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# taz.de -- Übermüdete Eltern: Genieß es!
> Mamasein heißt oft, ein schlechtes Gewissen zu haben. Weil es sich nie
> nach Vereinbarkeit anfühlt, sondern immer nach zu viel von allem.
Bild: Um das Bett herum stehen fünf Ladungen Wäsche, die gefaltet und wegger�…
Ich feiere heute mein 4-jähriges Mamasein. Also „feiern“. Es sprangen bis
eben vier Kinder durch die Wohnung, erzeugten ohrenbetäubenden Lärm, bei
dem man nie sicher sein kann, ob sie spielen oder sich an die Gurgel gehen.
Eigentlich wollten wir das ganze draußen veranstalten, aber es war Gewitter
angesagt. Also dachten wir: Hey, wir verschieben die Feier draußen um eine
Woche. Und die Kinder, die nächste Woche nicht können, kommen einfach
heute. Sie gehen alle in eine Kita-Gruppe, also so viel Coronarisiko wie an
jedem anderen Tag.
Super Idee. Irgendwann hab ich verstanden, dass ich den Stress so nicht
geteilt, sondern verdoppelt habe. Aber das Kind ist glücklich. Als ich ihn
gefragt habe, wen er einladen will und er zehn Kinder aufgezählt hat, war
mein erster Gedanke: „Haha. Nein.“ Aber dann kam mir, dass er auf so vieles
verzichten musste in den vergangenen 1,5 Jahren. All die verpassten
Playdates, Ausflüge, Partys und Übernachtungen. Also gut.
Vier Jahre. Oft hab ich ein schlechtes Gewissen. Weil ich zu wenig Geduld
habe, zu oft Nein sage, nicht immer schaffe, was ich mir vornehme. Weil ich
zu viel arbeite, zu viel aufräume, zu müde bin. Weil es sich nie nach
Vereinbarkeit anfühlt, sondern immer nach zu viel von allem. Weil ich nicht
genug Geld habe, die Situation zu ändern, weil ich politischen Widerstand
leisten müsste. Und natürlich: Weil ich es nicht genug genieße. Einer der
schlimmsten Sprüche von Eltern für Eltern: „Genieß es. Es geht so schnell
vorbei.“
Da krieg ich sofort Schweißperlen auf der Stirn. Denn ich weiß doch gar
nicht wie? Also ja, manchmal, da ist alles schön für einen Moment. Keiner
brüllt, muss Pipi, hat Hunger, sich wehgetan, will kuscheln, ist müde.
Keiner hat Sand im Auge, die Klopapierrolle ins Klo gesteckt oder den Tisch
mit Butter einbalsamiert.
## Wäsche und Wutanfälle
Aber die meisten Momente sind halt so wie dieser hier gerade: Ich liege
neben dem Baby im Bett, es hat sich den heutigen Besuch von der Seele
gebrüllt, hat getrunken, ist eingeschlafen. Um das Bett herum stehen fünf
Ladungen Wäsche, die gefaltet und weggeräumt werden müssten. Draußen
schüttet es immer noch, ich denke kurz an die Wäsche auf dem Balkon, aber
egal. Im Wohnzimmer hat der jetzt Vierjährige einen Wutanfall, irgendwas
bestimmtes wollte er noch machen, aber der Tag ist vorbei.
Der Vater besänftigt ihn, bringt die durchgerockte Wohnung in passablen
Zustand, während er das Badewasser einlässt. Ich schreibe meine Kolumne in
der Dunkelheit auf dem Handy. Mir sausen die Ohren.
Eigentlich wollte ich gar nicht über Kindergeburtstage schreiben, sondern
darüber, dass die Coronapolitik die Kinder weiterhin ignoriert. Darüber,
dass ich Angst vor dem Herbst und dem Winter habe. Dass ich hoffe, nie ein
schlechtes Gewissen haben zu müssen, weil ich meine Kinder nicht genug
geschützt habe. Und hoffe, dass ich auch nach fünf Jahren Mamasein noch
zwei glückliche Kinder habe. Aber das alles schaff ich gerade nicht. Also
genieß ich das jetzt mal.
31 Aug 2021
## AUTOREN
Saskia Hödl
## TAGS
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