# taz.de -- Afghanistan-Abzug der USA: Schlagabtausch statt Aussprache | |
> Republikaner werfen US-Außenminister Antony Blinken im Senat | |
> „Inkompetenz“ und „Verrat“ im Zusammenhang mit dem US-Abzug aus | |
> Afghanistan vor. | |
Bild: Außenminister Antony Blinken während der Anhörung des Ausschusses | |
New York taz | Es sollte eine Aussprache über den chaotischen Abzug der USA | |
aus Afghanistan, über den rasanten Kollaps der afghanischen Regierung und | |
des Militärs sowie über den künftigen Umgang Washingtons mit dem Regime in | |
Kabul werden. Aber es gerät zu einem Schlagabtausch. | |
Bei zwei Hearings am Montag und Dienstag im Senat und im | |
[1][Repräsentantenhaus] dreschen Republikaner auf Außenminister Antony | |
Blinken ein. Sie nennen ihn einen „Lügner“, werfen ihm „Inkompetenz“ u… | |
„Verrat“ vor, verlangen, dass er zurück tritt und fallen ihm ins Wort. Der | |
oberste Diplomat bleibt im Ton höflich. Aber in der Sache lehnt er die | |
Verantwortung für das Kriegsende ab. „Wir haben eine Deadline geerbt“, | |
antwortet er, „keinen Plan“. | |
Es ist einer seiner zahlreichen Hinweise auf Donald Trump, dessen Emissäre | |
im vergangenen Jahr den Truppenabzug mit den Taliban ausgehandelt haben. | |
Die Wut der Republikaner konzentriert sich auf die 100 | |
US-Staatsangehörigen, die nicht evakuiert worden sind. „Amerika lässt bei | |
Kriegsende keine Leute hinter feindlichen Linien zurück“, sagt Senator | |
James Risch aus Idaho. „Es war ein überstürzter Abzug“, befindet der | |
Abgeordnete Ronny Jackson. | |
## Fehleinschätzung der Geheimdienste | |
Ihre Vorwürfe richten sich gegen einen Außenminister, der seit acht Monaten | |
im Amt ist. Nicht gegen einen 20jährigen Krieg, den ein republikanischer | |
Präsident begonnen hat und den zwei Nachfolger – ein Demokrat und ein | |
Republikaner – trotz anderslautender Ankündigungen nicht beendet haben. | |
Anstelle einer Antwort wiederholt Blinken wie ein Mantra einen Satz von | |
[2][Präsident Joe Biden]: „Es war Zeit, Amerikas längsten Krieg zu | |
beenden“. | |
Für die Fehleinschätzungen der US-Geheimdienste, die nicht damit gerechnet | |
haben, dass die afghanische Regierung und das Militär zusammenbrechen | |
könnten, während die US-Truppen noch im Land sind, liefert Blinken keine | |
Erklärung. „Dieser unerwartet schnelle Kollaps hat alles verändert“, sagte | |
er bloss. | |
Die beiden Hearings bilden den Auftakt zu weiteren Sitzungen, bei denen es | |
um die Verantwortung für Fehler beim Abzug aus Afghanistan gehen soll. Auch | |
Demokraten kritisieren das Vorgehen beim Abzug. Aber sie schlagen | |
nachdenklichere Töne an als ihre republikanischen Kollegen. | |
„So etwas wie Reform-Taliban gibt es nicht“, mahnt der demokratische | |
Senator Robert Menendez. Sein Kollege Tim Kaine aus Virginia befasst sich | |
mit dem gescheiterten Versuch, „ein System einzuführen, das Afghanistan | |
nicht wollte“. Für ihn geht es um die Grenzen der Macht der USA. „Wir | |
schaffen es nicht, 30 Prozent der Amerikaner zu einer Impfung bewegen. Wir | |
können ebenso viele nicht davon überzeugen, das Ergebnis einer | |
Präsidentschaftswahl anzuerkennen“, sagt er, „glauben wir allen Ernstes, | |
wir könnten entscheiden, wie die Kultur eines anderen Landes sein sollte?“ | |
## Al-Qaida spielt keine Rolle | |
In Außenministerium der USA soll es demnächst eine Stelle geben, die sich | |
schwerpunktmäßig mit der Lage von [3][Frauen in Afghanistan] befasst. Der | |
Außenminister strebt „punktuelle Kooperationen“ mit den Taliban an, um | |
US-Staatsangehörige herauszuholen. Und er wird die humanitäre Hilfe um 64 | |
Millionen Dollar aufstocken. | |
Aber jede weitere Unterstützung macht er abhängig vom Vorgehen der Taliban: | |
„Wir erwarten Reisefreiheit, Respekt der Anti-Terror-Absprachen und der | |
Grundrechte für Afghanen, insbesondere Frauen, Mädchen und Angehörigen von | |
Minderheiten und ein Ende der Repressalien“. | |
Am Tag, an dem das Hearing im Senat stattfindet, heben drei ehemalige | |
US-Präsidenten – Bush, Clinton und Obama – eine Organisation aus der Taufe, | |
die Afghanen in den USA begrüßen soll und Geld für sie sammelt. Rund | |
124.000 Personen (davon rund 118.000 Afghanen) sind in dem Chaos der | |
letzten Tage aus Kabul ausgeflogen worden. | |
Mehrere Republikaner, die bei den Hearings über die zurückgelassenen | |
Staatsangehörigen geklagt haben, bremsen, wenn es um Flüchtlinge geht. | |
Senator John Barrosso will sich bei einem Interview nicht zu der Frage | |
äußern, ob heimatliches Wyoming afghanische Flüchtlinge aufnehmen wird. | |
„Haben sie tatsächlich unseren Soldaten geholfen?“, will er wissen: „sind | |
sie vor der Evakuierung sorgfältig durchleuchtet worden“. | |
Al-Qaida, die Organisation, deren Attentate im Herbst 2001 zum | |
Afghanistan-Krieg führten, kommt bei den Hearings nur am Rande vor. | |
Außenminister Blinken glaubt, dass Al-Qaida zumindest vorerst so geschwächt | |
ist, dass sie keine Bedrohung für die USA darstellt. Aber mehrere | |
US-Geheimdienstler warnen bereits wieder vor Al-Qaida. Am Dienstag teilt | |
der Vize Chef des CIA, David Cohen, mit, dass Al-Qaida-Kämpfer nach | |
Afghanistan unterwegs seien. Nach seiner Einschätzung könnten sie sich „in | |
ein bis zwei Jahren“ so weit umstrukturieren, dass sie eine Bedrohung | |
werden könnten. | |
15 Sep 2021 | |
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## AUTOREN | |
Dorothea Hahn | |
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