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# taz.de -- Psychologe zu Empathie: Systematisch unterfordert
> Immer noch steckt die frühkindliche Förderung in Deutschland in den
> Kinderschuhen. Damit sich daran etwas ändert, müssen ErzieherInnen besser
> für die Kindergartenarbeit ausgebildet werden. Zum Beispiel in
> spezialisierten Bachelor-Studiengängen
Bild: Kinder, Kinder!
## Systematisch unterfordert
## Immer noch steckt frühkindliche Förderung in Deutschland in den
Kinderschuhen. Damit sich daran etwas ändert, müssen ErzieherInnen besser
für die Kindergartenarbeit ausgebildet werden. Zum Beispiel in
spezialisierten Bachelor-Studiengängen
VON MARTIN MÜLLER
Magali Bordas ist entsetzt: "In deutschen Kitas bekommen die Kinder
keinerlei pädagogische Förderung beim Rechnen und Schreiben. Man sagt, sie
könnten sich nicht länger als eine Viertelstunde pro Tag konzentrieren."
Die Französin schüttelt den Kopf. Sie hat an einem Erzieherinnenaustausch
teilgenommen. Bei einer Podiumsdiskussion des Deutsch-Französischen
Jugendwerks in Berlin Ende April berichtet sie von ihrer schockierenden
Begegnung mit deutschem Kindergartenalltag. "Eben, und was soll mein Kind
denn lernen, wenn es nur jemanden beobachtet, der es beobachtet?", ergänzt
sie ein Zwischenrufer.
Kindergärten in Deutschland - mehr soll es geben, besser sollen sie werden.
Doch je heftiger sich die Debatte über den Ausbau der Betreuungsangebote
und die Bedeutung der frühkindlichen Erziehung entfacht, desto mehr rückt
die Frage in den Mittelpunkt: Was ist eine gute Kita? Und was müssen jene
können, die vier, fünf, bis zu neun Stunden täglich Kleinkinder begleiten:
die Erzieherinnen und Erzieher in den Kindergärten?
"Wir haben die Kinder in Deutschland jahrzehntelang systematisch
unterfordert", sagt Fabienne Becker-Stoll, Leiterin des Münchner
Staatsinstituts für Frühpädagogik (IFP), "wir müssen dem unglaublichen
Forscherdrang der Kinder von Anfang an adäquat begegnen". An einer École
maternelle, dem französischen Kindergarten, geschieht das. Die Kinder
kommen früh in Kontakt mit dem Alphabet, werden an die Schule herangeführt
und von Erzieherinnen mit Hochschulabschluss betreut.
Die entscheidenden Weichenstellungen für die Entwicklung eines Kindes
erfolgen in den ersten Lebensjahren. Gerade für Kinder mit
Migrationshintergrund ist diese Phase entscheidend. "Wer bei der
Einschulung die deutsche Sprache nicht beherrscht, hat im Grunde keine
Chance mehr", sagt Becker-Stoll und fordert: "Langfristig brauchen alle
Erzieherinnen eine Hochschulausbildung." Schließlich seien die
Anforderungen enorm: "Eine Erzieherin muss eine Gruppe von 25 Kindern von
zwei bis sieben Jahren, manchmal aus 18 verschiedenen Kulturen handeln und
Bildungsprozesse unterstützen können." Häufiger als früher müssten die
Kindergärten fehlende Unterstützung durch das Elternhaus kompensieren. Um
eine Entwicklungsdiagnostik zu erstellen und richtig anzuwenden, brauchte
man aber wissenschaftliches Know-how und Methodenkenntnisse, die nur an
Hochschulen vermittelt werden.
Doch in Deutschland haben gerade mal 2,6 Prozent der Kita-Mitarbeiter
studiert, 65 Prozent haben einen Fachschulabschluss. Die Ausbildung greife
zu kurz, so Becker-Stoll. An Fachschulen lerne man beispielsweise zwar,
dass es Möglichkeiten gibt, Sprachentwicklung zu beobachten und zu messen,
aber nicht, das richtige Instrument dafür auszuwählen.
Doch es tut sich was. In Deutschland entstehen erste Bachelorstudiengänge
für Erzieher. Zulassungsvoraussetzung: Abitur oder ein paar Jahre
Berufserfahrung. Die Profile der Angebote sind sehr unterschiedlich. Beim
Studiengang "Pädagogik der frühen Kindheit" an der Evangelischen
Fachhochschule (FH) Freiburg etwa wird viel Wert auf den internationalen
Vergleich gelegt. Die StudentInnen müssen ein Semester und zehn Wochen
Praktikum im Ausland verbringen. Der berufsbegleitende Fernstudiengang der
FH Koblenz konzentriert sich dagegen auf Kita-Management.
Mit dem Programm "PiK - Profis in Kitas" fördert die Robert-Bosch-Stiftung
seit Ende 2005 Studiengänge für Frühpädagogen an fünf Hochschulen. Zweimal
jährlich treffen sich Vertreter der Hochschulen zu einer mehrtägigen
Innovationswerkstatt mit Schwerpunkten wie "Lernort Praxis" oder
"Kompetenzprofile von Frühpädagogen". Projektleiterin Monika Lütke-Entrup:
"Wir sorgen für Austausch und Vernetzung." Gemeinsam wolle man Inhalte und
Methoden für die Professionalisierung von Erziehern erarbeiten. "Wir
brauchen Differenzierung und Spezialisierung im Berufsfeld", so
Lütke-Entrup.
