# taz.de -- Twitterfieber ohne Ende: Und es hat Pling gemacht | |
> Rund um Ereignisse wie Wahlen verbringt unser Autor viel Zeit auf | |
> Twitter. Warum, erklärt er in diesem Text. Ob er dafür eine Twitterpause | |
> schafft? | |
Bild: Was sagt die Zahl neben dem Glöckchensymbol? | |
Upsi, gerade gemerkt: Während ich diesen Text hier schreiben soll über | |
Chancen und Grenzen von Twitter als Mikrobeitrag zur großen öffentlichen | |
Debatte in Zeiten von Wahlkampf und Wahl (so in der Art), twittere ich die | |
ganze Zeit mehr oder weniger sinnvolle, lustige und wohl kaum den Diskurs | |
bereichernde Sachen. Gerade in den Trends: Kommentare zu den | |
Instagram-Bildern der vier grün-gelben Vorsondierer. Da halte ich mich aber | |
raus, weil’s mich schon wieder langweilt. | |
Gut, der Vorsatz hält eine Stunde. Dann twittere ich doch [1][was dazu]. | |
Rund um Ereignisse wie wichtige Wahlen läuft Twitter heiß, es bietet | |
Interaktionsmöglichkeiten, es kanalisiert Empörung und lenkt ab. Heute | |
normal ist: Plasberg, Illner, Will gucken und zeitgleich Kommentare | |
abgeben, vereint in einer Hashtag-Gemeinde. Das Doofe: Die Kollegen warten | |
auf meinen Text, Abgabetermin Mittwochmittag um 12 Uhr. Und auch sie | |
verfolgen Twitter und sehen, was ich twittere. Das dürfte dazu beitragen, | |
dass sie nicht nur Redaktionsschlusspanik kriegen, sondern sich auch | |
ärgern: Jetzt schreib' mal, vertändele nicht die Zeit. | |
Oh, Moment, ich muss mal kurz weg, rüber zu Twitter, da hat jemand einen | |
Tweet von mir kommentiert. Ein Like für einen wirklich platten Wortwitz! Zu | |
einem Bild des SPD-Fraktionsvorsitzenden im Bundestag, Rolf Mützenich, der | |
auf dem Weg zu einer Sitzung Maske trägt, [2][hatte ich getwittert]: | |
„Mützenich, Maske ja“. | |
Sechs Likes habe ich schon bekommen. Das ist natürlich schön, denn wir alle | |
suchen ja nach Resonanz. Andererseits macht dieses dauernde Getwittere und | |
Hingegucke Twitter zu einem Zeitfresser: Jeder auch noch so platte Tweet | |
erfordert Gedankentätigkeit. Animiert durch die Twitter-Frage „Was gibt’s | |
Neues?“ entsteht eine Idee im Kopf und landet als Text im Eingabefeld des | |
Kurznachrichtendienstes. Erzeugt der Tweet Resonanz in Form von Likes oder | |
Retweets oder Entgegnungen, macht es „Pling“ oder – ha, da schon wieder �… | |
eine Zahl neben dem Glöckchensymbol zeigt Reaktionen an. | |
Passiert das oft oder sehr oft, kommt man gar nicht mehr los und findet’s | |
super, wobei es auch ausarten kann, wenn ein Tweet trendet, wie man es in | |
der Expertensprache nennt. Kaum vorstellbar, wie etwa Friedrich Merz | |
klarkommt, wenn es auf [3][@friedrich_merz] rund geht. Na gut, er hat sein | |
„Team Merz“, aber irgendwie auch krass, Leute zu beschäftigen, um Likes zu | |
sortieren oder irgendwas zu machen, wenn ich zum Beispiel ihn [4][direkt | |
antweete,] um zu fragen, ob er wirklich mal so lustig war wie in einem | |
alten Wahlwerbespot, den er getwittert hatte. | |
Natürlich antwortet er nicht. Das hat mit der Illusionsmaschine zu tun, die | |
Twitter ist. Dazu komme ich noch. Erzeugt ein Tweet so gar nichts, kommt | |
das in Gang, was wir den Slot-Machine-Effekt nennen: Wer die erwünschte | |
Resonanz nicht bekommt, legt noch eins drauf, wird mutiger – was auf | |
Twitter bezogen heißt: lauter, unsachlicher, zugespitzter. Robert Habeck, | |
[5][der 2019 Twitter verlassen hat], sagt, das sei eine der weisesten | |
Entscheidungen gewesen. Twitter verführe dazu, „einen drüber zu machen“, | |
weil „jeder will, dass sein Video oder Text geteilt wird“. Gut, dafür hat | |
Habeck jetzt Instagram. | |
Schwierig, aus dieser Suchtmaschine rauszukommen. Kollegen beschreiben, wie | |
sie gescheitert sind. Sie schaffen es gerade mal, die App zu deaktivieren, | |
um dann doch über den Browser auf Twitter zu schauen. Oder sie legen im | |
Urlaub Twitterpausen ein, nur um anschließend sofort wieder voll | |
