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# taz.de -- Frauenfußball bei Hertha BSC: Ein Hauch von Kulturwandel
> Der Fußballbundesligist der Männer will 2023 ein Frauenteam aufstellen.
> Endlich. Das ist ein Erfolg des neuen Chefs und der Fans.
Bild: Banner für den Frauenfussball beim Spiel Hertha – Bayern Anfang Novemb…
Im August hat sich Hertha BSC einen Rüffel von der Bild-Zeitung
eingefangen. Der Club habe „eine wichtige sportliche und gesellschaftliche
Entwicklung verpasst“, hieß es dort. Es ging tatsächlich um –
Frauenfußball. Wenn sogar das konservative Hetzblatt findet, Hertha müsse
nun mal endlich Frauen kicken lassen, dann ist das wohl wirklich das, was
man gesellschaftlichen Wandel nennt.
Hertha, der letzte Männer-Bundesligist ohne Frauenabteilung, hatte zu
diesem Zeitpunkt den Widerstand schon aufgegeben. Am vergangenen Sonntag
hat der Verein auch offiziell die weiße Fahne gehisst: Im kommenden Sommer
soll erstmals ein Hertha-Frauenteam an den Start gehen. Ist das ein Grund,
die Korken knallen zu lassen, oder nur peinliches Nachzüglertum?
Zunächst einmal ist es tatsächlich ein Anlass, einen Fortschritt im
verkrusteten Fußball zu diagnostizieren. Seit [1][der erfolgreichen EM der
Frauen im Sommer], bei der die Deutschen Vize-Europameisterinnen wurden,
ist eine zarte Bewegung entstanden: erstmalige Public Viewings,
Investmentboom im Ausland, selbst Karl-Heinz Rummenigge findet Förderung
kickender Frauen plötzlich ganz wichtig.
Ob dem Hype zu trauen ist, bleibt abzuwarten, und er ist nicht ohne
Schattenseiten. Aber der gesellschaftliche Druck ist gestiegen. Inzwischen
kommt ein Bundesligist wie Hertha in Erklärungsnot.
## Druck aus den Fanblocks
Dieser Druck ist auch aktiven Fanszenen zu verdanken. Nicht nur Schalke und
Dortmund knickten unlängst nach Protesten aus den Fanszenen ein und
gründeten Frauenteams. „Ja zum Frauenfußball!“ plakatierten auch
Hertha-Fans. Und die Gründung der Frauenabteilung geht auf einen
offiziellen Antrag des Fanklubs Axel Kruse Jugend zurück.
Man muss viele Fanszenen nicht für feministisch halten. Bis heute sind sie
oft archaische Macho-Domänen mit extrem geringem Frauenanteil. Aber ihre
Mitglieder sind auch Mitglieder einer sich wandelnden Gesellschaft.
Dazu lässt sich, zweitens, ein bemerkenswerter Fortschritt bei Hertha
beobachten. Seit Kay Bernstein als erster ehemaliger Ultra zum Präsidenten
eines Erstligisten wurde, hat sich tatsächlich die Vereinskultur gewandelt:
mehr Transparenz, eine glaubhaftere Positionierung etwa zu ethischen Themen
wie Sportwetten und der WM in Katar, mehr Bodenständigkeit statt „Big City
Club“.
Nachdem sich die beiden alten Machtblöcke – die Gruppe des verkrusteten
Berliner Wirtschaftsestablishments um Ex-Präsident Werner Gegenbauer und
die Gruppe um den autoritären, oft größenwahnsinnigen Investor Lars
Windhorst – gegenseitig zerschossen haben, ist ein neuer Spielraum
entstanden. Und viele Fans anderer Standorte schauen seit Jahren zum ersten
Mal wieder mit Sympathie auf Hertha.
## Ungewohnte Worte
Dass die Gründung des Frauenteams mit dieser demokratischen Aufbruchsphase
zusammenfällt, ist sicher kein Zufall. „Wir wollen uns [an den Erwartungen]
messen, weil es uns wichtig ist, Frauenfußball zu etablieren“, hat
Bernstein gesagt. Ungewohnte Worte.
Zugleich bleibt der späte Zeitpunkt, zu dem das Frauenteam kommt,
hochnotpeinlich für einen selbsternannt innovativen Klub. Seit 2009, als
rund um die Frauen-WM 2011 im eigenen Land der DFB die Klubs aufforderte,
mal was mit Frauen zu machen, ging Hertha Alibi-Engagements ein, die
mehrfach mutwillig und gleichgültig scheiterten.
Zunächst beim FC Lübars, jenem damaligen Zweitligisten, den Hertha
angeblich in die Bundesliga führen wollte. Damit war es dann doch nicht so
weit her. Lübars hat sich 2015 sogar sportlich für die erste Liga
qualifiziert, Hertha wollte aber die Zeche nicht zahlen. [2][Man ließ die
Lübarserinnen fallen], bald darauf musste der Club seine Frauenteams
komplett abmelden.
Ähnlich alibimäßig wirkte Herthas jüngste Partnerschaft mit dem
Erstligisten Turbine Potsdam, den man jährlich mit 250.000 Euro unterstützt
haben soll. In einer Frauen-Bundesliga, in der die Spitzenbudgets
mittlerweile auf rund 10 Millionen geschätzt werden, ist das zum Sterben zu
viel und zum Leben zu wenig.
## Engagement als Alibi
Stets konnte man den Eindruck gewinnen: Herthas Engagements im
Frauenfußball dienten vor allem dazu, Rufe nach einem eigenen Frauenteam
abzumoderieren – und um etwas vorweisen zu können, falls der DFB ein
Frauenteam doch mal zur Lizenzbedingung für die Männer-Bundesliga machen
sollte.
Woher genau nun das neue Frauenteam kommen soll, ist noch nicht klar. Eine
Übernahme eines [3][erfolgreichen lokalen Frauenteams wie Türkiyemspor]
brachte Präsident Bernstein ins Spiel, ebenso erneut den FC Lübars.
Offenbar will man sich nicht wie Dortmund und Schalke selbst von ganz unten
hochquälen.
Eine Übernahme von Turbine Potsdam dagegen ist kein Thema, die Kooperation
wird nicht verlängert. Offiziell, weil die Klubs in zwei verschiedenen
Bundesländern spielen. Allerdings ist Turbine – akut abstiegsgefährdet,
intern zerstritten und personell auf allen Ebenen völlig implodiert – auch
kein allzu zukunftsträchtiger Standort. Und sobald der Partnerverein in
Problemen steckte, war Hertha ja schon mal schnell dabei, sich aus dem
Staub zu machen.
Es wäre zu wünschen, dass der dritte Anlauf ernster gemeint ist. Kritische
mediale Begleitung wird nötig sein. Bernstein erklärte vage, man werde
keine Fehler anderer Klubs wiederholen und nichts heraufbeschwören, „was
wir am Ende nicht bändigen können“. Das klingt eher nicht nach
Frauen-Bundesliga. Und auf der Mitgliederversammlung, so berichtete es die
Berliner Zeitung, gab es auch Stimmen, die fragten, ob es wirklich sein
müsse, in der wirtschaftlich angespannten Lage ein Frauenteam zu gründen.
## Eine Chance
Die Ressentiments sind weiterhin groß, auf der Prioritätenliste bleiben
Frauen im Fußball oft ganz unten. Zum Korkenknallen ist es also zu früh.
Aber das neue Team wäre eine Chance für Hertha zu zeigen, dass man auch auf
diesem Gebiet einigermaßen auf der Höhe der Zeit angekommen ist.
19 Nov 2022
## LINKS
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