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# taz.de -- Arbeitsmarktforscher zu Renteneintritt: „Wirft Gerechtigkeitsfrag…
> Sollten Menschen in stark belasteten Jobs früher in Rente gehen dürfen
> als andere? So einfach ist es nicht, sagt Arbeitsmarktforscher Martin
> Brussig.
Bild: Ab wann ist das Arbeitsleben zu Ende und endlich Zeit fürs Freibad?
taz: Herr Brussig, Arbeiter und Arbeiterinnen haben eine geringere
Lebenserwartung als höhere Angestellte und Beamte – und bekommen deswegen
insgesamt weniger Rente. Sie sind zudem oft in Jobs tätig, in denen man gar
nicht bis 67 oder länger arbeiten kann. In der Politik wird aber ein
höheres Renteneintrittsalter diskutiert. [1][Könnte man denn
differenzieren], für welche Berufe das gelten soll?
Martin Brussig: Das ist schwierig. Man kann sich Berufe als
Belastungsbündel vorstellen. Da gibt es viele Risikofaktoren für eine hohe
Belastung. Schwere körperliche Tätigkeiten, hoher Nervenstress,
Termindruck, Schichtarbeit, Fremdbestimmung, das sind alles
Belastungsfaktoren. Aber es gibt auch Kompensationen – etwa dann, wenn man
sich die Arbeit und die Belastung einteilen kann, wenn die
Arbeitsbedingungen im Betrieb gut sind. Es ist also schwer, pauschale
Aussagen zu treffen.
In der Politik wird immer der Dachdecker genannt, der nicht bis zum Alter
von 67 Jahren arbeiten kann oder die Pflegerin, die es in ihrer Tätigkeit
nicht bis zur Rente schafft.
Auch da muss man die Arbeitsbedingungen betrachten. Ein Dachdecker, der nur
noch ab und zu auf Dächer steigen muss, weil er im Betrieb viel Kalkulation
oder Buchhaltung macht, kann länger im Beruf tätig sein. Eine Pflegerin,
die vielleicht in einem kleinen ambulanten Unternehmen in Teilzeit tätig
ist, kann sich die Arbeit womöglich besser einteilen und länger durchhalten
als eine Kollegin in Vollzeit in einem großen Heim. Es wäre schwierig,
bestimmten Berufen pauschal einen früheren Renteneintritt zu erlauben als
den anderen. Es würde auch neue Gerechtigkeitsfragen aufwerfen gegenüber
den anderen Berufstätigkeiten.
Sie haben mal dazu geforscht, welche Berufe in welchem Alter verlassen
werden.
Ja, das bezog sich auf das Austrittsalter aus den Berufen. Beim Hoch- und
Tiefbau war das ein durchschnittliches Austrittsalter von 58 Jahren, also
früh. Es kann aber gut sein, dass etwa jemand aus dem Baugewerbe mit 58
Jahren den Beruf verlässt und dann noch eine Tätigkeit im Wachschutz
aufnimmt. Die Gesundheitsberufe hatten ein Austrittsalter von ungefähr 61
Jahren. Das ist aber nicht gleichbedeutend mit dem Rentenbeginn, da sind
noch einige Jahre zu überbrücken, entweder durch eine andere Tätigkeit oder
durch Arbeitslosigkeit.
An den Erwerbsminderungsrenten könnte man doch sehen, wer früher
ausscheiden muss, weil er oder sie es nicht mehr schafft.
Bei den Erwerbsminderungsrenten wird nur erhoben, was der letzte Beruf vor
der Erwerbsminderungsrente war. Wenn beispielsweise eine Frau 30 Jahre in
der Pflege gearbeitet hat, dann dort aufhörte und noch einige Zeit in der
Gastronomie tätig war, bevor sie eine Erwerbsminderungsrente bekam, dann
gilt sie als ehemalige Beschäftigte in der Gastronomie. Es ist enorm
schwierig, Berufsangaben zu langen Erwerbsbiographien zu bekommen, die
bräuchten wir aber für Analysen.
Man könnte trotzdem politische Entscheidungen treffen, die sich an den
vorliegenden Statistiken über die Belastungen und über die
Lebenserwartungen orientieren.
Die Daten zu den Austrittsrisiken aus Berufen und zur Lebenserwartung
könnten in die [2][Diskussion über den Rentenbeginn] mit einfließen, aber
letztlich wäre es immer eine politische Entscheidung. Außerdem: Wenn man
sagen würde, in bestimmten Berufen sind die Belastungen so hoch, wir
erlauben pauschal eine frühere Verrentung, dann könnten die Bemühungen
nachlassen, dort die Arbeitsgestaltungen zu verbessern. Es gilt aber das
Prinzip: Reha vor Rente. Man müsste also auch bei den belasteten Berufen
erst alles unternehmen, um die Arbeitsmöglichkeiten zu erhalten. Wie man
das sozialpolitisch gebaut bekäme, erweist sich als schwierig. Nötig ist es
allemal.
Welche Lösungen für einen differenzierten Rentenzugang stellen Sie sich
vor?
Es wird immer Menschen geben, die nicht bis zum Beginn der Regelaltersrente
arbeiten können. Da könnte ich mir vorstellen, dass man für Menschen, die
einen bestimmten belasteten Beruf über eine sehr lange Zeit ausgeübt haben,
ab einer Altersgrenze von zum Beispiel 60 oder 63 Jahren einen
erleichterten Zugang zur Erwerbsminderungsrente schafft. Das würde sich
etwas anlehnen an die frühere Berufsunfähigkeitsrente, die so heute nicht
mehr existiert. Dann würde man sagen, Dachdecker und 60 Jahre alt, das
reicht, wenn es nicht mehr geht. Aber einen Dachdecker, der mit 50 Jahren
aufhören muss, den würde man dabei unterstützen, in einen anderen Beruf zu
gehen.
23 Aug 2021
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## AUTOREN
Barbara Dribbusch
## TAGS
Schwerpunkt Armut
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