Teilweise geschieht das schon: "Wir bilden speziell für die pädagogische
Arbeit mit Kindern aus", sagt Hilde von Balluseck. Sie leitet den
Bachelor-Studiengang "Erziehung und Bildung im Kindesalter" an der Berliner
Alice-Salomon Fachhochschule, die auch beim PiK-Projekt dabei ist. In
sieben Semestern werden die Studierenden für die Arbeit mit Kindern von 0
bis 10 ausgebildet. Zum Vergleich: an der "Breitbandausbildung" an den
Fachschulen hat man sechs Semester für alle Altersgruppen, mit denen
Erzieher arbeiten - von 0 bis 27.
Ob der Arbeitsmarkt für die studierten Erzieherinnen aus Berlin bereit ist,
wird sich zeigen. Im Juli 2007 sind die ersten Studenten fertig. Zumindest
auf dem europäischen Arbeitsmarkt sollten ihre Chancen steigen. Bislang
sind deutsche Erzieher in anderen EU-Staaten nicht voll anerkannt. Nur
Deutschland und Österreich bilden ihre Erzieher nicht an Hochschulen aus.
Mit mehr Gehalt freilich können Erzieher auch mit Uni-Abschluss erst mal
nicht rechnen. "Die Erzieherin wird für ihre Funktion, nicht für ihren
Abschluss bezahlt", sagt IFP-Leiterin Becker-Stoll. Erst mit der Zeit werde
sich da etwas ändern. "Man müsste die Finanzierung unseres Bildungssystems
auf den Kopf stellen." Obwohl der Elementarbereich fast alle Kinder
betrifft, schießt der Staat viel weniger Geld hinein als in die
Hochschulen. Das müsse sich ändern, meint Becker-Stoll. Andernfalls müsse
man mit enormen Folgekosten, etwa für Nachhilfestunden, rechnen.
Das universitäre Angebot scheint künftige Erzieher und Erzieherinnen
anzuziehen. In Berlin gab es 270 Bewerbungen für 40 Studienplätze im
Wintersemester 2006/2007. Gerne würde Studienleiterin von Balluseck die
Zahl der Studienplätze vervierfachen. Auch ein Weiterbildungszertifikat für
Erzieherinnen und einen Leiterinnenstudiengang will sie anbieten. Den
Zugang zum Erzieherberuf will sie allerdings auch Realschülern offenhalten
- als Ergänzung zu den künftig akademisch ausgebildeten Kollegen: "Sie
sollen dann unter der Anleitung von besser Ausgebildeten arbeiten."
Becker-Stoll plädiert dafür, Frühpädagogen und Grundschullehrer gemeinsam
auszubilden, wie das in Frankreich der Fall ist: "Wir müssen
institutionenübergreifende Bildung neu denken." Die Diskussion über die
Struktur der Hochschulausbildung für Erzieher ist also noch lange nicht
abgeschlossen.
Doch was genau sollen die studierten Erzieherinnen den Kindern beibringen?
Wie sieht sie aus, die "gute Kita"? "Eine gute Kita hat keine starre
Aufteilung nach Gruppen", sagt IFP-Pädagogin Becker-Stoll. "Man muss viele
Entdeckungs-, Spiel- und Lernorte flexibel bereithalten. Die
Bildungsprozesse müssen dabei immer vom Kind ausgehen." Erzieherinnen
sollten kompetente Partner sein, die die individuellen
Entwicklungsbedürfnisse erkennen und Entwicklungsprozesse gruppendynamisch
moderieren können. Auch der frühe Kontakt mit Fremdsprachen im Kindergarten
kann sinnvoll sein: "Kinder haben Spaß an anderen Lauten, sie machen das ja
spielerisch mit Zählreimen oder Liedern", sagt Becker-Stoll. Nur mit
Lehrplänen sollte das nicht verbunden sein. Lütke-Entrup vom Bosch-Projekt
"Profis in Kitas" definiert die wichtigen Erziehungsziele der Kitaarbeit
so: "Resilienz, Persönlichkeitsentwicklung und die Fähigkeit, Lebenswelten
zu erschließen".
Weil gute Kitas gutes Geld kosten, will Bundesfamilienministerin Ursula von
der Leyen (CDU) ein Drittel der 500.000 bis 2013 neu zu schaffenden
Betreuungsplätze für unter Dreijährige durch Tagesmütter abdecken. Keine
schlechte Idee, wie Becker-Stoll findet: "Tagesmütter können zwar meist
keine so anregende Umgebung bieten, aber dafür eine Familienergänzung sein,
ideal für die ganz Kleinen."
Auch hier gilt: Eine qualifizierte Ausbildung ist unabdingbar. Zurzeit
haben nur 8 Prozent der Tagesmütter den Qualifizierungskurs von 160 Stunden
vollständig absolviert. Genau das findet Becker-Stoll bedenklich: "Der
Mangel an Plätzen darf nicht die Qualität diktieren."
9 May 2007
## AUTOREN
Martin Müller
## TAGS
Intelligenz
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