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# taz.de -- Umgang mit 3G-Regel: Außer Kontrolle
> Die Coronazahlen steigen, die Regierung setzt auf die 3Gs: Geimpft,
> Genesen oder Getestet. Doch überprüft wird das oft nicht oder nur
> oberflächlich.
Bild: Das Impfzertifikat wird meistens nur oberflächlich beäugt
Es ist fast wie früher: Auf dem Berliner Alexanderplatz stehen
Tourist*innen Schlange, um auf den Fernsehturm zu gelangen. Doch einen
Unterschied gibt es: Zusätzlich zur Eintrittskarte muss jetzt auch ein
Nachweis vorgelegt werden, dass man geimpft, genesen oder getestet ist.
Vielerorts gilt diese sogenannte 3G-Regel schon länger; seit dieser Woche
ist sie, sofern der lokale Inzidenzwert über 35 liegt, [1][bundesweit für
alle Veranstaltungen in Innenräumen vorgeschrieben] – beim Friseur- und
Restaurantbesuch ebenso wie im Kino, Museum oder Hotel.
Auf dem Alexanderplatz dauert die Kontrolle nicht lang: Ein kurzer Blick
auf [2][das digitale Impfzertifikat auf dem Smartphone] des einen
Besuchers, ein schneller Blick in den gelben Impfpass einer anderen
Besucherin. Für [3][die ungeimpften Kinder] muss eine aktuelle
Testbescheinigung vorgelegt werden. Dass diese auf dem kleinen
Handy-Bildschirm kaum zu erkennen ist, stört nicht weiter. Ob die
vorgelegten Dokumente echt sind, wird bei dieser Kontrolle nicht überprüft.
Ob sie wirklich denjenigen gehören, die sie vorzeigen, ebenso wenig.
Das war eigentlich anders gedacht: Bei der Einführung der digitalen
Impfausweise wurde als besonderer Vorteil gepriesen, dass sie
fälschungssicher und leicht zu überprüfen seien. „Für diejenigen, die
kontrollieren müssen, gibt es eine App, die es möglich macht, die
entsprechenden Zertifikate zu lesen und zu verifizieren“, hatte
[4][Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU)] bei der Vorstellung des Projekts
begeistert berichtet.
Dieses Programm mit dem Namen CovPassCheck ist tatsächlich seit dem Start
des digitalen Impfausweises in den App-Stores kostenlos erhältlich. Doch
bekannt ist es kaum. Das Gesundheitsministerium teilt auf Anfrage zwar mit,
dass das Programm bisher 327.000-mal heruntergeladen wurde – doch inwieweit
es tatsächlich genutzt wird, darüber gibt es keinerlei Informationen.
## taz-Umfrage ergibt lückenhafte Kontrollen
Wenn man sich an Berichten aus dem Bekannten- und Kolleg*innenkreis
orientiert, läuft die Kontrolle – sofern es überhaupt eine gibt – in viel…
Fällen ähnlich oberflächlich ab wie vor dem Fernsehturm. Dieses Bild
vermittelt auch eine taz-Umfrage auf Twitter, die zwar nicht repräsentativ
ist, aber mit mehreren Tausend Teilnehmer*innen zumindest viele
Erfahrungen widerspiegelt: Demnach wird vor allem in Restaurants bisher
sehr lückenhaft kontrolliert. Zwar weisen meist Schilder auf die Regel hin,
und oft werden Gäste auch gefragt, ob sie geimpft oder getestet sind. Doch
auf eine Überprüfung verzichtet das Personal in weit mehr als der Hälfte
aller Fälle – wobei es dabei individuellen Schilderungen zufolge regional
große Unterschiede gibt.
Auch in Kinos und Museen gab mehr als jede*r zweite an, beim letzten
Besuch gar nicht kontrolliert worden zu sein. Gescannt wurde das digitale
Impfzertifikat in weniger als 10 Prozent der Fälle. Konsequent umgesetzt
wird diese Möglichkeit bisher vor allem bei Einrichtungen, wo ohnehin
standardmäßig ein digitales Ticket gescannt wird – etwa in großen
Fußballstadien wie der Allianz-Arena, in Großkinos, bei Konzerten oder in
Vergnügungsparks.
Auch ob Impfpass, Zertifikat oder Pass wirklich der Person gehören, die sie
vorzeigt, wird offenbar ähnlich selten überprüft. Dabei sollte das
eigentlich standardmäßig passieren: „Bei der Überprüfung von digitalen
Impfnachweisen ist ergänzend ein Lichtbildausweis vorzulegen“, heißt es auf
der Webseite des Bundesgesundheitsministeriums.
Doch für die Umsetzung dieser Vorgaben fühlt sich das Ministerium nicht
zuständig. Auf Anfrage teilt eine Sprecherin mit, dass für die Kontrollen
der 3G-Regel die Länder verantwortlich seien. Eine Abfrage der taz bei den
Landesgesundheitsministerien, die mit Ausnahme von Bayern und Berlin von
allen beantwortet wurde, zeigt jedoch: Auch dort gibt es keinen Überblick,
wie die Kontrollen erfolgen – denn für die praktische Umsetzung sind
wiederum die Kommunen zuständig. Und Vorgaben machen die Länder diesen
kaum.
Lediglich Hamburg empfiehlt Veranstaltern, digitale Zertifikate per Scan
mit der App CovPassCheck zu überprüfen und dabei auch den Ausweis zu
kontrollieren. Auch in Schleswig-Holstein und Sachsen ist laut
Gesundheitsministerium bei der Überprüfung von Impfnachweisen ein
Ausweisdokument vorzulegen. In Niedersachsen muss dies „bei begründeten
Zweifeln“ geprüft werden, in Bremen zählt die „Glaubhaftmachung vor Ort�…
Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen haben wegen der zuletzt niedrigen
Inzidenzen noch keine Erfahrungen mit der 3G-Regel.
