# taz.de -- Genf beschließt Verbot für Plakatwerbung: Lieber Kunst als Werbung | |
> In Genf hat der Stadtrat Plakatwerbung im öffentlichen Raum untersagt. | |
> Das Verbot könnte 2025 in Kraft treten. Könnte. | |
Bild: „Schadet ernsthaft dem Klima“: Genfer Aktivisten überkleben Bankenwe… | |
Genf taz | Brad Pitt wirbt für eine neue Kaffeemaschine, eine maskierte | |
Schaffnerin für 24/7-Shopping in Schweizer Bahnhöfen und eine Gruppe junger | |
Menschen in Unterwäsche für eine Modekette: Wer durch Genf läuft, wird auf | |
Plakatwänden pausenlos daran erinnert, was er oder sie sich leisten soll – | |
oder nicht leisten kann. Noch. In gut drei Jahren soll Schluss sein mit den | |
[1][Werbebotschaften, die ihre Gegner „visuelle Verschmutzung“ nennen]. | |
Am 7. September beschloss das Stadtparlament mit seiner Mehrheit aus | |
Sozialdemokraten, Grünen, Linken und Alternativen und 39 zu 30 Stimmen, | |
kommerzielle Werbung auf öffentlichen Flächen ab 2025 zu verbieten. Seither | |
streitet man in Genf über die Folgen. | |
„Das ist ein großer Sieg für unser Initiativkomitee und eine wichtige | |
Etappe für alle, die in der Schweiz gegen Werbung kämpfen“, sagt Emmanuel | |
Deonna von der Initiative Zéro Pub, also „Keine Werbung“, die vier Jahre | |
auf den Beschluss hingearbeitet hat. Ihm geht es um drei Ziele: der | |
Verschandelung der Stadt ein Ende zu setzen, Menschen mit Kinderwagen, | |
Rollstuhl oder Gehhilfe mehr Platz auf den Bürgersteigen zu verschaffen und | |
den Konsumwahn zu bekämpfen, der Menschen so oft in die Schuldenfalle | |
treibe. Deonna beruft sich etwa auf den Bericht einer | |
UN-Sonderberichterstatterin, die in Werbung „Techniken zur Umgehung | |
rationaler Entscheidungen“ erkennt. Für die sozialdemokratische | |
Stadtabgeordnete Olivia Bessat-Gardet bedeutet das Werbeverbot, dass die | |
Bürger die Stadt zurückerobern: „Niemand kann verhindern, ein Werbeplakat | |
zu Gesicht zu bekommen – und wir wollen nicht, dass unser Geist vermarktet | |
wird.“ Der Grüne Philippe de Rougemont sagte: „Unser Lebensstil, der auf | |
übermäßigem Konsum fußt, zerstört buchstäblich die Erde.“ | |
Die Erfolgsgeschichte von Zéro Pub begann Anfang 2017, als Tausende | |
Plakatwände in Genf über Nacht leer blieben. Der Vertrag mit der | |
Außenwerbungsfirma war ausgelaufen, ein neuer noch nicht in Kraft. Schnell | |
eroberten Bürgerinnen und Bürger die Plakatwände und machten aus weißen | |
Flächen kleine Kunstwerke. Als diese wieder mit Werbeplakaten überklebt | |
wurden, gründete sich Zéro Pub. [2][In Fußgängerzonen und vor | |
Einkaufszentren sammelten die Initiatoren mehr als 4.600 Unterschriften | |
dafür, Werbung zu verbieten;] Ausnahme: Kulturveranstaltungen. | |
## Gegenwehr aus der Wirtschaft | |
Das reichte für einen Volksentscheid, wogegen die Gegner prompt klagten. | |
Doch das oberste Schweizer Bundesgericht gab den Initiatoren im April | |
Recht: Ihr Werbeverbot schränke die wirtschaftliche Freiheit nicht ein. | |
Damit hätte abgestimmt werden müssen, wenn das Stadtparlament der | |
Initiative jetzt nicht zugestimmt hätte. | |
Doch die Unterlegenen geben noch nicht auf. Von „bolschewikischer Zensur“ | |
spricht die liberale Abgeordnete Michèle Roullet. „Die großen Verlierer | |
werden unsere Kleinunternehmer sein, die sich keine Werbung mehr für sich | |
leisten können; die großen Gewinner sind Google und Co, die die großen | |
Werbekunden abschöpfen werden.“ | |
Einer Recherche der Tribune de Genève zufolge stehen bei der Außenwerbung | |
aktuell 318 lokalen Werbekunden 114 Großkunden gegenüber. Allerdings füllen | |
Letztere deutlich mehr Plakatwände und prägen damit das Stadtbild. Viele | |
Einzelhändler sagen, dass sie sich Plakatwerbung nicht leisten können. | |
## Wie geht es weiter? | |
Dennoch ist auch die Genfer Stadtregierung, der zwei Grüne, zwei | |
Sozialdemokraten und eine Christdemokratin angehören, gegen den Beschluss. | |
Die Werbung auf städtischen Flächen bringt jährlich knapp 4 Millionen Euro | |
Einnahmen. Die Stadt ist so verschuldet, dass sie jährlich 6,5 Millionen | |
Euro einsparen muss, und braucht das Geld. | |
Kritiker bemängeln zudem, dass das beschlossene Verbot die Ziele von Zéro | |
Pub gar nicht erreiche. Denn von den mehr als 3.000 kommerziell genutzten | |
Plakatwänden in Genf befindet sich nur jede Zehnte auf öffentlichem Boden. | |
Alle anderen aber sind von dem Verbot nicht betroffen. Der Streit schwelt | |
also weiter. Bis Anfang Dezember muss die Stadtregierung einen Vorschlag | |
zur Umsetzung machen. Wahrscheinlich ist, dass die Wirtschaftsverbände | |
danach ihrerseits zur Volksabstimmung aufrufen, um das Vorhaben zu stoppen. | |
Dann werden wohl überall in Genf Plakate hängen, die für und gegen ein | |
Werbeverbot werben. | |
27 Sep 2021 | |
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[1] /Volksbegehren-Berlin-Werbefrei/!5730892 | |
[2] https://www.ps-geneve.ch/wp/wp-content/uploads/2016/08/Initiative-Gen%C3%A8… | |
## AUTOREN | |
Marc Engelhardt | |
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