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# taz.de -- Das Stadtgespräch aus Peking: Schlacht um den Changjin-Stausee
> Chinas teuerster Blockbuster zeigt drei Stunden Propaganda gegen die USA
> – und trifft beim patriotischen Publikum den Zeitgeist. Kritik
> unerwünscht.
Bild: Schauspieler des Films „Die Schlacht am Changjin-See“ beim Pekinger F…
Peking taz | Als im Kinosaal militärische Marschmusik zum Abspann ertönt,
erhebt sich spontan ein junges Pärchen in der ersten Reihe und salutiert
Richtung Leinwand. In den sozialen Medien wird das Kurzvideo davon
tausendfach geteilt und sowohl mit patriotischem Lob als auch ironischem
Spott versehen. Bei Chinas teuerstem Blockbuster aller Zeiten, [1][„Die
Schlacht um den Changjin-Stausee“] kochen die Gefühle schnell über.
Mit 200 Millionen Dollar Produktionskosten ist er die cineastische Klimax
im 100. Jubiläumsjahr der Gründung der Kommunistischen Partei. Die
Regierung hatte für 2021 ganz besonders patriotische Filmsujets von seinen
Drehbuchschreibern gefordert, sie sollten „die Liebe zur Partei, das Land
und den Sozialismus“ abbilden, hieß es von der nationalen Filmbehörde zu
Beginn des Jahres.
„Die Schlacht um den Changjin-Stausee“ dürfte die Erwartungen der Zensoren
nicht enttäuschen. Angesiedelt ist die Heldengeschichte im Koreakrieg
(1950–1953), obwohl im ganzen Film kein einziger Koreaner zu Wort kommt.
Stattdessen dient die historische Kulisse vor allem als Vorwand, um in
knapp drei Stunden antiamerikanische Emotionen hochzukochen: Chinas
Volksbefreiungsarmee eilt dem kommunistischen Nordkorea zu Hilfe, um die
technisch überlegenen US-Truppen auf Seiten der Südkoreaner zum Rückzug zu
zwingen.
„Vergesst ‚Top Gun‘! Dieser Film ist viel besser fürs Militär geeignet,…
neues Personal zu werben“, sagt ein Bekannter aus Tianjin nach seinem
Kinobesuch. Was sarkastisch gemeint ist, hat einen durchaus ernsten
Hintergrund, denn die gewaltverherrlichende Botschaft des Films wird wenig
subtil mit dem Vorschlaghammer in die Köpfe der Zuschauer gedroschen. In
einer Szene etwa fragt der junge Soldat seinen Vorgesetzten: „Wie viele
Amerikaner muss ich töten, um ein Held zu sein? Zwei?“ Die stoische
Antwort: „Häng noch mal eine Null dran“.
Befremdlich mag dies auf manche wirken, andere hingegen mit Stolz erfüllen.
Dass aber das Pekinger Kulturbüro ausgerechnet einen derart Gewalt
verherrlichenden Streifen zu einem Zeitpunkt finanziert, da ein
tatsächlicher Krieg zwischen den USA und China erstmals wieder denkbar
scheint, spricht Bände. Und das, obgleich sich der Stoff kaum zur
Heldengeschichte eignet. In der [2][realen Schlacht] wie auch im Film
kommen Zehntausende chinesische Soldaten ums Leben, darunter der Großteil
durch bitteren Kältetod aufgrund zweistelliger Minusgrade. Manch ein
Regisseur hätte den Plot als Gelegenheit genutzt, künftige Generationen vor
der Sinnlosigkeit von Kriegen zu warnen. Doch Tsui Hark, Chen Kaige und
Dante Lam, Meister ihres Fachs, interpretieren die Ereignisse lieber als
heroischen Akt: Es ist erstrebenswert, sein Leben fürs Vaterland zu opfern.
In Chinas sozialen Medien kommt das offenbar gut an: „Es ist beeindruckend
zu sehen, wie die freiwilligen Truppen am Changjin-See erfroren sind,
während sie weiterhin in Angriffshaltung verharrten“, schreibt ein Nutzer.
„Ich konnte nicht anders als die ganze Zeit zu weinen, aber an diesem Punkt
brach ich in Tränen aus“, meint ein anderer. Im Ausgehviertel Sanlitun ist
man hingegen weniger zufrieden. Am Abend des Kinobesuchs verlassen mehrere
junge Pärchen noch in der ersten halben Stunde den Saal. Offenbar hatten
sie sich leichtere Kost zum ersten Date erwartet. Trotzdem legen die
Ticketverkäufe nahe, dass der Film einen Nerv trifft. Nach nur fünf Tagen
hat er bereits über 310 Millionen Dollar eingespielt.
Eine junge Filmproduzentin aus Peking, die in den USA studiert hat, hält
„Die Schlacht um den Changjin-Stausee“ für durchaus gelungen: „Ein
historischer Film muss immer den aktuellen internationalen Gegebenheiten
angepasst werden, auch der Stimme der Regierung entsprechen. Und vor allem
sollte er das nationale Selbstbewusstsein stärken“, sagt sie. Kritik
hingegen wird nicht geduldet: [3][Luo Changping], einer der führenden
Investigativjournalisten der Nullerjahre, hatte sich anlässlich des Films
auf seinem Weibo-Account darüber mokiert, wie offensichtlich die Behörden
den Koreakrieg propagandistisch verfälschen. Laut Quellen wurde der
41-Jährige am Donnerstag von der Polizei festgenommen.
10 Oct 2021
## LINKS
[1] https://www.filmstarts.de/nachrichten/18537832.html
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Schlacht_um_den_Changjin-Stausee
[3] https://www.nytimes.com/2021/10/08/world/asia/luo-changping-china-battle-at…
## AUTOREN
Fabian Kretschmer
## TAGS
China
KP China
Kino
Propaganda
Kolumne Stadtgespräch
Atomtest
Schwerpunkt TTIP
Lesestück Recherche und Reportage
Schwerpunkt Korruption
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