# taz.de -- Leistungsgesellschaft und Sport: Die Wahrheit der Fußballtabelle | |
> Geld schießt keine Tore. Beim genauen Studium der Bundesligastatistiken | |
> offenbart sich allerdings einiges über diese Gesellschaft. | |
Bild: Ersetzt etliche Bücher: die legendäre „Kicker“-Stecktabelle | |
Die Tabelle lügt nicht – das gehört zu den ehernen Fußballwahrheiten. So | |
war das schon vor 50 Jahren. Und damals sah es am Ende der Saison 1970/71 | |
unten so aus: 14. Arminia Bielefeld, 15. Eintracht Frankfurt, 16. | |
[1][Rot-Weiß Oberhausen], 17. [2][Kickers Offenbach], 18. Rot-Weiß Essen. | |
(Damals gab es noch die Zweipunkteregel und keine Relegation; abgestiegen | |
waren der 17. und 18.). Oberhausen und Offenbach hatten beide 27:41 Punkte, | |
Oberhausen jedoch eine Tordifferenz von –15, Offenbach von –16. Noch | |
genauer ausgedrückt: Oberhausen hatte 54:69 Tore, Offenbach 49:65. | |
Der Soziologe Lothar Hack hat das damals analysiert, auch wenn er die | |
Auswirkungen des Bundesligaskandals nur andeuten konnte. Solche Regelungen | |
seien nur Übereinkunft, kein echtes Abbild der Saisonleistung, | |
argumentierte er. „Wäre es zum Beispiel Konvention, dass die Mannschaft | |
besser ist, die weniger Tore reinbekommen hat, wären die Oberhausener | |
abgestiegen.“ | |
Hack rechnete weiter: „Würde man die Tordifferenz vor dem Punktverhältnis | |
bewerten, hätte es die Bielefelder erwischt.“ Die hatten –19 Tore. Ähnlic… | |
wenn die Mannschaft mit den wenigsten Toren absteigen müsste. Das war auch | |
Bielefeld mit 34:53 Toren. | |
Kurz gesagt: Wer der Beste und wer der Schlechteste im Sport ist, basiert | |
auf einer Übereinkunft, die von Sportverbänden hergestellt wurde. Kann man | |
etwas dagegen haben? Eigentlich nicht, denn nach kurzem Nachdenken fällt | |
jedem auf, dass alles, was den Sport ausmacht, gesellschaftlich-historisch | |
entstanden ist. Banal, wenn es nicht die Rede von der schönen Gegenwelt | |
gäbe, die der Sport sei. Und dass im Sport nur die Leistung zähle, ohne ein | |
diskriminierendes Ansehen der Person. | |
## Wolfsburg, München, Dortmund | |
Die aktuelle Bundesligatabelle wird vom VfL Wolfsburg angeführt, für den | |
sich aus irgendeinem Grund noch gar nicht die Abkürzung VW eingebürgert | |
hat: vier Spiele, vier Siege, zwölf Punkte. Auf Platz zwei und drei folgen | |
Bayern München, auch genannt die Deutsche Bank der Liga, und Borussia | |
Dortmund, ein börsennotiertes Fußballunternehmen: vier Spiele, 10 | |
beziehungsweise 9 Punkte. | |
Lässt man den Blick noch ein bisschen weiter runterscrollen, wird es etwas | |
diverser: Nicht ganz so reiche Vereine wie Mainz oder Freiburg sind | |
erstaunlich weit oben. Finanziell gut gepamperte Klubs wie Leipzig, | |
Hoffenheim oder Hertha finden sich erstaunlich weit unten wieder. | |
Lässt man den Blick auf vergangene Jahre und Spielzeiten wandern, fällt | |
auf, dass Geld zwar tatsächlich keine Tore schießt (was ja auch eine der | |
ehernen Weisheiten des Fußballs ist), sonst wäre im vergangenen Jahr | |
Schalke nicht abgestiegen und sonst hätte Bayer Leverkusen doch bestimmt | |
irgendwann mal in seiner Vereinsgeschichte irgendeinen Meistertitel geholt. | |
Aber in the long run, wie Ökonomen gerne formulieren, setzt sich Geld eben | |
doch durch: Bayern spielt schon seit Jahrzehnten oben mit, Borussia | |
Dortmund ist seit vielen Jahren Bayernjäger und Spitzenklub, RB Leipzig hat | |
einen bemerkenswerten Durchmarsch von der fünften Liga in die Champions | |
League hingelegt, und der VfL Wolfsburg war sogar schon einmal Deutscher | |
Meister der Männer (im Frauenfußball sind sie bekanntlich noch | |
erfolgreicher, aber hier geht es ja gerade darum, dass der Fußball nur so | |
tut, als sei er eine ehrliche Darreichung der Leistungsgesellschaft). | |
„Der Leistungssport ist ein Zerrspiegel, der der Gesellschaft ihr Bild | |
zurückwirft, in dem sie sich zu erkennen glaubt und das sie schön findet, | |
weil es ihr mit seinen Zügen des Spielerischen und des Gerechten | |
schmeichelt“, hat der Soziologe Lothar Hack 1972 geschrieben. „Es hat wenig | |
Sinn, auf den Spiegel zu schießen.“ | |
Die Tabelle lügt nicht, sie vermittelt nur einen oberflächlichen Schein. | |
Wenn wir sie jedoch genau analysieren, sehen wir, welche historischen | |
Konventionen, welche Zutrittsbeschränkungen und welche Privilegierungen | |
sich in ihr ausdrücken. | |
12 Sep 2021 | |
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## AUTOREN | |
Martin Krauss | |
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