# taz.de -- Musiker Wolfgang Schrödl im Gespräch: „Das ist ein Privileg“ | |
> Wolfgang Schrödl hatte mit dem Song „Narcotic“ einen Welthit. Heute gibt | |
> ihm dieser Erfolg die Freiheit für seine Musikprojekte Senex und 7fields. | |
Bild: Fährt keinen Porsche und wird auch nur in Deutschland danach gefragt: Wo… | |
taz: Herr Schrödl, in „Gottschalks großer 90er-Show“ vor ein paar Wochen … | |
ZDF wurde als Erkennungsmelodie der Hit ihrer damaligen Band Liquido | |
gespielt, den Sie geschrieben haben. Gottschalk tanzte zu Beginn des | |
Fernsehevents zu „[1][Narcotic]“. Ehrt Sie das? | |
Wolfgang Schrödl: Einerseits ist das natürlich schmeichelhaft, aber ich | |
finde das andererseits auch nicht allzu überraschend. „Narcotic“ hat sich | |
nun mal zu einem der Songs entwickelt, die für die späten Neunziger stehen. | |
Aus Deutschland fallen mir daneben, in aller Bescheidenheit, gar nicht so | |
viele weitere internationale Hits ein, die gewissermaßen auch repräsentativ | |
für diese Zeitspanne und den damaligen Zeitgeist sind. „Mambo No 5“ von Lou | |
Bega vielleicht noch und „Lemon Tree“ von Fools Garden. | |
Die Prinzen, Pur, Matthias Reim, solche Größen von damals waren alle mit | |
dabei bei Gottschalks Nostalgie-Event. Hatten Sie keine Lust? | |
Ein Auftritt in solch einer Neunziger-Show würde bedeuten, noch mehr auf | |
dieses eine Lied reduziert zu werden, und daran hab ich kein Interesse. Ich | |
weiß ehrlich gesagt auch nicht, warum andere bei so etwas mitmachen, ohne | |
Neues präsentieren zu können. Was hat man davon? Vielleicht ein paar mehr | |
Streams für die alten Songs? Für die Zuschauer mag es vielleicht | |
interessant sein zu erfahren: Was machen die von damals heute so und wie | |
sehen sie aus? | |
Sie waren Anfang 20, als Ende der Neunziger „Narcotic“ weltweit zu einem | |
Riesenhit wurde, der bis heute nicht totzukriegen ist. Warum, glauben Sie, | |
ist das Lied vor allem bei denen, die der Generation X entwachsen sind, | |
immer noch so populär? | |
Der Song hat etwas Leichtes, aber auch Ernsthaftigkeit und eine gewisse | |
Melancholie, die aber nicht überbordet. Die man zur Kenntnis nimmt, aber | |
beiseite schieben kann, weil man trotzdem zu leben hat und gerne leben | |
will. In diesem Augenblick. Dafür steht dieses Stück. Und das Lied ist | |
authentisch. Ich denke, das spürt man, generationsübergreifend. Diejenigen, | |
die damals jung waren, erinnern sich vielleicht beim Hören des Songs: Ach, | |
damals, Jahrtausendwende, das war eine gute Zeit, da war ich gerade mit der | |
Schule fertig, hatte meine erste Liebe. Mir wird auch persönlich erzählt, | |
man habe zu dem Lied seinen ersten Kuss gehabt oder auf der Tanzfläche den | |
späteren Ehemann kennengelernt. | |
Ertragen Sie selbst den Song noch? | |
Auf jeden Fall. Es ist ein ehrliches Lied, ich habe es in einer emotionalen | |
Situation geschrieben, die darin unverfälscht beschrieben wird. Es geht | |
darin um die Trennung von meiner damaligen Freundin. Die Nummer ist Teil | |
meines Lebens und wird es auch für immer bleiben. | |
Inzwischen wird die Nummer auf dem Ballermann oder bei Hochzeiten gespielt, | |
wenn schon alle angetrunken sind. Tut das manchmal weh, wenn man bedenkt, | |
dass sie eigentlich eine so melancholische Note hat? | |
Dazu fällt mir ein, was die Ärzte einmal sinngemäß über ihren Hit „Männ… | |
sind Schweine“ gesagt haben sollen: Er ist nicht mehr unser Song, er gehört | |
jetzt der Öffentlichkeit, er hat ein Eigenleben. Und man könne das nur noch | |
