| # taz.de -- Blockierte Evakuierungen aus Afghanistan: Flugzeuge, die stillstehen | |
| > In Masar-e Scharif warten seit Tagen Hunderte auf die Ausreise. Flieger | |
| > sind da, die Erlaubnis war erteilt, aber es bewegt sich nichts. Warum? | |
| Bild: Flugzeuge stehen bereit: Luftaufnahme vom Flughafen Masar-e Sharif am 3. … | |
| BERLIN taz | Am Morgen des 2. September glaubte Emran Naziri noch, dies sei | |
| der Tag, an dem er Afghanistan verlassen könnte, an dem er endlich auf dem | |
| Weg wäre zurück in seine Heimat Kalifornien. Seit 2014 lebt und arbeitet | |
| der Afghane mit einer unbefristeten Aufenthaltsgenehmigung in den USA. Im | |
| Sommer 2021 war er nach Afghanistan geflogen, um seine Familie zu besuchen. | |
| Sein gebuchter Heimflug am 16. August wurde im Chaos um die Machtübernahme | |
| gestrichen. Naziri saß fest, wie Tausende andere. | |
| Aber anders als bei so vielen, die [1][trotz Visa gerade auf eine legale | |
| Ausreise warten], gab es für Emran Naziri und seine Familie zuletzt doch | |
| Hoffnung: Zwei Flugzeuge, die eine Gruppe von | |
| US-Menschenrechtsaktivist*innen, Politiker*innen und | |
| Journalist*innen gechartert hatte. Am 2. September, um 7 Uhr und um 10 | |
| Uhr, sollten die Flugzeuge in Masar-e Scharif, im Norden Afghanistans, | |
| abheben. | |
| An Bord sollten 705 Menschen sitzen. Darunter Afghan*innen, US- und | |
| EU-Bürger*innen und auch mindestens eine Familie, die eine Aufnahmezusage | |
| für Deutschland hat: Eltern mit drei kleinen Kindern, deren afghanische | |
| Verwandte in Berlin leben. Das US-Außenministerium hatte die Dokumente | |
| geprüft, die Start- und Landeerlaubnisse lagen bereit. Das bestätigen auch | |
| interne Schreiben, die die taz einsehen konnte. | |
| Eine Woche später stehen die Maschinen immer noch auf dem Flughafen von | |
| Masar-e Scharif, das zeigen aktuelle, offen verfügbare Satellitenbilder und | |
| das bestätigen Menschen, die in ihnen sitzen sollten. Wie Emran Naziri. Zu | |
| seinem Schutz wurde sein Name für diesen Text geändert. Er und seine | |
| Familie waren vor dem Abflug mit den meisten der 700 anderen in einem Hotel | |
| nahe des Flughafens untergebracht. | |
| ## „Es hab nur zwei Toiletten für alle“ | |
| “Es war extrem voll dort. Es gab nur zwei Toiletten für alle, nicht genug | |
| Betten, wir haben auf einem Stuhl geschlafen“, sagt Naziri der taz. Sein | |
| Vater war auf dem Weg zum Flughafen angeschossen und am Bein verletzt | |
| worden, er hätte einen Arzt gebraucht. „Aber mit dem Wissen, dass wir | |
| morgen rausfliegen, konnten wir die Nacht aushalten.“ Aber am Morgen machte | |
| sich auf den Fluren die Nachricht breit, dass die Flugzeuge nicht abfliegen | |
| würden. Die Taliban würden sie festhalten, hieß es. | |
| Ob tatsächlich die Taliban den Abflug verhinderten, lässt sich nicht | |
| überprüfen. Fakt ist, dass die Flugzeuge in Masar-e Scharif nicht abheben. | |
| Und dass Hunderte Menschen auf ihre Ausreise warten. Die Verantwortung | |
| dafür schieben sich das US-Außenministerium, die Taliban und die | |
| Organisator*innen hin- und her. Zu der Gruppe, die die Ausreise | |
| organisiert und die Spenden dafür eingeworben hat, gehört unter anderem der | |
| demokratische Senator Richard Blumenthal aus Connecticut. | |
| US-Außenminister Antony Blinken hat in dieser Woche Katar und die | |
| US-Militärbasis im deutschen Ramstein besucht, wo er auch Außenminister | |
| Heiko Maas traf. Bei diesen Auftritten betonte er, die USA seien im Kontakt | |
| mit den Taliban, um die Evakuierung weiterer Menschen zu organisieren. Die | |
| Zusage der Taliban wäre, alle die Reisedokumente besäßen, ausreisen zu | |
| lassen. „Die internationale Gemeinschaft beobachtet das genau, um zu sehen, | |