einzusteigen. | |
Twitter ist auch eine einzige große Illusionsmaschine. Wir, die wir uns da | |
versammelt haben, sind nur sehr wenige. Laut Studien gibt es in Deutschland | |
gerade mal 1,4 Millionen aktive Nutzer, die wiederum in Sphären unterwegs | |
sind. Die „Theo-Bubble“ tauscht sich über theologisch-pfarramtliche Fragen | |
aus, die „Histo-Bubble“ redet über Historisches – und da könnte man jet… | |
weitere Bubbles aufzählen und hätte die Illusion, Twitter sei nützlich und | |
bringe Diskurse voran. | |
Twitter ist aber vor allem auch Hass schürend, weil sich aus der Anonymität | |
so leicht jemand fertig machen lässt. Frauen erleben das andauernd, auch | |
Menschen, die nicht so aussehen oder heißen, wie es ins Weltbild | |
irgendwelcher Rechtsextremisten passt. | |
## Wie ein behaglicher Raum, in dem man sich sicher fühlt | |
Weil die Sphären tatsächlich oft sehr klein sind, kennt man sich. Es wirkt | |
wie ein vertrauter, behaglicher Raum, in dem man sich sicher fühlt und | |
deshalb auch gern mal über die Stränge schlägt. | |
Verbringt man zu viel Zeit auf Twitter, übersieht man aber schnell, dass es | |
„da draußen“ andere Themen gibt, andere Ansichten. Und wenn sich bei | |
Twitter wie zuletzt Kritik an dem gescheiterten CDU-Kanzlerkandidaten Armin | |
Laschet den Weg bahnt und alle fordern, er müsse sein Amt als | |
Parteivorsitzender aufgeben, dann wundert sich der Twitterer, dass es | |
Laschet nicht augenblicklich tut, also nicht auf die Leute hört, die es bei | |
Twitter alle so genau wissen. Die Politologin Ursula Münch hat die wahre | |
Bedeutung von Twitter da sehr gut auf den Punkt gebracht: „Ein paar Tweets | |
machen noch keine allgemeine Rücktrittsforderung daraus.“ | |
Natürlich gibt es auch relevante Inhalte, Twitter ist ein Medium geworden, | |
das Einblicke in den Politikbetrieb ermöglicht wie kaum ein anderes. Wer | |
etwa dem Welt-Journalisten Robin Alexander folgt, erfährt [6][Nachrichten | |
aus Gremiensitzungen von CDU und CSU], als sei er selbst dabei. Aber: Sehr | |
oft haut der Witz-Tweet aber viel besser rein. Wahrscheinlich, weil er | |
einfacher zu konsumieren ist. Sicher auch, weil es nett ist, wenn der | |
Alltag punktuell aufgehellt wird. | |
Und dann gibt es noch das Problem der falschen Nähe. Tweets wirken oft | |
informell, locker im Ton, der Rezipient liest sie, als wären sie nur für | |
ihn. Aber nur weil du dem FDP-Chef [7][Christian Lindner] folgst und seine | |
Tweets empfängst, nimmt er noch lange nicht deine wahr. Du kannst dich zwar | |
über ein Interview von Wolfgang Kubicki empören, in dem er den SPD-Kollegen | |
Karl Lauterbach als „Spacken“ bezeichnet, du kannst deshalb @c_lindner auch | |
direkt antwittern, [8][ob er sich da nicht mal einschalten wolle], es wird | |
auch bei ihm Pling machen, weil er angeschrieben wurde, aber das wird | |
verhallen, weil Du dann doch nur @felixzimmermann bist. | |
Du könntest auch mit deiner Wand reden, aber das macht viel weniger Spaß – | |
sie antwortet ja nie. Bei Twitter passiert wenigstens manchmal was, und | |
vielleicht antwortet @BarackObama ja irgendwann noch mal [9][auf den Tweet, | |
den ich an ihn geschrieben habe]. | |
3 Oct 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://twitter.com/felixzimmermann/status/1443150583674937347 | |
[2] https://twitter.com/felixzimmermann/status/1443115633617551365 | |
[3] https://twitter.com/_FriedrichMerz | |
[4] https://twitter.com/felixzimmermann/status/1440744461978378240 | |
[5] https://www.robert-habeck.de/texte/blog/bye-bye-twitter-und-facebook/ | |
[6] https://twitter.com/robinalexander_/status/1442863034712481796 | |
[7] https://twitter.com/c_lindner | |
[8] https://twitter.com/felixzimmermann/status/1440719876197273602 | |
[9] https://twitter.com/felixzimmermann/status/1304785839101227022 | |
## AUTOREN | |
Felix Zimmermann | |
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