Erkenntnisse über Strafen für Besucher*innen oder
Veranstalter*innen sind auf Länderebene ebenfalls kaum vorhanden. Zwar
geben die Landesverordnungen oft Größenordnungen für Bußgelder vor. Doch
unter welchen Bedingungen und in welcher Höhe diese tatsächlich verhängt
werden, entscheiden wiederum die Kommunen.
## Oft wird nur nur stichprobenartig kontrolliert
Und selbst dort, wo der Bund unmittelbare Verantwortung trägt, nämlich bei
der Einreisekontrolle an Grenzen und Flughäfen, werden die eigenen Vorgaben
nicht umgesetzt. Impfzertifikate werden dort allenfalls stichprobenartig
kontrolliert und in der Regel nicht gescannt, berichten viele Reisende.
Dass sich auf Bundes- und Landesebene niemand wirklich dafür interessiert,
ob und wie die 3G-Regel überprüft wird, verwundert. Denn sie ist inzwischen
praktisch das einzige Instrument, auf das Bund und Länder im Kampf gegen
die steigenden Coronazahlen setzen. Und die steigen derzeit mit hoher
Geschwindigkeit.
Nicht nur die Zahl der Neuinfektionen, die die Politik künftig weniger
beachten will, [5][nahm zuletzt im Wochenvergleich um 43 Prozent zu.] Auch
in den Intensivstationen lag die Zahl der Coronapatient*innen am
Freitag mit 923 um 42 Prozent höher als eine Woche zuvor. Bliebe es bei
dieser Wachstumsrate, würde sie sich alle zwei Wochen verdoppeln und der
bisherige Höchststand vom Winter in weniger als sechs Wochen überschritten
werden.
Eigentlich sollte genau das durch die Impfungen verhindert werden, die
inzwischen zwar weniger gut gegen Infektionen, aber immer noch sehr gut
gegen schwere Verläufe schützen. Doch obwohl inzwischen genug Impfstoff zur
Verfügung steht und Impfungen meist ohne Termin möglich sind, sind noch
immer 40 Prozent der Gesamtbevölkerung nicht vollständig geimpft.
Auch das sollte sich – neben dem direkten Schutzeffekt – durch die
Einführung der 3G-Regel eigentlich ändern: Statt sich regelmäßig und in
Zukunft zudem kostenpflichtig testen zu lassen, würden sich dadurch mehr
Menschen impfen lassen, so die Hoffnung. Noch größer würde der Druck, wenn
bestimmte Angebote künftig nur noch für Geimpfte und Genesese („2G“)
offenstehen, was bei Veranstaltungen in Hamburg bereits optional möglich
ist.
Doch bisher geht die Strategie, durch 3G oder 2G die Motivation zum Impfen
zu erhöhen, nur in geringem Umfang auf: Zwar ist die lange rückläufige Zahl
der täglichen Erstimpfungen seit der Ankündigung der bundesweiten 3G-Regel
vor gut zwei Wochen wieder um 30 Prozent auf im Schnitt gut 100.000 pro Tag
gestiegen. Doch ein großer Teil dieses Anstiegs liegt daran, dass etwa zum
gleichen Zeitpunkt die Impfkommission die generelle Impfung von Kindern ab
12 Jahren empfohlen hat und die Impfrate bei dieser Altersgruppe seitdem
stark zugenommen hat.
Dass es auch anders geht, ist derzeit im Nachbarland Frankreich zu sehen,
wo die Impfquote nicht nur insgesamt deutlich höher liegt, sondern auch
zuletzt sehr viel schneller gestiegen ist als in Deutschland. Ein
Zusammenhang mit den Impfkontrollen liegt dabei nahe: Die werden in
Frankreich nämlich sehr konsequent und praktisch immer per Scan des
QR-Codes erledigt, berichtet unter anderem ZDF-Korrespondent Thomas Walde:
„In Kinos jedes mal. In Restaurants fast jedes mal. Auch wenn man draußen
sitzt.“ Von ähnlichen Erfahrungen berichten viele, die kürzlich in Italien
Urlaub gemacht haben.
Vergleichbare Regeln fordert SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach auch
für Deutschland. „Bisher reicht es ja meist, irgendetwas zu zeigen, was
einem QR-Code ähnelt“, sagte er der taz. „Darum müssen die Kontrollen auf
jeden Fall verbessert werden und eine digitale Überprüfung des
Impfzertifikats oder eine Ausweiskontrolle zur Pflicht werden.“
Bisher gibt es in Deutschland aber keine entsprechenden Pläne. Das
Gesundheitsministerium verweist auch in dieser Frage auf die Zuständigkeit
der Länder. Und die sehen, soweit sie die Frage überhaupt beantworten,
derzeit keinen Handlungsbedarf. Neue Vorschriften seien „in der Praxis
nicht wirklich notwendig“, heißt es etwa in Bremen. Auch Niedersachsen
teilt mit, die Vorgaben zu den Kontrollen seien „aus Sicht der
Landesregierung ausreichend“. Ob die für diese Einschätzung
Verantwortlichen in letzter Zeit selbst eine Gaststätte oder Veranstaltung
besucht haben, ist nicht bekannt.
28 Aug 2021
## LINKS
[1] /Resonanz-auf-2G-Modell-in-Hamburg/!5791515
[2] /Reisen-in-Europa/!5769694
[3] /Immunisierung-fuer-junge-Menschen/!5789640
[4] /Coronazahlen-und-Wahlkampf/!5791119
[5] /Steigende-Corona-Zahlen/!5791136
## AUTOREN
Malte Kreutzfeldt
Julia Weinzierler
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