Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Offener Brief an Berliner Innensenator: Traumatisiert in Kabul
> Innensenator Geisel soll Jamil Ahmadi aus Kabul zurückholen, fordern
> PolitkerInnen. Der Afghane ist Opfer einer Gewalttat, unter der er bis
> heute leidet.
Bild: Kabul im Mai 2020: Grafitto zu den damaligen Friedensgesprächen zwischen…
Berlin taz | Seit der [1][Machtübernahme der Taliban] wird viel über die
Gefährdung von AfghanInnen – vor allem mit „Westkontakten“ beziehungswei…
von Ortskräften – und ihre mögliche Ausreise nach Deutschland diskutiert.
Zudem ist bekannt, dass abgeschobenen Afghanen in ihrer Heimat Gefahr für
Leib und Leben droht.
Vor diesem Hintergrund fordern bislang sieben PolitikerInnen – Ulla Jelpke,
Niklas Schrader, Katina Schubert, Hakan Taş, Ferat Kocak (Linke), Benedikt
Lux (Grüne) und Timo Schramm (SPD-Kandidat fürs Abgeordnetenhaus) – sowie
die Organisationen Flüchtlingsrat, Reachout und Republikanischer
Anwaltsverein in einem [2][Offenen Brief an Innensenator Andreas Geisel]
(SPD) die Rückholung von Jamil Ahmadi.
Der unter diesem Pseudonym bekannte afghanische Geflüchtete war [3][im März
2020 nach Kabul abgeschoben] worden. Dies geschah mitten im Prozess gegen
drei Männer, die ihn – offenbar rassistisch motiviert – am S-Bahnhof
Karlshorst angegriffen hatten. Geisel möge dem jungen Mann Bleiberecht
gewähren und seine Anwesenheit „an dem Prozess gegen die Hauptverdächtigen
des rassistischen Angriffs ermöglichen“, heißt es in dem Brief.
Die Gewalttat im Jahr 2017 warf Ahmadi nach Berichten von Freunden völlig
aus der Bahn: Er begann verstärkt Drogen zu nehmen, wurde mit Aggressionen
auffällig und entwickelte paranoide Züge. „Er hatte massive Angst ermordet
zu werden, weil er den Polizisten angezeigt hat“, so Juliane Bandelow, eine
Freundin, die mit Ahmadi in Telefonkontakt steht, am Mittwoch zur taz. „Er
sagt, die Tat habe sein Leben zerstört. Er hat immer noch Alpträume
deswegen.“ Körperlich leide er bis heute unter starken Gesichtsschmerzen,
es bestehe die Gefahr einer Erblindung.
## Prozess gegen Polizist bis heute ausgesetzt
Der Prozess gegen die drei mutmaßlichen Täter wurde im Frühjahr 2020 „wegen
Corona“ ausgesetzt und bislang nicht wieder aufgenommen. Besonders brisant:
Unter den Angreifern war ein Polizist, der bis 2016 Kontaktbeamter der
„Ermittlungsgruppe Rechtsextremismus“ war, die die rechte Anschlagsserie in
Neukölln aufklären sollte. Kurz nach der Abschiebung erließ Geisel eine
Weisung, dass Opfer rassistischer Straftaten aus humanitären Gründen ein
Bleiberecht bekommen sollten.
Für Ahmadi kam dies zu spät. Begründet wurde seine „Rückführung“ mit
Straftaten: Vorwiegend im Jahr 2019, also nach dem Übergriff, soll er
mehrere Körperverletzungen angedroht und teils begangen sowie Menschen
beleidigt haben. Ein gerichtliches Gutachten attestierte ihm allerdings
Schuldunfähigkeit, so dass er nie verurteilt wurde. Geisel betont seit
Jahren, Berlin schiebe nur „Straftäter“ nach Afghanistan ab.
