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# taz.de -- Psychologe zu Empathie: „Nichts leichter als Fettnäpfchen“
> Schon lange beschäftigen sich Forscher:innen mit der Frage, wie Kinder
> lernen, sich in andere Menschen hineinzuversetzen. Fehler dürfen sein.
Bild: Kinder, Kinder!
taz: Herr Osterhaus, Sie haben eine entwicklungspsychologische Studie mit
Grundschulkindern durchgeführt. Was wollten Sie herausfinden?
Christopher Osterhaus: Es gibt in der Forschung unterschiedliche Ansichten
dazu, was es braucht, um das Handeln anderer Menschen zu verstehen. Das war
auch der Grund für die Studie – wir wollten besser verstehen, wie Kinder
eigentlich genau lernen, sich in andere hineinzuversetzen.
Was unterscheidet dieses Lernen vom klassischen [1][schulischen Lernen]?
Das Einmaleins ist etwas, was man einfach abrufen kann. Beim sozialen
Verständnis reicht es aber nicht zu wissen, dass Leute sich im Allgemeinen
auf eine bestimmte Art und Weise verhalten, sondern man muss auch erkennen,
in welchen konkreten Situationen dieses Wissen relevant ist.
Gab es Ergebnisse Ihrer Studie, die Sie so nicht erwartet hätten?
Uns hat überrascht, dass einige Aspekte der Fähigkeit, sich in andere
hineinzuversetzen, scheinbar auf unterschiedlichen Prozessen beruhen.
Einige erfordern eher ein Nachdenken über die Situation, während es für
andere auszureichen scheint, dass man seine Umwelt im Blick behält. Zu
erkennen, dass jemand in ein Fettnäpfchen tritt, ist zum Beispiel etwas,
das fast schon automatisch abläuft.
Haben Sie eine Erklärung für dieses intuitive Gefühl für Fettnäpfchen?
Wir wissen noch nicht genau, warum sich dieser Prozess von anderen
unterscheidet. Auch im Alter erkennen Menschen Fettnäpfen weiterhin ohne
große Probleme, während andere Aspekte im Verständnis anderer mit der
kognitiven Leistung abnehmen. Eine mögliche Erklärung könnte sein, dass wir
mehr oder weniger automatisch kontinuierlich prüfen, inwiefern sich unsere
Mitmenschen erwartungskonform verhalten oder eben soziale Regeln brechen –
etwa, indem sie in ein Fettnäpfchen treten.
Welche Rolle spielt die Intelligenz – ein Begriff, der pädagogisch viel
diskutiert wird?
Dazu muss ich vorwegschicken, wie wir die Intelligenz der Kinder erfasst
haben, nämlich als die Fähigkeit für schlussfolgerndes Denken. Das ist
relevant, weil man davon ausgeht, dass Kinder eine Art Theorie über
menschliches Verhalten entwickeln, die sie nutzen, um sich in andere
hineinzuversetzen und ihr konkretes Verhalten zu erklären. Die Kinder, die
besser im schlussfolgernden Denken sind, so vermuten wir, sind auch besser
darin, diese Theorien zu entwickeln. Interessant ist, dass dies aber
wiederum nicht für das Erkennen von Fettnäpfchen gilt.
Kann es sein, dass Kinder während der Pandemie jetzt ein paar Jahre länger
brauchen werden, um das Verhalten anderer zu verstehen, als vor zwei
Jahren?
Wir mussten die Studie zu Beginn der Pandemie leider abbrechen, weil wir zu
wenige Kinder zu Hause erreicht haben, um valide Aussagen zu machen. Die
Vermutung liegt aber nahe, dass mangelnder Sozialkontakt auch zu einem
Mangel an Lernerfahrungen führt. Gerade Grundschüler:innen haben dabei
noch weniger Kompensationsmöglichkeiten als ältere, die über soziale
Netzwerke zumindest virtuell miteinander im Kontakt sind. Deshalb arbeiten
wir gerade an Förderprogrammen, die Lehrkräfte an Grundschulen leicht
umsetzen können.
Wie sehen die aus?
Es reicht schon, Geschichten zu erzählen, in denen jemand eine Situation
falsch interpretiert, und mit den Kindern darüber zu sprechen. Das klingt
einfach, scheint aber deutliche Effekte zu haben. Wichtig ist Geduld, denn
Kinder verstehen vieles, aber nicht alles. Man sollte da-rauf achten, dass
sie dabei die richtigen Wörter benutzen, damit sie bestimmte
Verhaltensweisen nicht nur verstehen, sondern auch in Worte fassen können.
Haben Sie in Ihrer Studie auch die unterschiedlichen Muttersprachen von
Kindern berücksichtigt?
Wir haben abgefragt, ob die Kinder eine Migrationsgeschichte haben, in der
konkreten Studie konnten wir dazu aber keine verallgemeinerbaren
Erkenntnisse sammeln. Andere Studien kommen zu dem Ergebnis, dass Kinder
mit Migrationshintergrund in Tests, bei denen sie sich in andere
hineinversetzen müssen, tendenziell schlechter abschneiden. Dieser Befund
scheint vor allem auf Unterschieden in der Sprachkompetenz zu basieren. Bei
Studien wie unserer, die sehr sprachlastig sind, muss man diesen Aspekt
natürlich berücksichtigen.
1 Oct 2021
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## AUTOREN
Teresa Wolny
## TAGS
Intelligenz
Kind
Schule
Empathie
Bildung
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