherung der Steilhänge durch natürliche Terrassierung der Steilhänge… | |
BOPPARD taz | „Stopp – Forstarbeiten – Lebensgefahr!“ Ein Banner zwisch… | |
zwei Bäumen versperrt den Zugang zu dem Forstcamp im „Brandswald“ der | |
Gemarkung Holzfeld, hoch über dem Rheintal bei Boppard. Zehn Meter weiter | |
beginnt die Abrisskante. Dort geht es unvermittelt bergab. Die extrem | |
steilen Hänge des Mittelrheins, die der Fluss in Jahrmillionen in das | |
Rheinische Schiefergebirge eingeschnitten hat, werden hier vom Niederwald | |
zusammengehalten, von Krüppeleichen, Gebüsch und Sträuchern. Noch. | |
Durch die [1][extrem trockenen Sommer und den Klimawandel] steht dieser | |
Wald auf der Kippe. Axel Henke, Leiter des zuständigen Forstamts Boppard, | |
spricht von einer „tickenden Zeitbombe“. Nahezu alle Buchen, darunter 30 | |
Meter hohe Baumriesen, sind bereits abgestorben. Sie drohen bei Wind oder | |
Starkregen umzufallen und Erde, Geröll und andere Bäume mit ins Tal zu | |
reißen. | |
An diesem trüben Morgen wird der Verkehrslärm aus dem Rheintal vom Nebel | |
verschluckt. Doch in 100 Meter Tiefe verlaufen hier wichtige Bahn- und | |
Straßenverbindungen. Das Team von Landesforsten Rheinland-Pfalz versucht, | |
mit Unterstützung von ExpertInnen der Universität Freiburg und einer | |
Spezialfirma in einem Pilotprojekt diesen Wald zu sichern. Es scheint | |
paradox. Um ihn zu erhalten, müssen zunächst in großem Stil Bäume gefällt | |
werden. | |
## 150.000 Hektar in kritischem Zustand | |
Bis zum Zweiten Weltkrieg wurden die „Niederwälder“ an den Hängen der | |
Flusstäler in dieser Gegend genutzt und dadurch gleichzeitig gepflegt. | |
Regelmäßig wurde Holz entnommen, bis zum Baumstumpf, „auf den Stock“ | |
geschlagen“. So wuchsen keine Baumriesen, der Wald blieb Niederwald. | |
Die meisten großen Bäume jedoch, die inzwischen gewachsen sind, weil sich | |
die aufwendige forstliche Nutzung für die Waldbesitzer nicht mehr lohnte, | |
sind infolge von [2][Trockenheit und Erwärmung] abgestorben und werden | |
jetzt zur Gefahr. Die Wurzelbasis ist klein, die große Biomasse bringt den | |
Baum aus dem Gleichgewicht. Die schweren Kronen neigen sich oft talwärts. | |
Die Bäume gelten nicht mehr als „verkehrssicher“. | |
150.000 Hektar solcher Niederwälder in kritischem Zustand haben die | |
Experten von Uni und Landesforsten identifiziert. Hier, am Hang über | |
Rheinkilometer 560 und 561, wird in einem Pilotprojekt erprobt, wie ein | |
solcher Wald saniert, gesichert und neu aufgeforstet werden kann. | |
## Arbeit an Hängen gefährlich | |
Zwei Bergungsteams arbeiten an diesem Tag, eins unten im Hang und ein | |
zweites oben an der Abrisskante, 100 Meter über dem Tal. Von oben sind die | |
Arbeiten unten nicht einsehbar, eine der vielen spärlich bewaldeten | |
Felskuppen versperrt die Sicht. Im Tal, an den auslaufenden Hängen, stehen | |
die größten Baumleichen. Manche fallen bereits, wenn man an ihnen mit | |
Seilwinden rüttelt, berichtet der Projektleiter. | |
Die Arbeit an diesen Hängen mit bis zu 90 Prozent Gefälle ist schwer und | |
gefährlich. Während der Arbeiten ist der Bahnverkehr im Tal zwischen | |
Oberwesel und Boppard eingestellt. Die Männer mit ihren Motorsägen sind zu | |