Ein Sprecher Geisels sagte dennoch auf taz-Anfrage, der Senator lehne es
weiterhin ab, Ahmadi zurückzuholen. Grund sei vor allem sein
„Gefährdungspotenzial für Leib und Leben Dritter“, das sich aus den
Straftaten ergebe. Es sei auch nicht nötig, ihn wegen des Prozesses gegen
seine Angreifer zurückzuholen, da er bereits als Zeuge vernommen worden
sei. Auch sei die behauptete Traumatisierung durch die Tat „nicht mit
Attesten nachgewiesen“, obwohl dies möglich gewesen wäre.
Ahmadi, der 2015 nach Berlin kam, war bis zur Gewalttat ein „geschätzter
Kollege in einem Kinderladen“, heißt es im Offenen Brief, der der taz
vorliegt. Auch Bandelow beschreibt ihn als sozialen und engagierten
Menschen. „Er war sehr bemüht hier Fuß zu fassen.“ Aktuell gehe es ihm se…
schlecht, sagt sie, so beschreiben es auch die Politiker in dem Brief. Dort
heißt es: „Das Blossom Health Care Center in Afghanistan hat ihm im Januar
2021 eine schwere depressive Erkrankung bescheinigt, die dringend einer
medizinischen Behandlung bedürfe, die in Afghanistan jedoch nicht möglich
sei.“
Zudem sei sein Leben in Gefahr, da enge Familienangehörige, bei denen er in
Kabul lebt, für die afghanische Regierung beziehungsweise die britische
Botschaft gearbeitet haben. Bandelow bestätigt dies. Ahmadi habe selbst
Kontakt zu westlichen Organisationen gehabt und sei vor Ort als Rückkehrer
bekannt. „Er traut sich nicht mehr vor die Tür.“
8 Sep 2021
## LINKS
[1] /Schwerpunkt-Afghanistan/!t5008056
[2] https://www.ulla-jelpke.de/2021/09/offener-brief-zur-abschiebung-des-afghan…
[3] /Abschiebung-nach-Afghanistan/!5707119
## AUTOREN
Susanne Memarnia
## TAGS
Schwerpunkt Afghanistan
Schwerpunkt Polizeigewalt und Rassismus
Pakistan
Schwerpunkt Flucht
Schwerpunkt Afghanistan
Abschiebung
Abschiebung
Abschiebung
## ARTIKEL ZUM THEMA
Schwerbehindertem droht Abschiebung: Auf eigenen Beinen stehen
Raheel Afzal flüchtete vor sieben Jahren aus Pakistan nach Deutschland. Nun
soll der schwerbehinderte 33-Jährige abgeschoben werden.
Flüchtlingsrat zieht Bilanz von R2G: Viel versprochen, wenig gehalten
Der Berliner Flüchtlingsrat ist enttäuscht vom scheidenden Senat: Berlin
sei „Abschiebechampion“, mache aber zu wenig für Integration.
Blockierte Evakuierungen aus Afghanistan: Flugzeuge, die stillstehen
In Masar-e Scharif warten seit Tagen Hunderte auf die Ausreise. Flieger
sind da, die Erlaubnis war erteilt, aber es bewegt sich nichts. Warum?
Im Blaumann aus Berlin nach Afghanistan: Abschiebung(en) vollzogen
Trotz Protesten aus der Koalition wurde am Mittwoch ein 21-jähriger Afghane
aus der Jugendarrestanstalt abgeschoben. Er war nicht der Einzige.
Drohende Abschiebung nach Afghanistan: Kritik an Berlins Innensenator
Erneut soll am ein Mann aus Berlin nach Afghanistan abgeschoben werden.
Flüchtlingsrat und Sozialdemokrat*innen fordern einen Abschiebestopp
dorthin.
Berliner Abschiebefall: Justiz stimmte Abschiebung zu
Nach Afghanistan abgeschobener Nebenkläger soll im Görlitzer Park Menschen
bedroht haben. Generalstaatsanwaltschaft führte das Verfahren.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.