| ob die Taliban ihre Versprechen einhalten“, sagte Blinken. Bezogen auf die | |
| Flugzeuge in Masar-e Scharif sagte er, es gebe Unsicherheit über die | |
| Identität der Passagiere. Da kein US-Personal mehr am Flughafen operiert, | |
| könnten die Behörden die Papiere der Ausreisenden nicht checken. “Und das | |
| weckt echte Bedenken.“ | |
| Dem widerspricht Hazami Barmada vehement. Sie ist eine der Organisatorinnen | |
| der Flüge. Sie hat für die UN gearbeitet und für verschiedene | |
| Hilfsorganisationen. Alle Personen, die an Bord gehen sollten, besitzen | |
| eine Green-Card oder ein gültiges Visum“, sagt sie im Gespräch mit der taz. | |
| Auch Dokumente, die der taz vorliegen, bestätigen, dass die Unterlagen | |
| komplett waren. Warum die Flugzeuge nicht starten dürfen, versteht Barmada | |
| auch nach vielen Telefonaten und E-Mails mit den US-Behörden nicht. Barmada | |
| macht einen Mix aus Missverständnissen, Fehlkommunikation und politischer | |
| Profilierung verantwortlich. | |
| ## Wer trägt Verantwortung? | |
| Die zurückgelassenen Personen in Masar-e Scharif sind in eine | |
| innenpolitische Auseinandersetzung geraten. Republikaner nutzen sie, um | |
| Druck auf die demokratische Regierung zu machen. Der republikanische | |
| Senator Michael McCaul hatte als erster öffentlich über die feststeckenden | |
| Flugzeuge gesprochen und [2][die Taliban dafür verantwortlich gemacht]. Er | |
| sprach von einer “Geiselnahme durch die Taliban.“ Hazami Barmada, eine der | |
| Organisatorinnen der Flüge, sagt, sie habe keine Indizien für ein | |
| Verschulden der Taliban. Auch US-Außenminister Blinken hatte das öffentlich | |
| zurückgewiesen. | |
| Der Sender Fox News, der den Republikanern nahe steht, hatte zuletzt | |
| [3][Ausschnitte aus internen E-Mails aus dem Außenministerium] | |
| veröffentlicht. Demnach verzögere das Ministerium Evakuierungsflüge, weil | |
| es Unklarheit darüber gibt, ob private Charterflüge auf US Militärflughäfen | |
| landen sollten. Für die Maschine, mit der Emran Naziri und die anderen | |
| Afghanistan verlassen wollten, war eine Zwischenlandung auf einem | |
| Militärflughafen in Katar geplant. | |
| Die Menschen in Masar-e Scharif waren zu einem großen Teil mit Kleinbussen | |
| aus Kabul gebracht worden, niemand hatte mit einem so langen Aufenthalt | |
| gerechnet. Nun fehlen ihnen sichere Unterkünfte und Geld. “Unsere Hoffnung | |
| schwindet von Tag zu Tag“, sagt Emran Naziri. Bevor er in die USA | |
| ausgewandert war, hatte er für die US-Regierung in Afghanistan gearbeitet. | |
| Das bringt ihn in Gefahr, er hat Angst das Haus zu verlassen. Im Hotel am | |
| Flughafen wohnen er und seine Familie mittlerweile nicht mehr, sie sind in | |
| einem Apartment untergekommen. Dort sitzen sie und warten. Notdürftig | |
| verarzten sie das angeschossene Bein seines Vaters. Einen Arzt oder | |
| Medikamente zu bekommen, sei schwierig. | |
| Hazami Barmada, die Mitorganisatorin der Flüge, fürchtet, dass viele | |
| Menschen versuchen, selbst über die afghanischen Grenzen zu kommen, wenn | |
| Evakuierungen weiter blockiert werden. “Wenn diese Flugzeuge nicht starten | |
| dürfen, dann drängt man die Leute zu einer illegalen Ausreise.“ Damit | |
| würden sich die Menschen noch mehr in Gefahr bringen. | |
| 9 Sep 2021 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Rettung-aus-Afghanistan/!5794135 | |
| [2] https://edition.cnn.com/2021/09/05/politics/mccaul-taliban-afghanistan-airp… | |
| [3] https://www.foxnews.com/politics/state-department-afghanistan-private-rescu… | |
| ## AUTOREN | |
| Anne Fromm | |
| Luise Strothmann | |
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