zur Kenntnis nehmen und müsse loslassen können. Auch „Narcotic“ hat so ein | |
Eigenleben. | |
Liquido war eine Band von ein paar Schulfreunden. Sie kamen aus der | |
Provinz, aus Sinsheim, und galten als vielversprechende Indieband. Dann kam | |
der große Erfolg und die deutsche Indieszene wandte sich von Ihnen ab. Was | |
war da los? | |
Zunächst: Wir waren nie Teil einer Szene. Vielleicht, weil Sinsheim und | |
später Heidelberg dafür zu sehr ab vom Schuss waren. Aber vor dem | |
Durchbruch waren wir eine ziemliche Kritikerband. Man konnte erst nicht | |
glauben, dass eine Band, die so klingt wie wir, aus Deutschland kommt und | |
man sah das wohlwollend. Das hat sich durch den kommerziellen Erfolg wie | |
über Nacht geändert. | |
Warum das? | |
Kommerzieller Erfolg und Indiepop aus Deutschland, das schien ein allzu | |
verdächtiger Widerspruch zu sein. Als es losging bei uns, dachte ich, wir | |
könnten die Speerspitze sein und ein paar Türen für eine kleine, | |
interessante Szene aufmachen, von der wir geglaubt hatten, sie freue sich | |
mit uns über den Erfolg, gerne auch aus Eigeninteresse für das gesamte | |
Genre „Indiepop aus Deutschland“. Es gab ja zu der Zeit recht viele kleine | |
Bands aus allen deutschen Himmelsrichtungen, die leidenschaftlich ihr Ding | |
machten und Songs schrieben, mit der Hoffnung, gehört zu werden. Und wir | |
waren eben die aus Heidelberg und trotzdem – vielleicht zufällig – die | |
erfolgreichste von allen. Aber entgegen meiner zugegebenermaßen etwas | |
naiven Erwartung gab es hier kein Gemeinschaftsgefühl. | |
Wie war das für Sie? | |
Überraschend, aber in Ordnung. Haben wir eben zur Kenntnis genommen und | |
gedacht: dann eben nicht. Wenn jeder lieber sein eigenes Süppchen kochen | |
möchte, anstatt sich gegenseitig zu unterstützen, soll es eben so sein. | |
Liquido haben nur ein paar Jahre lang existiert, 2008 war Schluss. Zu dem | |
Zeitpunkt lebten Sie bereits in Berlin. Was suchten Sie hier? | |
Ich bin 2004 hierher gezogen, um an der Universität der Künste | |
Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation zu studieren. Ich wollte | |
einfach etwas machen, was mich neben der Musik intellektuell füttert. Das | |
soll jetzt nicht überheblich klingen: Aber das Musikerdasein hat mich | |
ziemlich schnell gelangweilt. Wenn man nur mit Musikern und Leuten aus der | |
Musikindustrie rumhängt, entwickelt man sich nicht so richtig weiter, | |
jedenfalls habe ich das so empfunden. Dieses Gefühl hatte ich schon nach | |
zwei Jahren in der Band. | |
Heute machen Sie als Senex und 7fields elektronische Musik, einmal | |
richtigen Dance und mit dem anderen Projekt melancholischen Electro-Pop. | |
Können Ihre Fans von damals Ihnen da folgen? | |
Liquido war eine Rockband. Dass jemand, der uns für den Rock geliebt hat, | |
mit meinen Dance-Sachen nichts anfangen kann, ist mir vollkommen klar. Wer | |
aber die Ironie von Liquido geliebt hat, unsere Idee, Grenzen auszuloten, | |
das Kratzen am Trash, aber auch die Tiefe zwischen den Zeilen, der versteht | |
vielleicht auch, was ich heute [2][mit Senex mache]. Und was [3][7fields] | |
angeht: Hier steht ein bestimmtes melancholisches Klangbild im Fokus. Wer | |
sich mit einigen meiner ruhigen, pianolastigen Stücke aus Liquido-Zeiten | |
auseinandergesetzt hat, wird auch hier nicht allzu überrascht sein, warum | |
ich solch ein Solo-Projekt ins Leben gerufen habe. | |
