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# taz.de -- Bosnien und Herzegowina in Auflösung: In den Köpfen ist der Krieg…
> Absetzbewegungen der serbischen Teilrepublik von dem Gesamtstaat wecken
> bei vielen schmerzhafte Erinnerungen. Doch Serben-Chef Dodik zündelt
> weiter.
Bild: Milorad Dodik, der starke Mann der serbischen Nationalisten
Sarajevo taz | Die Menschen in Bosnien und Herzegowina blicken mit Sorgen
in die Zukunft. Manche lassen sich aber nicht anmerken, wie die ganze
Diskussion über [1][die Spaltung des Landes] und eine neue Kriegsgefahr an
ihren Nerven zehrt.
Der Krieg vor 30 Jahren ist in vielen Köpfen und Herzen noch nicht
überwunden, nie behandelte Traumata vermischen sich mit sozialer
Verzweiflung. Niemand möchte mehr an einen neuen Krieg denken, das macht
Angst. „Ich möchte einfach nur ganz normal leben“, sagt der 50-jährige
Fotograf Faris, der damals selbst in den Schützengräben kämpfte.
Wie der bullige [2][Milorad Dodik, der „starke Mann“ der serbischen
Nationalisten], vorgeht, lässt ihn nicht zur Ruhe kommen. Dodik kündigt
seit Tagen weitreichende Maßnahmen zur Abtrennung „seines“ Landesteiles vom
Gesamtstaat Bosnien und Herzegowina an. Er will eine eigene Armee in der
Republika Srpska aufbauen, aus Institutionen wie dem Obersten Gericht, der
Staatsanwaltschaft und der Bundespolizei aussteigen.
Auch das gemeinsame Steuersystem und die gemeinsame Gesundheitsagentur will
er zerstören. Eigene Ausweispapiere und Pässe sollen durchgesetzt, die
Autokennzeichen verändert werden. Und Dodik will vor allem den Einfluss der
internationalen Institutionen im Land begrenzen.
Gespannt wartete am Mittwoch die Öffentlichkeit im ganzen Land auf die
Ergebnisse einer Parlamentssitzung des serbischen Teilstaates in Banja
Luka. Doch dieses beschloss mit den Stimmen der Dodik-Partei SNSD lediglich
den Aufbau einer eigenen Arzneimittelbehörde. Über andere Maßnahmen soll
später entschieden werden.
Das klingt unbedeutend, ist es aber nicht. Denn die Trennung der Behörde
habe zur Folge, dass neue Lizenzen beantragt werden müssten und die Preise
steigen würden, erklärte der alte Chef der Behörde.
„Wer zahlt für diese Eskapaden? Das sind die kleinen Leute, die einen
leisen Tod erleiden“, sagt ein Schuster aus der Nachbarschaft im Zentrum
Sarajevos. Die Mehrheit der Bevölkerung in beiden Landesteilen, der
bosniakisch-kroatischen Föderation und der Republika Srpska, ist bitterarm.
Ältere Leute mit ihren schmalen Renten von wenigen Hundert Mark wissen
nicht, wie sie über die Runden kommen sollen. Für sie sind
Nationalistenführer wie Milorad Dodik verantwortungslose Gesellen, die sich
für die Nöte und Sorgen der einfachen Leute nicht interessieren.
## Viele Herausforderungen
„Dabei gäbe es viele Herausforderungen, die es anzugehen gelte, so neben
der Armut auch den Klimawandel“, sagt ein Taxifahrer in Sarajevo. „Selbst
in meinem Garten ist der Mais verdorrt.“ Hitze und fehlender Regen haben
für große Produktionsausfälle gesorgt. Die Preise für Gemüse, Obst und
Fleisch sind nach oben geschnellt. In diesem Sommer ist der Klimawandel
erstmals in das Bewusstsein breiter Schichten der Bevölkerung gerückt.
Vor allem diejenigen, die den Krieg (1992–1995) erlebt, Granaten, Hunger
und Kälte getrotzt haben, nimmt die Diskussion der vergangenen Wochen sehr
mit. Einige Bekannte können nachts nicht mehr schlafen, andere verlieren
die Nerven, weil Strom- und Wasserversorgung immer mal wieder für ein paar
Stunden ausfallen. Das erinnert an Kriegszeiten.
Das Abkommen von Dayton 1995 habe zwar Frieden gebracht, sagt der Fotograf
Faris, aber die „Hoffnung, dass wir mit Hilfe der internationalen
Gemeinschaft zur Normalität zurückkehren könnten“, sei schon lange
verflogen. Werden die EU, die USA und die Nato Dodik jetzt in die Schranken
weisen? „Er verletzt doch Dayton. Da müssen die doch etwas tun“, sagt er.
22 Oct 2021
## LINKS
[1] /Bosnien-und-Herzegowina-vor-EU-Gipfel/!5801521
[2] /Provokation-in-Bosnien-Herzegowina/!5805959
## AUTOREN
Erich Rathfelder
## TAGS
Bosnien und Herzegowina
Milorad Dodik
Republika Srpska
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