Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Stadtentwicklung in der Pandemie: Kreative Ideen gegen das Scheitern
> Unter dem Motto „Stadt gemeinsam gestalten!“ versuchen Nürnberg,
> Hannover, Münster und Altenburg bestimmte Stadtteile zu verschönern.
> Klappt das?
Bild: In Nürnberg gibt es endlich das „Amt für Ideen“ als zentrale Kontak…
Nürnberg, Münster, Hannover & Altenburg taz | Mit dem Projektaufruf „Stadt
gemeinsam gestalten!“ will die Nationale Stadtentwicklungspolitik dafür
sorgen, dass deutsche Städte lebenswerter werden. 100 Projekte bewarben
sich um Fördergelder, vier wurden im Herbst 2018 ausgewählt – in Nürnberg,
Hannover, Münster und Altenburg. Die [1][Coronapandemie] stellte die neuen
Modelle der Quartiersentwicklung vor große Herausforderungen. Wie steht es
fünf Monate vor dem Ende um die Projekte?
Als im September 2018 unter den 100 Bewerbern die vier Sieger-Konzepte
präsentiert wurden, schwammen die Teams auf einer Welle der Euphorie, sagt
Tomasz Lachmann. Der 36-Jährige steckt hinter einem der vier
Gewinnerprojekte, dem Verein „Gesellschaft für außerordentliche
Zusammenarbeit“ (GfaZ) in Hannover. Dessen Ansatz lautete so: 60
Initiativen aus den Stadtteilen Linden, Limmer und Nordstadt sollen so gut
vernetzt werden, dass beim Miteinander „Prozesse effektiver laufen“ und die
Akteure sich „gegenseitig beflügeln“. Angesichts eines Gesamtetats von bis
700.000 Euro sollten bestehende Gemeinwohlprojekte ausgebaut und dauerhafte
Einrichtungen für die Zukunft geschaffen werden.
Ein anderer Sieger, das Nürnberger Urban Lab, machte den langgezogenen Raum
von zwölf U-Bahn-Stationen samt Umfeld zum „Quartier U1“, das durch viele
kleine Ideen aus der Bevölkerung attraktiver werden sollte.
Mit dem „Hansaforum“ schuf sich in Münster die gemeinnützige B-Side, der
Entwickler und Betreiber eines Soziokulturzentrums, ein Aktionsfeld für das
im Wandel befindliche Hansa-Viertel im Süden der Stadt.
Und das „Stadtmensch“-Projekt der Gesellschaft „Erlebe was geht“ in
Altenburg rückte den alten Kern der vom Bevölkerungsrückgang geplagten
Thüringischen Kleinstadt in den Fokus.
## „Abrupter Cut mit der Stadtgesellschaft“
Nach der Findungsphase sollten die Projekte 2020 richtig durchstarten. Doch
mitten in den ersten Beteiligungsprozessen tauchte im März das Coronavirus
auf und zwang zum Umdenken. „Es hat sich viel verschoben“, sagt Lisa
Schopp, die bei der Nationalen Stadtentwicklungspolitik zusammen mit ihrem
Kollegen Stephan Willinger die Projekte in den vier Städten betreut. „Es
war ein krasser, abrupter Cut mit der Stadtgesellschaft“, bestätigt Anja
Fehre (30), die Projektleiterin in Altenburg. Das Klingeln an Haustüren, um
Leute fürs Mitmachen und Einspeisen von Ideen zu animieren, musste gestoppt
werden.
Gelder flossen in Technik statt Catering, neue Ideen waren gefragt.
„Corona, was wolle, wir machen trotzdem was“ lautete der Slogan in
Altenburg. Junge Kreative peppten Schaufenster auf und drehten Werbevideos
für Einzelhändler.
„Was mit Herz“ hieß die Antwort auf die Pandemie in Hannover, wo eine
gleichnamige Initiative seit Sommer 2020 Lebensmittel organisiert und an
Bedürftige verteilt. Ein wegweisendes Förderprojekt der GfaZ, die im
gleichen Hinterhofhaus residiert und von dort aus „Zusammenarbeit außerhalb
der gewohnten Ordnung“ in die Wege leitet.
## Kaffemaschine aus der Bibliothek
Dabei gab es auch Probleme. Es sei zu lange diskutiert worden, findet
Lachmann, man habe zu viele Dinge angepackt – von Technik-Equipment über
einen Raumcontainer und einer Netzwerk-Software bis zu einem alternativen
Bezahlsystem, das auf Token und Fonds baut statt auf Euros. Lachmann: „Wir
hätten zwei Jahre mehr Zeit gebraucht.“
Es folgten Personalwechsel und die Konzentration aufs Wesentliche – etwa
auf das „Platzprojekt“ auf einem gepachteten Metro-Areal. 140.000 Euro
flossen in die Infrastruktur des „Ortes für alle, die sonst in der Stadt
keinen Platz haben“. 28 Nutzer:innen haben dort ein Domizil, 300
Mitglieder sind aktiv. Die Angebote reichen vom Skatepark über diverse
Start-ups und einem Gemeinschaftsgarten bis zur „Bibliothek der Dinge“, wo
es Werkzeug, Musikanlagen, Laminiergeräten oder Kaffeemaschinen zum
Ausleihen gibt.
In Münster stand wegen der Corona-Pandemie der „Konvent“ auf der Kippe, der
zweimal im Jahr mit rund 100 repräsentativ und per Zufall ausgewählten
Teilnehmer:innen tagt. 2019 hatte dieser einen umfassenden
„Quartier-Gemeinwohl-Index“ beschlossen – mit 16 Kriterien, von
Klimapositivität über Bildung, Kultur, Nachbarschaft, Gesundheit, Wohnen
bis Verkehr, für die Umsetzung von Projektvorschlägen.