Wie ist das, nach dem großen Erfolg vergleichsweise unter dem Radar | |
weiterzumachen? | |
Es fühlt sich an, wie wieder bei null anzufangen. 7fields ist ein richtiges | |
Indieprojekt. Ich arbeite autark und hole mir für die Dinge, die ich selbst | |
nicht so gut kann, Leute hinzu. Ich finde das hoch befriedigend, mich hier | |
kreativ ohne Kompromisse ausleben zu können. | |
Wie schwer ist es, eventuell auf ewig als One-Hit-Wonder zu gelten? | |
Dazu müsste man erst einmal definieren, was ein One-Hit-Wonder ist. Mir | |
wurde zugetragen, dass sich RadioEins kürzlich wohl geweigert hat, Liquido | |
in deren One-Hit-Wonder-Liste aufzunehmen, weil sie recherchiert und | |
festgestellt hatten: Die sind ja gar keines, da gab es ja noch mehr | |
internationale Erfolge. Fand ich gut, sich erst mal die Faktenlage | |
anzuschauen. Andererseits ist mir auch bewusst, dass der breiten | |
Öffentlichkeit, dass es Tante Erna völlig egal ist, was für andere kleinere | |
Hits wir in welchen Ländern auch immer noch hatten. Dass sie uns auf | |
„Narcotic“ reduziert, ist mir klar, da bin ich realistisch genug. Mich | |
daran zu gewöhnen, dazu hatte ich nun auch lange genug Zeit. Denn wir | |
wurden schon One-Hit-Wonder genannt, als die Nummer herauskam und in den | |
Charts noch kletterte. | |
Gab es eigentlich mal Anfragen für das Dschungelcamp oder so, als | |
vergessener Popstar von gestern? | |
Für das Dschungelcamp nicht. Aber eine Produktionsfirma hat sich mal | |
gemeldet. Sie planten ein Reality-TV-Format, wo irgendeine C-Prominenz | |
zeigt, dass sie noch am Leben ist. Die große Comebackshow oder so ähnlich | |
sollte das heißen und das Ganze hätte auf irgendeiner Insel stattfinden | |
sollen. Aber so etwas ist natürlich völlig indiskutabel. | |
Sie haben dank Ihres Welthits finanziell ausgesorgt, oder? | |
Ich würde sagen, ich kann sehr gut von meiner Musik leben. Und es ist ein | |
gutes Ruhekissen, zu wissen, dass „Narcotic“ ein Evergreen ist, der immer | |
noch geschätzt, gespielt, gecovert wird. Ihre Frage nach dem Geld, und | |
früher oder später fragen alle danach, kommt wohl auch daher, dass oft | |
davon ausgegangen wird, dass Künstler im Prekariat leben. Was zu einem | |
großen Teil ja auch so ist. Aber wenn man selbst von echten Ausreißern | |
nicht leben könnte, wann dann? Bei einem dauernd gespielten Welthit muss | |
sich die Frage erübrigen, ob davon beim Urheber genug hängen bleibt. | |
Sie wirkten damals, und wenn ich das sagen darf, auch heute noch wie der | |
Normalo von nebenan. Man würde fast vermuten, dass Sie nach Ihrem | |
gigantischen Erfolg wahrscheinlich erst einmal einen Bausparvertrag | |
abgeschlossen haben. Sie sind nicht so der Popstar-Typ mit einem Porsche in | |
der Garage, oder? | |
Den Bausparvertrag hatte ich vorher schon, den haben meine Eltern für mich | |
angelegt, in Zeiten, in denen sich das noch gelohnt hat. Und ich habe mir | |
auch nie einen Porsche gekauft. Dass die Frage nach meinem Auto kommt, ist | |
übrigens interessant. Sie wurde mir schon so oft gestellt. Aber: Nur in | |
Deutschland. In keinem anderen Land bin ich gefragt worden, was für ein | |
Auto ich denn fahre oder mir nun leisten könne. Die Deutschen erhoffen sich | |
offensichtlich bestimmte Informationen aus der Beantwortung dieser Frage. | |
Ich kann nur sagen, für mich hat ein Auto keine Bedeutung. Das, das ich | |
jetzt fahre, ist über 20 Jahre alt und ich habe es irgendwann mal von | |
meiner Mutter übernommen. | |
