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# taz.de -- Biowarenhändler über Neuland aller Art: „Ich sehe die Leute ger…
> Ali Shahandeh sieht sich mit seinem Bioladen in Hamburg-Altona als
> Gentrifizierungsgewinner. Ein Gespräch über Rassismus und sandige
> Biomöhren.
Bild: Er hat seinen Kund*innen Bio nahe gebracht, obwohl sie ihm den Vogel zeig…
taz: Herr Shahandeh, Sie haben einmal gesagt: „Ich bin ein
Gentrifizierungsgewinnler.“ Das geben nur die wenigsten zu.
Ali Shahandeh: Ja, richtig. Ich habe den Laden jetzt seit 26 Jahren und
früher habe ich richtig zu kämpfen gehabt, weil hier Leute gewohnt haben,
die nicht so gut verdient haben und mehr Anbieter auf dem Markt waren. Die
Ecke ist ein altes Arbeiterviertel. Die Leute, die dann hierhergezogen sind
und sich diese Wohnungen entweder als Eigentum oder als Mieter leisten
können, haben mehr Kaufkraft. Früher habe ich mehr Kunden gehabt, die mal
Salat hochgehoben haben, zweimal geguckt, kostet 1,20 Euro, und ihn dann
wieder reingelegt haben. Weil es ihn eventuell bei Aldi oder Lidl für einen
Euro gab. Jetzt kaufen die Leute entweder aus solidarischen Gründen oder
weil sie mich gut finden und weil sie eben Kaufkraft haben.
Sie haben aber direkt auf Bio gesetzt?
Ich habe nicht direkt mit Bio angefangen. Der Laden war ja ein ganz
konventioneller, als ich ihn übernommen habe. Mein erstes Bioprodukt waren
Moormöhren und Kartoffeln. Da haben sie mir den Vogel gezeigt: „Was soll
ich mit den Moormöhren? Die muss ich ja eine Stunde waschen, damit ich sie
essen kann.“
Und wie sind Sie überhaupt zu Bio gekommen?
Auf dem Großmarkt gab es vor 25 Jahren einen Biostand, den eine junge Frau
betrieben hat. Bei ihr habe ich die ersten Möhren und Kartoffeln eingekauft
und mit ihr habe ich immer darüber gesprochen, wieso Bio gut ist. Ich bin
auf dem Großmarkt gewesen, habe meine ganzen anderen Einkäufe gemacht und
bin zum Schluss zu ihr gegangen. Wir haben Kaffee getrunken, weil sie nicht
so viel Kundschaft hatte.
Inzwischen gibt es in Ihrem Laden auch Kulturveranstaltungen. Brauchten Sie
Abwechslung?
Ich lese sehr gerne und ich sehe die Leute gern fröhlich. Und
Kulturveranstaltung wollte ich immer machen. Ich war mal in einer Kneipe,
wo gelesen wurde, und fand das eine tolle Sache und dachte: So etwas kann
ich auch im Laden anbieten. Es hat mit einem Nachbarn angefangen, der
Anwalt ist und politische Romane schreibt. Dann meinte ein anderer Nachbar:
„Lass uns mal eine Tanzparty machen.“ Da habe ich gesehen, dass die Leute
Freunde geworden sind, die sich vorher im Treppenhaus nur mal guten Tag
gesagt haben.
Man konnte lange bei Ihnen anschreiben – jetzt hängt da ein Zettel, dass es
nicht mehr geht. Warum?
Das hat eine Vorgeschichte. 2008 gab es die Wirtschaftskrise und ich stand
hier und keiner kam in den Laden. Dann habe ich mit Hilfe eines Kunden ein
Schreiben verfasst: Wenn ihr mich hier weiter haben wollt, bräuchte ich ein
Polster. In der nächsten Woche kamen die Leute und haben mich gefragt, wie
viel Geld ich wollte. Ich habe gesagt: Wer mir 100 Euro gibt, bekommt 2,5
Prozent Zinsen. Wer mir 200 Euro gibt, bekommt fünf Prozent, wer mir 300
Euro gibt, bekommt sieben Prozent Verzinsung. Und dann gab es die Liste mit
Einkäufen auf Kredit für die, die mir Geld geliehen hatten. Aber da kamen
eben auch Leute, die ihr Geld vergessen haben.
Und wann funktionierte es nicht mehr?
Bei einigen wusste ich, dass sie knapp sind, so wie ich selbst diese Zeit
hatte, manche haben es vergessen und die Liste wurde immer länger, einige
sind weggezogen und haben nicht gezahlt. Letztes Jahr haben wir den Zettel
aufgehängt, dass wir nicht mehr anschreiben – aber wir machen es immer
noch.
War der Laden etwas, was sich ergeben hat oder etwas Geplantes?
Ich habe in Hamburg Betriebswirtschaft studiert und dabei immer bei einer
Firma gejobbt, von der ich dachte, dass sie mich übernehmen würde. Aber sie
sind pleite gegangen. Ich hatte schon eine Familie und stand auf der
Straße. Schließlich traf ich einen Freund, der hier im Laden als Aushilfe
jobbte und sagte, dass sie jemanden suchen, der ihn übernimmt. Ich hatte
eigentlich nicht vor, selbständig zu werden, das Schicksal hat mich dorthin
geführt.
Können Sie im Rückblick auch so gelassen darauf sehen, dass Sie den Iran
verlassen mussten?
Ich bin 1985 gekommen, da war ich 25 Jahre alt. Ich bin sozusagen
Revolutionskind und von dieser Welle mitgenommen worden. Nach meinem Abi
hatte ich als Gehilfe für Vermesser gearbeitet, die Unis waren geschlossen.