Bei einer Umfrage per Briefwahl stimmten „nur zwei von 80 für eine
Zoom-Konferenz“, berichtet Leonie Nienhaus (30). Die große Mehrheit wollte
Konvent-Spaziergänge mit Maske, Abstand und in Gruppen mit maximal 25
Leuten. Der „Konvent“ ging in Etappen auf Tour, erst im Juni 2021 erstmals
wieder gemeinsam.
## Hoffnung auf Langzeitfolgen
In Altenburg läuft seit kurzem der Umbau des „OpenLab“-Ladens, so dass die
2016 gestartete „Stadtmensch“-Initiative weiter besteht. Das 290
Quadratmeter große Domizil wird für 45.000 Euro so umgestaltet, dass auch
das Kunstkollektiv „Farbkküche“ einziehen und dort Kreativkurse samt
Ausstellungen veranstalten kann. Alle „#selbermachen“-Projekte sollen vom
23. bis 26. September beim bereits dreimal verschobenen
„Stadtmensch-Festival“ präsentiert werden. Verbunden mit Diskussionen über
die Zukunft der Kleinstadt, der jahrelang die jungen Menschen davongerannt
sind.
Während die Altenburger Stadtspitze das Projekt kräftig unterstützt, hat es
in Münster etwas gedauert, bis sich Verwaltung und Kommunalpolitik auf die
Ideen des „Hansa-Forums“ einließen. In Hannover und Nürnberg drängte
dagegen die (letztlich erfolglose) Kulturhauptstadt-2025-Bewerbung das
Stadtgestaltungsprojekt in den Hintergrund.
In Nürnberg sind 29 Ideen in zwei basisdemokratischen Beteiligungsprozessen
abgesegnet worden. Dazu gehören ein grüner „Naschzaun“, der Passanten zum
Zugreifen bei Kräutern oder Beeren einlädt, und konsumkritische
„(K)Einkaufswagen“, die an U-Bahnhöfen zum Tauschen von Pflanzen animieren
oder für eine mobile Fahrradwerkstatt sorgen. Etliche Initiator:innen
sind am 25./26. September bei einem „Testival“ zu erleben. Dass das
geplante „Amt für Ideen“ als zentrale Kontaktstelle lange nur digital
vorhanden war, gilt als Manko: Erst im April 2021 tauchte es in Form eines
mobilen Containers auf.
Nun hofft das Team um Basti Schnellbögl (31) auf deutlich mehr Leute quer
durch alle sozialen Schichten, die einen 400-Euro-Mikrozuschuss für ihre
Projektidee beantragen. Da die Anschlussfinanzierung gesichert ist, wird
das „Amt für Ideen“ auf jeden Fall auch 2022 unterwegs sein.
Die Palette der 72 bisher beschlossenen Projekte in Münster reicht von
Nistkästen über Regenwasserbehälter bis zu einem Platz für Skater. Das
große Aushängeschild ist aber das Soziokulturzentrum „B-Side“, das ab
Oktober für 7,5 Millionen Euro in einer Ex-Lagerhalle entstehen wird. Neben
kulturellen Podien und einem Dachbiergarten wird auch der Ruderverein eine
Heimat bekommen.
Nicht nur in Münster hofft man auf Langzeiteffekte, die sich durch
nachhaltige, gemeinsam entstandene Projekte einstellen. Und die letztlich
das Image der Stadt stärken und bewirken, dass aktiv beteiligte
Student:innen am Ort bleiben. Die Teams in den vier Städten sehen sich
nicht als Konkurrent:inen, sondern helfen und beraten sich gegenseitig.
Aktuell feilen jeweils 40 bis 50 Aktive an den letzten Projekten.
In der Abschlussdokumentation werden die besten Beispiele aus allen vier
Städten präsentiert, die zum Nachahmen anregen, aber auch vor Fehlern
warnen sollen. „Die Projekte sind Experimente. Scheitern gehört dazu“,
betont Lisa Schopp von der Nationalen Stadtentwicklungspolitik, die im
Herbst 2020 einen neuen Projektaufruf gestartet hat – zum Thema
„Post-Corona-Stadt“. 13 Städte von Aachen über Erlangen und München bis
Weimar beschäftigen sich bis Ende 2023 mit dem Thema. Scheitern wird auch
hier dazugehören.
9 Aug 2021
## LINKS
[1] /Schwerpunkt-Coronavirus/!t5660746
## AUTOREN
Jo Seuß
## TAGS
Schwerpunkt Coronavirus
Stadtplanung
Bauprojekt
Immobilien Hamburg
Lesestück Recherche und Reportage
Berlin-Tegel
## ARTIKEL ZUM THEMA
Stadtentwicklung in Hamburg: Nur Platz für dicke Fische
Das Quartier am Billebecken soll in Zukunft Hochtechnologie-Unternehmen
beheimaten. Kreativräume werden dadurch verdrängt.
Spekulation mit Wohnraum: Zu Schrott vermietet
Unser Autor lebte drei Jahre in einem Haus in Stuttgart, das der Besitzer
verwahrlosen ließ. Die Stadt will es abreißen. Über Gier und fehlgeleitete
Stadtplanung.
Tegel als Spielfeld für Zukunft: Visionen bereit zum Abheben
Der ehemalige Flughafen Tegel ist offiziell in den Händen der neuen
Betreiber. Es kann losgehen mit dem größten Stadtentwicklungsprojekt
Berlins.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.