| # taz.de -- Profiboxen der Männer: Es bleibt bei Fury | |
| > Der Brite Tyson Fury verteidigt seinen Schwergewichts-WM-Titel. Deontay | |
| > Wilders Niederlage lehrt etwas über den Zustand nicht nur der Boxwelt. | |
| Bild: Augenhöhe: Tyson Fury (l.) trifft Deontay Wilder | |
| Eine Schlacht mit Bedeutung war möglich, das wollten Tyson Fury und Deontay | |
| Wilder schon vor dem WM-Kampf jedem, der in Las Vegas oder vor einem | |
| Monitor saß, symbolisieren. | |
| Fury, ungeschlagener Weltmeister der WBC, ließ sich von einem tanzenden | |
| Kampfbeschwörer in den Ring geleiten, und sich selbst präsentierte er als | |
| römischer Legionär. | |
| Der 35-jährige Deontay Wilder hingegen, vor diesem Abend erst ein Mal | |
| geschlagener Schwergewichtsboxer, ging als Warrior mit rot-weißen Ketten, | |
| mit Coronamaske als Kriegsschmuck und einer mit viel Fell drapierten Kapuze | |
| auf dem Kopf in den Ring. | |
| Fury, der 33-jährige Brite, inszenierte sich also als Weltmacht, die sich | |
| zu nehmen gedenkt, was ihr vermeintlich zusteht. Wilder, der 35-jährige | |
| Afroamerikaner, hatte sich des Symbols derer bedient, die mit großem Mut | |
| verteidigen, was ihnen gehört. | |
| ## Finale einer historischen Trilogie | |
| Ob es dieser Inszenierung bedurft hat, lässt sich im Nachhinein verneinen. | |
| Es wurde auch so ein historischer Abend, das Finale einer großen Trilogie. | |
| Einmal hatten die beiden sich unentschieden getrennt; zuletzt, im Februar | |
| 2020, also knapp vor der Coronakrise, hatte Fury durch technischen K.o. | |
| gewonnen. | |
| [1][Deontay Wilder], der eher als Außenseiter betrachtet wurde, begann | |
| diesen dritten Kampf der beiden tatsächlich stärker: mit heftig | |
| einschlagenden Geraden, gegen die sich Fury, trotz seiner größeren | |
| Reichweite, nur in den Infight retten konnte. Doch schon ab der dritten | |
| Runde wirkte der schlagstarke Wilder müde, suchte seinerseits den Clinch, | |
| klammerte – und ging zum ersten Mal zu Boden. | |
| Eine Der-Favorit-wird-es-schon-machen-Normalität folgte aber nur | |
| vermeintlich. Fury dominierte die vierte Runde, bis, ja bis Wilder das | |
| gelang, was einem Weltklasseboxer eben immer in irgendeinem Moment gelingen | |
| kann: ein Treffer. Der scheinbar alles kontrollierende Tyson Fury ging zu | |
| Boden, und unter Wilders Schlägen passierte ihm das sogar ein zweites Mal. | |
| In der Folgerunde setzte Wilder noch mehr nach, suchte mit hart | |
| geschlagenen Geraden den K.o., doch es gelang ihm nicht. | |
| Und es geschah, was passiert, wenn Weltklasseboxer … (siehe oben): Aus dem | |
| Infighter Fury wurde einer, der mit Jabs den Kampf dominierte und das | |
| Gesicht seines Gegners malträtierte. Es blutete aus Wilders Mund, nun wurde | |
| der Amerikaner wirklich müde, auch wenn er immer wieder mit harten Schlägen | |
| durchkam. Das ging eine Weile gut, auch wenn nach Punkten mittlerweile Fury | |
| vorne lag. In der 10. Runde musste Wilder wieder einen Niederschlag | |
| hinnehmen, konnte sich erneut mit enormem Kampfgeist retten und sogar | |
| selbst ein bisschen austeilen, aber in Runde elf war’s vorbei. K.o. von | |
| Deontay Wilder und ein auftrumpfender Tyson Fury. | |
| ## „Gypsie King“ mit viel Hass | |
| Zu Furys Sieg gehörte die Erkenntnis, dass dieser Kampf zu den großen | |
| Ringschlachten gehört, die immer wieder bemüht werden, wenn man zeigen | |
| will, dass das Profiboxen doch lebt. Viele Kommentatoren der US-Boxpresse | |
| fühlten sich etwa an die Ali-Frazier-Trilogie der frühen Siebziger | |
| erinnert: Den ersten hatte Frazier gewonnen, den zweiten Ali, und der | |
| dritte endete 1975 nur auf dem Ringrichterzettel mit Alis Sieg – faktisch | |
| hatten sich beide Boxer in den Nahtod geschlagen. | |
| Tyson Fury vermarktet sich als [2][„Gypsie King“], denn er gehört zu einer | |
| alten Traveller-Familie. Seinen katholischen Fundamentalismus trägt er mit | |
| dem ganzen Hass, der zu so etwas gehört, in die Welt: Homophobie, Sexismus, | |
| Judenhass, Verschwörungstheorien, das ganze Programm. Am Ende war es aber | |
| dieser Tyson Fury, der unstrittig gewonnen hat, und so lehrt uns Profiboxen | |
| wieder viel über den Zustand der Welt. | |
| Der amerikanische Historiker Jeffrey T. Sammons hat schon vor 30 Jahren in | |
| einer bahnbrechenden Studie nachgewiesen, dass sich in der Geschichte des | |
| Männerschwergewichtsboxens erkennen lässt, welche sozialen Gruppen mit | |
| welchen Erfolgsaussichten nach oben drängen: Anfangs die irischen | |
| Einwanderer, später die Juden, die Polen, die Italiener, die | |
| Afroamerikaner. Die Sozialgruppe, die den Weltmeister stellte, zeigte damit | |
| an, dass ihre Akzeptanz in der US-Gesellschaft weit vorangeschritten ist. | |
| Als in den vergangenen Jahren die Hispanics das Profiboxen dominierten, | |
| ging das einher mit dem Verlust der US-Hegemonie im Schwergewicht. Die | |
| spanischsprechende Minderheit in der US-Gesellschaft zeigte sich eher in | |
| den unteren Gewichtsklassen des Profiboxens stark. | |
| Stattdessen waren es Kämpfer aus der früheren Sowjetunion, die die | |
| Schwergewichtstitel unter sich ausmachten. Zuletzt zeigte der Ukrainer | |
| [3][Alexander Usyk] mit seinem Sieg über den Briten Anthony Joshua, der ihn | |
| zum Weltmeister dreier Verbände machte, dass dieser Prozess noch anhält. | |
| Nun hat Tyson Fury, die „Ausnahme von allen Regeln“ (ESPN-Boxexperte Mark | |
| Kriegel) den begehrten Gürtel, und irgendwann kommt es zum Showdown | |
| zwischen Usyk und Fury. Wofür das steht, lässt sich derzeit zumindest | |
| ahnen. Mit einem Weltmeister Tyson Fury ist das Boxen nicht mehr das, was | |
| es auch sein kann und zu Frazier-Ali-Zeiten einmal war: eine Bühne, auf der | |
| auch für eine bessere Welt gekämpft wird. | |
| 10 Oct 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Martin Krauss | |
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