ihrer Sicherheit angeseilt. Auch die Bäume werden mit Seilen fixiert, bevor | |
die Sägen zum Einsatz kommen. Sie sollen kontrolliert fallen, möglichst | |
quer zum Hang. | |
Ihre Baumstümpfe bleiben stehen, wo immer möglich. Auch die Wurzeln der | |
abgestorbenen Bäume tragen noch zur Sicherung der Böden bei. Quer zum Hang | |
werden Stämme und Äste abgelegt, die Baumstümpfe sichern sie gegen das | |
Abrutschen. Im Idealfall entstehen so natürliche Terrassen, an denen sich | |
Biomasse sammeln und zu Humus werden kann. | |
Mit den Baumfällarbeiten musste bis zum Ende der Vegetationsperiode | |
gewartet werden, nicht nur wegen brütender Vögel. „Die Arbeiten wären noch | |
viel gefährlicher, wenn die Bäume ihr Laub nicht verloren hätten, mit | |
Blattwerk geraten sie noch viel leichter ins Rutschen“, sagt | |
Forstamtsleiter Henke. | |
## Wasserrinnen müssen frei bleiben | |
Zur Vorbereitung der Aktion wurde jeder einzelne Baum in diesem Abschnitt | |
kartiert und markiert. Die mit grünen Strichen müssen fallen, weil sie tot | |
oder talwärts geneigt sind. Gerade gewachsene und gesunde Bäume erhalten | |
einen weißen Kringel; sie bleiben stehen, gleichsam als Sicherheitsanker. | |
„Manchmal entdecken wir im Gelände Reste von Trockenmauern, mit denen | |
unsere Vorfahren die Hänge terrassiert und so gesichert haben“, berichtet | |
Henke und fügt hinzu. „Unsere Vorfahren wussten, was sie da machten. Es ist | |
schade, dass dieses Wissen so schnell verloren gehen konnte.“ | |
Die Wasserrinnen müssen frei bleiben, damit das Regenwasser ablaufen kann. | |
Ein Teil der gefällten Bäume kann deshalb nicht vor Ort bleiben. Diese | |
überzähligen Baumstämme werden aufwendig mit einer Seilbahn auf einem | |
Schlitten in die Höhe gezogen. Das auf solche Forstarbeiten spezialisierte | |
Unternehmen Marco Susenberg hat eine Seilbahn eingerichtet. Ein fixierter | |
Seilkran bildet die Bergstation auf der Höhe. Ein zweiter Kranwagen mit | |
Seilwinde übernimmt das geborgene Material und legt es auf dem Holzplatz | |
ab. | |
Gleich daneben, in einer Baumschule, mit einem Bretterzaun vor Wildverbiss | |
gesichert, wächst die Hoffnung für die Zukunft: Setzlinge von Flaum- und | |
Zerreichen, die gegen Hitze und Trockenheit resistenter sind als Buchen und | |
Linden. Nach Abschluss der Baumfällarbeiten sollen auf dem Kamm 200 kleine | |
Bäume gepflanzt werden, auch mediterrane Steineichen. Wenn sie angewachsen | |
sind, sollen ihre Samen im Tal Wurzeln ziehen und zu Bäumen heranwachsen, | |
die der Trockenheit trotzen. | |
Auf fünf Hektar sammeln die ExpertInnen hier Erfahrungen, die bei der | |
Sicherung großer, von der Trockenheit bedrohter Waldflächen nützen können. | |
Das Problem: „Weder die kommunalen noch die privaten Waldbesitzer werden | |
den erheblichen Aufwand dafür finanzieren können“, fürchtet Forstamtsleiter | |
Enke. „Es werden öffentliche Förderprogramme nötig sein, um diese | |
Waldflächen dauerhaft zu sichern“, sagt er der taz und fügt bedauernd | |
hinzu: „Wir müssen uns wohl leider von den Wäldern mit ihren 30 Meter hohen | |
Buchen verabschieden. Das ist deprimierend.“ | |
19 Nov 2021 | |
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## AUTOREN | |
Christoph Schmidt-Lunau | |
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