Ich habe mich freiwillig als Soldat gemeldet und zwei Jahre den
Iran-Irak-Krieg mitgemacht. Danach wurde es im Land sehr brutal und
diktatorisch. Meine Schwester und ich wurden verhaftet, mein Vater hat
lange im Gefängnis gesessen. Ich bin alleine mit zwei, drei anderen Leuten
geflüchtet und über die Berge in die Türkei gekommen. Ich habe mir
überlegt, in welchem Land ich mich wohler fühlen würde, wo ich eine Zukunft
sehe. Und ich würde sagen, ich bin auch glücklich, dass ich in Deutschland
bin. Ich fühle mich mehr wie ein Deutscher als wie ein Perser, weil ich
mehr hier gelebt habe und die letzten Jahre in Iran waren sehr, sehr harte
Jahre.
Haben Sie noch Kontakte in den Iran?
Ich habe eine Schwester und zwei Brüder dort. Wir sind auch jetzt sehr eng
mit dem Iran verbunden, jeden Tag höre ich iranische Nachrichten, sehe die
Berichte im Fernsehen. Ich wundere mich, wie wenig berichtet wird, obwohl
die Lage sehr ernst ist: Wassermangel, Inflation, Unterdrückung von Frauen,
die Kinder gehen nicht richtig zur Schule. Ich bin ungern dort. Du kannst
nicht einmal etwas zu dir nehmen, ohne dass du danach denkst: Der andere an
der Ecke stirbt, weil er nichts zu essen hat.
Gleichzeitig hat man das Gefühl, dass Sie im Reinen damit sind, dass Ihr
Leben ganz anders verlaufen ist, als Sie es erwartet haben.
Ich habe mich damit abgefunden. Am Anfang war es sehr erschreckend: Du hast
einen Diplomabschluss gemacht als Ausländer, der dazu eine Fremdsprache
lernen musste, und wirst nicht einmal zu einem Bewerbungsgespräch
eingeladen, obwohl du 50 Bewerbungen geschickt hast. Ich will nicht mehr an
diese Zeit zurückdenken und nicht mehr in dieser Haut stecken. Ich konnte
mir nur die Erklärung geben, dass ich ein bisschen älter war als die
anderen, ich habe meinen Abschluss gemacht, als ich 31 war, die anderen
waren 24.
Das ist ein milder Blick auf die Arbeitgeber.
Es ist nicht gut für den Arbeitgeber, der jemanden sucht, dass er sich
nicht mal zutraut, so jemanden einzuladen. Wenn man sich meinen Lebenslauf
einmal anschaut: Der Mensch hat immer etwas getan, er hat sich nicht in die
Ecke gesetzt und geheult, weil die Leute nicht kommen. Selbst in der Zeit,
als ich es offiziell nicht durfte, habe ich die Sprachschule besucht.
Es ist bemerkenswert, dass Sie überhaupt nicht erwähnen, dass es daran
liegen könnte, dass Sie aus dem Iran kommen.
Ich möchte nicht diese Vorurteile stützen. Wenn ich es nicht weiß, dann
will ich nicht sagen: „Die, die mich nicht eingeladen haben, waren
rassistisch.“ Ich weiß nicht, aus welchen Gründen sie mich nicht eingeladen
haben. Ich mache mir das Leben nicht schwer. Wenn du sagst, „das waren
Rassisten“, dann schließt du eine große Menge mit den Rassisten zusammen.
Aber wenn du sagst: „Nein, die haben sich für jemanden entschieden, der
jünger war“, ist es leichter, in dieser Gesellschaft zu leben.
Haben Sie rassistische Erfahrungen gemacht?
Natürlich habe ich die auch gemacht. Auf dem Weg zu meinem Asylverfahren
bin ich in Zirndorf ausgestiegen und wollte nachfragen, welchen Zug ich
nehmen sollte. Da haben sie laut geschrien: „Raus, du Schwein.“ Jetzt hast
du auch an der Post Leute, die ausländisch aussehen, an der Bank hast du
welche, an der Müllabfuhr, auf der Straße. Damals, als ich meinen Job
gesucht habe, hast du weder in der Bank noch auf der Post noch bei den
Müllmännern Leute mit ausländischer Herkunft gesehen. Einfache Leute, die
irgendwo auf dem Großmarkt arbeiteten, das konnten Ausländer sein.
Haben Sie oft solche Erfahrungen wie die in Zirndorf gemacht?
Nein, nicht so oft. Wenn ich alles zusammenzähle, vielleicht fünf, sechs
Mal.
Sechs Mal zu oft.
Es ist so. Früher war es mehr. Jetzt ist es viel humaner geworden, weil sie
entweder ausgestorben sind oder sich gebildet haben, eine andere Ansicht
angenommen haben. Die Gesellschaft ist bunter geworden. Vor etwa 20 Jahren
hat mir ein Ghanaer immer morgens beim Auspacken geholfen. Nach einem Monat
kam ein Kunde von der Ecke zu mir und sagte: „Da drüben wird gesprochen,
wenn Alis Ware noch mal von dem Afrikaner angefasst wird, gehen wir nicht
mehr hin.“
Und dann?
Er ist dann für eine Zeit nach Ghana gegangen und als er zurückkam, hatte
er einen anderen Job und ist von selbst gegangen.
Hätten Sie ihn denn entlassen?
Nein, ich hätte ihn nicht entlassen.
8 Sep 2021
## AUTOREN
Friederike Gräff
## TAGS
Hamburg
Gentrifizierung
Schwerpunkt Bio-Landwirtschaft
Schwerpunkt Flucht
Zeitdruck
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