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# taz.de -- Kolumne Pressschlag: Äthiopier helfen Bayern nicht mehr
> Wenn die Bundesligatabelle nicht mehr langweilig ist, werden die Zeiten
> unruhiger. Über die Neunzigerjahre in in Berlin-Charlottenburg.
Bild: Was für ein Ergebnis!
Vor etlichen Spielzeiten, präziser gesagt: irgendwann kurz vor Ende des
letzten Jahrtausends schaute sich mein Freund Bobas nach dem fünften
Spieltag die Bundesligatabelle an. Und zwar analog. Auf Papier gedruckt in
einer Zeitung. Verrückte Zeiten waren das damals.
In der Tabelle begann sich gerade der FC Bayern abzusetzen. Noch nicht
dramatisch, aber immerhin: Die zwei Punkte Vorsprung sollten reichen, um am
Ende der Saison dem übervollen Trophäenschrank der Bayern eine weitere
Meisterschale einzubringen.
„Die Tabelle kommt langsam in Ordnung“, schloss der junge Mann aus
Äthiopien, den das Leben in meine Wohnung befördert hatte, nachdem er nach
seinem Abitur in Addis Abeba zunächst nach Russland ausgewandert war. Dort
wollte er eigentlich seinen Wehrdienst ableisten, um gleich danach
Kampfpilot zu werden. Doch nach wenigen Monaten kam es in Äthiopien zu
einem Systemwechsel.
Als die Schulfreunde von Bobas, die mit ihm nach Russland gegangen waren,
nach der Flugschule gleich am Flughafen von Addis Abeba von Männern mit
gezogenen Waffen empfangen und in Haft gesteckt wurden, zog Bobas die
richtigen Schlüsse. Er borgte sich von seinen Kommilitonen ein wenig Geld.
Mit dem Zug schaffte er es nach Berlin-Friedrichstraße. Als er es dann noch
in eine S-Bahn schaffte, musste er zumindest vor äthiopischen Gewehrläufen
keine Angst mehr haben.
Als ich ihn zum letzten Mal sah, hatte er eine Frau und drei Kinder. Das
nötige Geld verdiente er sich in einem 24-Stunden-Geschäft am Bahnhof Zoo.
Die Hoffnung, jemals in sein Heimatland zurückzukehren, war in der
Zwischenzeit deutlich verblasst.
## „Dschingis Khan, du bist dran“
In keiner Weise verblasst war hingegen die natürliche Arroganz, die junge
Kampfpiloten scheinbar kostenlos zu ihrem letzten Zeugnis dazubekommen.
„Könntest du auch eine Boeing 747 fliegen?“, hatte ich ihn einst
ehrfürchtig gefragt. „Fragst du einen Formel-Eins-Fahrer, ob er einen
Linienbus fahren kann?“, lautete seine Antwort.
Wie aber komme ich von der Tabelle nach dem sechsten Spieltag der
Fußball-Bundesliga auf eine Zeit, als Äthiopier sich darüber freuten, dass
der FC Bayern München sich erstmals vom Rest der Tabelle absetzte? Erlauben
Sie mir bitte noch ein paar zusätzliche Informationen.
Ihr Kommentator lebte damals auch schon in Berlin-Charlottenburg. Und zwar
zusammen mit einer Schweizerin, deren illegal eingeführter Katze und dem
ihnen bereits vorgestellten Bobas. Da das alles vor dem Abkommen von
Schengen stattfand, musste Letzterer jedes Jahr einmal beim
Einwohnermeldeamt antreten.
Dort herrschte noch ein Geist, der hoffentlich deutlich verblasster ist als
die Hoffnungen von Bobas. Es gab dort nämlich drei Eingänge: einen für
Menschen aus der Europäischen Gemeinschaft, einen zweiten für
US-Amerikaner, Schweizer und sonstige befreundete Nationen. Mit Bobas
musste Ihr Kommentator immer durch die dritte Tür. Und er selbst war dabei,
als ein genervter Beamter seufzte: „Dschingis Khan, du bist dran“.
Der junge Mann, der dieser Aufforderung folgte, stammte aus der Mongolei.
Und Ihr Kommentator konnte plötzlich verstehen, warum sein Freund Bobas
ängstlich darauf bestanden hatte, dass er ihn begleitet.
Nun gut, das alles ist lange her. Aber dass sich gewisse Dinge ändern –
oder wenigstens: ändern könnten –, das lässt sich auch an der Tabelle
ablesen. Zum Beispiel, wenn Bayern München zwar noch nach wenigen
Spieltagen die Tabelle angeführt hat, aber nach dem sechsten Spieltag nur
noch auf Platz zwei steht.
Ist das gut? Schwer zu sagen. Anders als in den Neunzigern ist ja
beispielsweise auch, dass sich seit wenigen Jahren überall rechte Spinner
erfolgreich in Parteien organisieren. Tun wir alles, dass die nicht am Ende
auch noch Meister werden.
30 Sep 2018
## AUTOREN
Knud Kohr
## TAGS
Tabelle
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