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# taz.de -- Bundestagswahl 2021: Wer darf politikverdrossen sein?
> Demokratie ist etwas Gutes, nichts Selbstverständliches. Aber bei all der
> Dankbarkeit dürfen manche auch einfach hoffnungslos sein.
Bild: Nicht für jeden: Die Wahl als Party, hier bei den Grünen
Dieser Tage wurde in Deutschland wieder die Demokratie geliebt. Zu Recht,
sie ist gut, nicht selbstverständlich, oft fragil und schutzbedürftig.
Perfekt ist sie nicht, überhaupt nicht, aber sie ist ja auch nicht fertig.
Es schadet nicht, sich daran zu erinnern.
Manche haben ein Funkeln in den Augen, wenn sie [1][ihr Kreuz auf dem
Wahlzettel] machen oder Hochrechnungen verfolgen wie Ballsportereignisse.
Schön ist das. Leider wird sich oft zugleich aufgeregt über jene, die da
nicht mitmachen. Leute, die nicht dankbar sind. Leute, die schweigen. Am
schlimmsten sind Leute, die nicht wählen gehen, das geht ja mal gar nicht.
Man darf doch nicht politikverdrossen sein! Kommt darauf an, finde ich. Auf
das Wer.
Manche dürfen, unbedingt. Sie müssen das alles hier nicht lieben und sich
dafür bedanken, nur um die Gemeinschaftssehnsucht der Zuschauenden zu
befriedigen. Man darf hoffnungslos und auch politikverdrossen sein, manche
müssen sogar, wie könnten sie nicht, angesichts dessen, was sich seit
Jahrzehnten in endlosen Reihen zu einem Nichts multipliziert: Sichtbarkeit
mal Wahlrecht mal Einwanderung mal Arbeitskraft mal Hetze mal Rente mal
null. Es gibt Fenster, durch die kriecht zu jeder Jahreszeit eine Kälte,
die kein Thermometer messen kann. Man hat sich dahinter von diesem Land
erzählt, bis die Zungen sich weigerten, immer wieder dieselben Laute
anzuschlagen:
## Links, rechts oder im Kreis?
„In diesem Land wurden nie alle mitgenommen, absichtlich. Es kann das gar
nicht, es kann aus seinem Innersten heraus immer nur einige mitnehmen und
nur ein paar dürfen bis in den schönen Garten fahren. Manche können kurz an
den Blumen riechen und andere werden überfahren, weißt du, es geht nicht
ohne die Überfahrenen.“
Richtungswahl, was? Links, rechts, auf der Stelle gehen ist kein
Fortschritt, oben, unten, Kreisverkehr. Gut: Die Wirtschaft reagiert
vorsichtig optimistisch. Diese demokratische Wahl ist toll, aber sie ist
auch sehr ungerecht. Man darf sich darüber ärgern, man darf auch gar nichts
fühlen. Wenn man zu jung ist, zu arm, zu behindert, zu Ausländer. Wenn man
seine Hoffnung mal über Deutschland ausgegossen hat wie eine volle
Gießkanne, aber nur Schilder wuchsen mit der Aufschrift „bepflanzen
verboten“. Wenn man aus der Hoffnung Reiskörner formte und sie in
Kindermünder schob, weil das der einzige Ort ist, wo niemand die Teilhabe
verwehren kann. Wenn man in einem Bundesland lebt, in dem eine
faschistische Partei zur stärksten Kraft gewählt wurde. Wenn man oft
aufgeschrien hat – Klammer auf: [2][Lichtenhagen, Hoyerswerda, Solingen,
Halle, Hanau, die Klammer bleibt offen], sie schließt sich nicht.
Nicht alle müssen dankbar sein und können Hoffnung haben. Ein Land, das
Lasten und Belastungen so ungleich verteilt, kann unmöglich von allen den
gleichen demokratischen Enthusiasmus fordern. Nicht, bevor es denen genug
gibt, die zu Recht verdrossen sind.
29 Sep 2021
## LINKS
[1] /Schwerpunkt-Bundestagswahl-2025/!t5007549
[2] /Rechtsextremismus/!t5007723
## AUTOREN
Lin Hierse
## TAGS
Kolumne Poetical Correctness
Schwerpunkt Armut
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
Kolumne Poetical Correctness
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
Wahlbeteiligung
Mali
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