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# taz.de -- 100.000 Wohnungen in Berlin umgewandelt: Ene mene muh, und raus bis…
> Auf Berlin rollt eine Welle an Eigenbedarfskündigungen zu. Die
> Hausgemeinschaft Husemannstraße 12 bekommt Unterstützung von der SPD.
Bild: Mieterinnen und Mieter in der Husemannstraße 12
Berlin taz | Klaus Mindrup ist trotz Erkältung zum abendlichen Treff im
zweiten Hinterhof der [1][Husemannstraße 12] gekommen. Das Mietshaus in
Prenzlauer Berg gehört Walter Bahe, einem stadtbekannten Spekulanten. Bahe
hat die Wohnungen im Haus schon vor zwei Jahren aufteilen lassen. Damit
kann er nun jede einzelne Wohnung als Eigentumswohnung verkaufen. „Wir
haben Angst, dass er versucht, uns aus den Wohnungen zu ekeln, um sie dann
teuer zu verkaufen“, sagt eine Mieterin.
Klaus Mindrup kennt das Geschäftsmodell mit der Umwandlung in
Eigentumswohnungen. Als Bundestagsabgeordneter der SPD hat der
Mietenexperte für das sogenannte [2][Baulandmobilisierungsgesetz] gekämpft,
das seit Mai gilt und weitere Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen
erschweren soll. Mindrup weiß aber auch, dass in den vergangenen zehn
Jahren bereits über 100.000 Wohnungen in Berlin umgewandelt worden sind.
Die Husemannstraße 12 mit ihren 32 Wohnungen gehört dazu. Für sie kommt das
neue Gesetz zu spät.
Auch Lukas Siebenkotten ist zum Treffen der Mieterinnen und Mieter im
zweiten Hinterhof gekommen. Er ist Präsident des Deutschen Mieterbundes und
erklärt die Rechtslage. Wenn eine Wohnung in Eigentum umgewandelt wird,
darf der Eigentümer sieben Jahre lang nur an die Mieterinnen und Mieter
verkaufen. „Das gilt aber nur für die, die zum Zeitpunkt der Umwandlung in
der Wohnung leben“, sagt er. „Wird die Wohnung weitervermietet, kann der
Vermieter sofort an einen Dritten verkaufen.“
## Zehn Jahre sind zu wenig
In diesem Falle schützt die Mieterinnen und Mieter nur noch die gesetzliche
Kündigungsfrist. In Berlin, das der Senat als Ganzes zum angespannten
Wohnungsmarkt erklärt hat, beträgt diese Kündigungsfrist zehn Jahre. Wer
eine Eigenbedarfskündigung ausgesprochen (und gegebenenfalls vor Gericht
durchgefochten) hat, kann also nach zehn Jahren die bisherigen Mieterinnen
und Mieter zum Auszug zwingen.
Was das bedeutet, schildert an diesem Mittwochabend Astrid Hollmann. Die
SPD-Frau, die sich in Mitte um ein Abgeordnetenhausmandat bewirbt, ist
selbst von einer Eigenbedarfskündigung betroffen. „Unser Haus ist schon
1998 umgewandelt worden“, berichtet Hollmann, die seit 13 Jahren in ihrer
Wohnung lebt. Neun Monate hat sie nun noch, um umzuziehen. „Mein Leben ist
seitdem durcheinandergeraten“, sagt sie.
Der Fall von Astrid Hollmann, betont Klaus Mindrup, wird kein Einzelfall
bleiben. 100.000 umgewandelte Wohnungen bedeuten, dass demnächst jährlich
10.000 Wohnungen aus der geltenden Kündigungssperrfrist von zehn Jahren
fallen, schreibt er in einem Diskussionspapier, das der taz vorliegt. „Hier
droht vor allem in Berlin eine soziale Katastrophe.“ Mindrup spricht von
einer „Verdrängungswelle in den vor allem betroffenen Innenstadtkiezen
durch Eigenbedarfskündigungen“.
## Missbrauch soll bestraft werden
Auch deshalb will Mindrup, dass die neue Bundesregierung hier einen Riegel
vorschiebt. Konkret fordert er, die Kündigungssperrfrist auf zwanzig Jahre
zu verlängern. Darüber hinaus sollen Eigenbedarfskündigungen nur noch für
nahe Familienangehörige möglich sein, die auch nachweisen müssen, dass sie
dauerhaft in der gekündigten Wohnung leben. „Wer missbräuchlich kündigt,
muss mit einer Strafe rechnen müssen“, fordert Mindrup in der
Husemannstraße 12.
Doch der Forderungskatalog des Mietenpolitikers, der vor Kurzem noch im
Aufsichtsrat der [3][Genossenschaft Bremer Höhe] saß, geht noch weiter. So
will Mindrup ein Register einführen, in dem jeder eingetragen ist, der
einen Eigenbedarf geltend macht. „So soll ausgeschlossen werden, dass eine
Kündigung spekulativ erfolgt“, so Mindrup. In einem weiteren öffentlich
zugänglichen Kataster soll zudem jede Umwandlung aufgeführt werden, „damit
die Mieterinnen und Mieter zu jeder Zeit wissen, welche Schutzfristen
gelten“.
„Das Geschäftsmodell Umwandlung ist ein Vereinzelungsthema“, sagt Mindrup
im Hof der Husemannstraße. Die Mieterinnen und Mieter können davon ein Lied
singen. Zwar wissen sie, dass sie nach der Umwandlung vor zwei Jahren noch
fünf Jahre lang die Sicherheit haben, dass ihre Wohnung nicht an einen
Dritten verkauft wird. Aber was ist dann? Und was, wenn jemand vorher
auszieht? „Wir sind in einer Warteschleife“, sagt ein Mieter. „Wir wissen,
dass was passiert, aber wir wissen nicht was.“
Beruhigend ist das nicht. Erst recht nicht, wenn Mieterbundchef
Siebenkotten vorrechnet, dass mit der Kappung der Modernisierungsumlage auf
zwei Euro den Quadratmeter das Geschäftsmodell Luxussanierung deutlich
zurückgegangen ist. Nun würden die, die ihre Häuser bereits umgewandelt
haben, wie bei Astrid Hollmann, verstärkt auf den Verkauf von
Eigentumswohnungen setzen.
Eine Eigenbedarfsrate von 50 Prozent prognostiziert Klaus Mindrup, der
darum kämpft, als Direktkandidat wieder in den Bundestag einzuziehen,
nachdem ihm die Berliner SPD einen sicheren Listenplatz verweigert hat. Das
bedeutet, dass von den 100.000 umgewandelten Wohnungen 50.000 Haushalte in
den kommenden Jahren mit einer Eigenbedarfskündigung rechnen müssen. Es sei
denn, die Politik handelt.
12 Sep 2021
## LINKS
[1] https://www.200haeuser.de/haeuser/husemannstr-12-prenzlauer-berg/
[2] /Mietwohnungen-werden-EIgentum/!5789518
[3] https://www.bremer-hoehe.de/
## AUTOREN
Uwe Rada
## TAGS
Wohnungspolitik
Umwandlungsverordnung
Deutscher Mieterbund
Kündigung
Schwerpunkt Wahlen in Berlin
Umwandlungsverordnung
Verdrängung
Mieten
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