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# taz.de -- Politologe über verstärkte Briefwahl: „Die Kampagne muss frühe…
> Immer mehr Menschen wählen per Brief; Corona dürfte diesen Trend
> verstärken. FU-Politologe Thorsten Faas erklärt, wie das den Wahlkampf
> beeinflusst.
Bild: Nehmen Stimmen auch per Brief: Bettina Jarasch und Michael Kellner, Bunde…
taz: Herr Faas, wie verändert es [1][den Wahlkampf der Parteien], wenn
immer mehr Leute per Briefwahl ihre Stimme abgeben?
Thorsten Faas: Wir sehen schon seit Längerem einen Trend hin zu mehr
Briefwahl. Insofern sind die Herausforderungen für die Parteien in diesem
Wahljahr nicht grundsätzlich anders; anders ist nur die Größenordnung des
Phänomens. Die Idee, dass es einen einzigen Wahltag gibt, auf den alles
ausgerichtet ist, entspricht nicht mehr ganz der Realität. Und wenn man
sich den Verlauf der Briefwahl anschaut, dann ist das vermutlich kein
linearer Prozess. Vielmehr kann man von Schüben der Briefwahl ausgehen,
etwa wenn die Wahlbenachrichtigungskarten verschickt werden und einige
Leute das sofort erledigen.
Und was bedeutet das konkret für den Wahlkampf der Parteien?
Letztlich heißt das nur, dass ich eigentlich früher mit meiner ganzen
Kampagne auf der Straße sein muss. Und die Briefwahl wird offensiv als
Option beworben: Auf den schon hängenden Plakaten bemühen sich die Parteien
darum, sehr prominent an die Möglichkeit der Briefwahl zu erinnern. Sie
versuchen, aus der Notwendigkeit einen Vorteil zu ziehen und sich selber
als Partei und als Kandidat mit der Briefwahl in Verbindung zu bringen.
Die SPD macht das zum Beispiel mit ihrem Spitzenkandidatin Olaf Scholz so.
Aber was bringt das den Parteien?
Gerade die SPD hat in der jüngeren Vergangenheit unter der rückläufigen
Wahlbeteiligung mehr gelitten als andere Parteien. Für sie ist die
Mobilisierung der eigenen Wählerinnen und Wähler eine zentrale
Herausforderung. Das ist generell bei linken Parteien so und gilt auch für
die Linke. Es hat mit der Sozialstruktur ihrer Wählerinnen und Wähler zu
tun. Insofern muss man dort noch mehr als bei anderen Parteien darauf
achten, dass man die eigenen Wählerinnen und Wähler daran erinnert, zur
Wahl zu gehen und sie eben auch die Möglichkeit der Briefwahl haben.
Gibt es signifikante Unterschiede zwischen Briefwahllokalen und normalen
Wahllokalen, die sich auch in den Ergebnissen niederschlagen?
Da gibt es durchaus bemerkenswerte Unterschiede! Bei Parteien zum Beispiel,
in deren Wählerschaft die formale Bildung hoch ist und wo es einfach
dazugehört, zur Wahl zu gehen, wird die Briefwahl verstärkt genutzt: das
betrifft die Union, häufig auch die Grünen. Auf der anderen Seite sehen wir
bei der AfD, dass dort weniger auf Briefwahl zurückgegriffen wird, weil es
größere Vorbehalten gegen die Briefwahl als sichere Wahlform gibt – typisch
für rechtspopulistische Kreise. Diese Erkenntnisse kommen allerdings aus
Zeiten, in denen die Briefwahlanteile viel niedriger waren. Ob die sich so
leicht auf 2021 übertragen lassen, bleibt spannend.
Was schätzen Sie, wie viel Prozent der Wahlberechtigten dieses Jahr per
Brief abstimmen werden? Normalerweise sind das ja rund ein Drittel der
Wähler*innen.
Ich habe gelesen, dass man etwa mit der Hälfte rechnet. Aber wir wissen
nicht genau, wie sich die Pandemie entwickeln wird. Man kann nicht
ausschließen, dass sie noch mal an Sichtbarkeit gewinnt und infolgedessen
auch die Briefwahlneigung ansteigt.
In Städten gibt es generell mehr Briefwähler*innen als auf dem Land,
und zwischen Bundesländern gibt es auch Unterschiede. Wie wird das in
Berlin sein?
In diesem Wahljahr heißt der 26. September für uns in Berlin, dass wir
nicht nur einen Stimmzettel kriegen, sondern auf drei Ebenen wählen. Meine
Erwartung wäre, dass da Menschen sagen: „Oh, das ist mir zu stressig, das
alles in der Wahlkabine auszufüllen. Beantrage ich doch lieber Briefwahl.“
Durch diese volle Konzentration auf den einen Tag gibt es sicherlich einen
Sondereffekt über die Pandemie hinaus.
Setzen sich Menschen, die per Brief wählen, eigentlich intensiver mit ihrer
Wahlentscheidung auseinander als Menschen, die ins Wahllokal gehen?
Insgesamt wahrscheinlich schon. Wobei das eher wegen des Wunsches ist, sich
in Ruhe mit dem Material beschäftigen zu können. Ich würde nicht sagen,
dass Briefwahl sicherstellt, dass Leute sich intensiver damit
auseinandersetzen, sondern umgekehrt, dass Leute, die mehr Ruhe und Zeit in
die Wahl investieren möchten, von der Option der Briefwahl Gebrauch machen.
Meinen Sie, dass eine bestimmte Partei davon profitiert, wenn dieses Jahr
wegen der Pandemie mehr per Brief gewählt wird?
Da wäre ich vorsichtig. Da ist einfach gerade so viel Dynamik im Spiel –
was Kanzlerpräferenz, aber auch Stimmenanteile betrifft. Gleichzeitig hat
die Situation durch die Briefwahl schnell eine Trägheit, weil viele
Menschen nach ihrer Briefwahl mit der Entscheidung an sich und dem
Wahlkampf abgeschlossen haben. Aber was wir auf Bundesebene gesehen haben,
wo Werte hoch- und runtergehen, das ist schon außergewöhnlich. Es hat
sicherlich damit zu tun, dass da stabilisierende Elemente fehlen, da eben
keine Amtsinhaberin antritt.
Läuft das in Berlin auch so?
Auch da sehen wir viel Dynamik, auch da tritt der Amtsinhaber nicht mehr
an. Die Situation für diese Abgeordnetenhauswahl ist besonders, weil sie im
Schatten der Bundestagswahl stattfindet. Die eigene Person sichtbar zu
machen und thematische Akzente zu setzen, ist eine riesige Herausforderung.
Wenn Sie sich die Bekanntheitsgrade der Spitzenkandidatinnen und
-kandidaten anschauen, dann ist da, mit Ausnahme von Frau Giffey, [2][noch
viel Luft nach oben.]
31 Aug 2021
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## AUTOREN
Cristina Plett
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