# taz.de -- Kolumne Pressschlag: Der Kopf ist nicht zum Denken da | |
> Viele wünschen sich derzeit die guten alten Zeiten zurück. Warum | |
> Fußballfans lieber Abstiege und Auswärtsreisen durch niedrige Ligen | |
> mögen. | |
Bild: „Und dann fängt der Kopf an nachzudenken“ | |
„Häufig haben wir Heimweh nach Orten, an denen wir nie gewesen sind“, | |
schrieb Carson McCullers 1940 in der amerikanischen Vogue, und auch wenn | |
sie mit „wir“ keinesfalls deutsche Fußballfans meinte, hat sie sie mit | |
diesem Satz doch sehr gut beschrieben. Denn wenn Fußballfans etwas eint, | |
dann ist es Heimweh, beziehungsweise Sehnsucht. Und zwar natürlich nach den | |
besseren Zeiten. | |
Je nach präferiertem Verein liegen diese Zeiten Jahre oder viele Jahrzehnte | |
zurück, und in manchen Fällen hat es sie nie gegeben, aber klar ist: Früher | |
war alles besser. Wie zum Beispiel in den Siebzigern, als es die spannenden | |
Meisterschaftsduelle zwischen Bayern München und Borussia Mönchengladbach | |
gab, damals, als Fußballer die obligatorische Frage nach ihrem | |
Lieblingsessen im Stadionheft noch grundsätzlich mit „Rumpsteak mit | |
Fritten“ und nicht mit „Sushi“ oder „Scampi“ beantworteten. | |
Dass die damaligen Saisons – oder heißt es „Saisonen“, was eigentlich | |
hübscher aussehen würde – früher gar nicht ausschließlich aus Spielen der | |
Bayern gegen die Borussen bestanden, sondern mehrheitlich aus Begegnungen, | |
die an Stinkelangweiligkeit den heutigen kaum nachstehen, wird dabei allzu | |
leicht vergessen. Wie auch, dass dieses Meisterwerden wahrscheinlich gar | |
nicht so nachhaltig großartig ist, wie man es sich als Fan des, sagen wir: | |
MSV Duisburg immer so vorstellt. | |
Denn wenn es sich um ein Erlebnis handeln würde, von dem man ewig zehren | |
können würde, würden nicht alle Einmalchampions alles daransetzen, gleich | |
den nächsten Titel zu holen und den übernächsten und den überübernächsten. | |
Nein, es nimmt und nimmt kein Ende, das Gewinnerseinwollen, was natürlich | |
einerseits am Wesen des Sports an sich liegt, aber andererseits auch | |
bestimmt daran, dass es nie wieder so schön sein wird wie beim ersten Mal. | |
Wobei, ist dieses erste Mal wirklich so toll, wie es sich die danach | |
Lechzenden immer wieder ausmalten? Vermutlich ja. Jedenfalls die | |
Jubeleruption nach dem Abpfiff und das folgende Triumphgefühl, und | |
wahrscheinlich auch noch das Feiern am Abend. Und dann? Dann gehört der | |
Verein plötzlich der ganzen Stadt, denn nicht nur die treuen Fans sind mit | |
ihm Meister geworden, sondern auch der Blödmann-Nachbar von gegenüber, die | |
Blödfrau vom Finanzamt und natürlich auch der Dingens, der einen damals, | |
als man ganz stolz mit dem ersten Fanschal in die Schule kam, so hämisch | |
ausgelacht hat. | |
Das ist schon mal nicht schön, aber damit hören die Ärgernisse nicht auf: | |
Plötzlich schreiben Leute Artikel in überregionalen Zeitungen, von denen | |
man zuverlässig weiß, dass sie noch nie in der Kurve standen, wie übrigens | |
auch die lokalen Vips, die bei der Meisterschaftsfeier ganz | |
selbstverständlich die besten Plätze bekommen, was, wenn man es recht | |
bedenkt, eine große Ungerechtigkeit gegenüber den treuen Anhängern ist, die | |
damals nach dem Unglück, also dem Abstieg in die Zweite Liga, | |
aufopferungsvoll alle zwei Wochen in ganz abscheuliche Provinznester | |
fuhren, um den Verein anzufeuern. Und das ist nun der Dank. Na super. | |
Und in der folgenden Saison ist man dann gar nicht mehr unter sich, sondern | |
überall stehen diese fremden Leute herum und nehmen Platz weg und können | |
nicht mal die Vereinshymne auswendig, und eigentlich war es damals in der | |
Zweiten Liga doch auch schön. | |
Okay, das alles meinte Niko Kovač sicher nicht, als er die Ursache für die | |
unerwartete Niederlage gegen Borussia Mönchengladbach mit dem wunderbaren | |
Satz beschrieb: „Und dann fängt der Kopf an nachzudenken.“ Aber so ist es | |
doch: Wenn der Kopf erst mal anfängt nachzudenken, ohne dass er dazu | |
aufgefordert wurde, fangen die Probleme an. Das war übrigens auch schon in | |
den guten alten Zeiten so, insofern noch ein Grund weniger, sich nach ihnen | |
zu sehnen. | |
8 Oct 2018 | |
## AUTOREN | |
Elke Wittich | |
## TAGS | |
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