Trotzdem bleibt die Frage: Was macht das mit einem, wenn man quasi über | |
Nacht nie wieder Geldsorgen hat? | |
Die Frage ist, was ist Deine Motivation, um im Leben glücklich zu sein? Das | |
Monetäre hat mich nie angetrieben. Ich bin nicht Musiker geworden, um reich | |
zu werden. Daran hatte ich auch gar nicht gedacht, ich wäre nie darauf | |
gekommen, mit der Musik Geld verdienen zu müssen. | |
Was treibt Sie denn an? | |
Mein Antreiber ist eher Freiheit. Aber ich weiß natürlich, diese Freiheit | |
wird einem nicht geschenkt und man muss sie sich auch erst einmal leisten | |
können. Und dafür braucht man dann doch wieder ein gewisses Maß an Erfolg. | |
Ich habe den ganz großen Hit, von dem so viele träumen, geschafft. Und das | |
erlaubt mir große Freiheiten. Das ist ein Privileg, ich bin mir dessen | |
bewusst. Gerade jetzt, wo viele mit Existenzängsten zu kämpfen haben, | |
empfinde ich das als extremen Luxus. Und ein weiterer Umstand, über den ich | |
froh und dankbar bin, ist, dass niemand mich behandeln kann, als stünde er | |
hierarchisch über mir. Ich habe in meinem ganzen Leben noch keinen Chef | |
gehabt. Außer als Zivi vielleicht. | |
Aber wie ist das, als Musiker zu wissen, dass einem so etwas gigantisch | |
Erfolgreiches wie damals wohl nicht noch einmal vergönnt sein wird? | |
Damit kam ich von Anfang an klar. Das werde ich nie mehr toppen, | |
sicherlich. „Narcotic“ war und ist ein Zeitgeistphänomen. Klar kann man | |
auch heute noch große Hits haben mit Streamings. Aber Verkaufszahlen wie | |
wir sie hatten, physisch, das gibt es eigentlich gar nicht mehr. Insofern | |
ist der damalige erste Erfolg jedenfalls nicht die Messlatte für meine | |
Motivation, weiter Musik zu machen. Noch nie gewesen. | |
Einen bestimmten Nerv zu treffen wie damals mit einem Rocksong, können Sie | |
das nicht mit Ihren heutigen musikalischen Mitteln noch einmal wiederholen? | |
Gibt es da keinen Kniff, den Sie bloß noch einmal anwenden müssten? | |
Gezielt einen Song schreiben zu wollen, der die Massen begeistert und ganz | |
und gar nicht so klingt wie etwas, das es schon tausend Mal davor gegeben | |
hat, und der gleich zu einem Zeitgeistphänomen wird, wer will das schon | |
planen? Ich glaube, man sollte lieber Musik machen, die einem etwas | |
bedeutet, die man fühlt und die authentisch ist, und hoffen, dass es | |
Menschen gibt, die diese bewegt. | |
Sie hatten bereits den ganz großen Erfolg als Musiker. Ist es Ihnen nun ein | |
wenig egal, ob Sie solo nochmals so richtig durchstarten oder eben nicht? | |
Ich habe mir selbst bereits bewiesen, dass ich Musik machen kann, die | |
vielen Leuten etwas bedeutet, das stimmt und das ist tatsächlich eher | |
beruhigend. Ich kann mir vorstellen, dass man leichter verkrampft, wenn man | |
im Alter von 40 Jahren feststellt, dass man Songs schreibt, aber noch nie | |
jemanden mit diesen erreicht hat. Doch als Musiker will man natürlich | |
gehört werden. So wie jeder, der ein Buch schreibt, auch will, dass es | |
gelesen wird. Wenn Sie einen Artikel schreiben, möchten Sie ja auch, dass | |
der nicht in einer Schublade landet. Und meine Schublade ist voll mit | |
Songs, die noch nicht einmal veröffentlicht wurden. | |
22 Aug 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://www.youtube.com/watch?v=PJ7E40Ec5ec | |
[2] https://www.youtube.com/watch?v=ZjR5xh7WsRk | |
[3] https://www.youtube.com/watch?v=ievwtrzRMqA | |
## AUTOREN | |
Andreas Hartmann | |
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