# taz.de -- Abschiebungen nach Afghanistan: Grüne Politik gegen Abschiebungen | |
> Die Grünen wollen ihre Regierungsbeteiligungen in den Ländern stärker | |
> nutzen. Das Ziel: die Rückführungen nach Afghanistan befristet aussetzen. | |
Bild: Afghanische Sicherheitskräfte kämpfen in Herat gegen die Taliban | |
Die Grünen wollen ihre Regierungsbeteiligungen in Bundesländern stärker | |
nutzen, um umstrittene Abschiebungen nach Afghanistan zu stoppen. „Menschen | |
in dieses Land abzuschieben, ist unverantwortlich“, sagte Luise Amtsberg, | |
die flüchtlingspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion, am Mittwoch | |
der taz. „Grüne, die in Bundesländern mitregieren, sollten das Gespräch mit | |
ihrem Koalitionspartner suchen und das Thema auf die Innenministerkonferenz | |
tragen.“ | |
Nach dem Abzug der ausländischen Streitkräfte sind in Afghanistan die | |
islamistischen Taliban auf dem Vormarsch. Für Rückkehrer sind die Zustände | |
laut der Menschenrechtsorganisation Pro Asyl lebensgefährlich. Dennoch hält | |
Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) an der Praxis fest, ehemalige | |
Straftäter und Gefährder in das Land abzuschieben. Fast alle Bundesländer | |
nutzen diese Möglichkeit und berufen sich dabei auf Lageberichte des | |
Auswärtigen Amtes. | |
Grünen-Chef Robert Habeck hatte jüngst einen Abschiebestopp gefordert. | |
[1][Aber Grüne in Landesregierungen, etwa in Baden-Württemberg, Hessen oder | |
Thüringen, tragen die heiklen Abschiebungen seit Jahren mit] (die taz | |
berichtete). Der Grünen-Landesverband in Schleswig-Holstein setzt sich nun | |
dafür ein, dass die dortige Regierung auf eigene Faust Abschiebungen stoppt | |
– und sucht den Konflikt mit den Koalitionspartnern CDU und FDP. | |
„Wir sind an einem Punkt angekommen, wo wir handeln müssen“, sagte die | |
flüchtlingspolitische Sprecherin der Grünen-Landtagsfraktion, Aminata | |
Touré. Die Sicherheitslage in Afghanistan rechtfertige keinerlei | |
Abschiebungen. Touré berief sich auf einen Passus aus dem Koalitionsvertrag | |
von CDU, Grünen und FDP, der jetzt greife. | |
## Offen, wie Konflikt im Norden ausgeht | |
In dem Vertrag heißt es: „Bei Rückführungen in Staaten mit besonders | |
unübersichtlicher Sicherheitslage, wie derzeit Afghanistan, wird in jedem | |
einzelnen Fall das zuständige Ministerium prüfen, ob eine Rückkehr nach | |
humanitären Gesichtspunkten zu verantworten ist. (…) In Zweifelsfällen | |
werden wir der Humanität Vorrang vor der Rückführung einräumen.“ | |
Ein Sprecher des Innenministeriums sagte zu Tourés Vorstoß: Abschiebungen | |
seien als letzte verbleibende Maßnahme im Ausländerrecht immer von | |
Gerichten überprüfbare Einzelfallentscheidungen, bei denen die | |
Sicherheitslage vor Ort eine entscheidende Rolle spiele und mittlerweile | |
auch die Auswirkungen der Pandemie zu berücksichtigen seien. An dieser | |
Praxis halte Schleswig-Holstein fest. | |
Grün gegen CDU und FDP – wie der Konflikt in der Jamaika-Koalition im | |
Norden ausgeht, ist offen. | |
Eigentlich ist vor allem der Bund für die Abschiebungen zuständig. Ein | |
Lagebericht des Auswärtigen Amtes liefert die Entscheidungsgrundlage für | |
die Länder. Darin wird die Lage nach taz-Informationen allerdings geschönt | |
dargestellt. „Deshalb stehen Heiko Maas und die Bundesregierung in der | |
Pflicht, diesen Bericht endlich an die aktuelle Lage nach dem | |
internationalen Truppenabzug anzupassen“, sagte Amtsberg. | |
## Angst vorm Stammtisch | |
Diese Forderung der Grünen ist nicht neu: Baden-Württembergs | |
Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) bat den damaligen | |
Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) bereits im Februar 2017 in einem Brief | |
um eine aktualisierte Bewertung der Sicherheitslage in Afghanistan – ohne | |
Erfolg. Allerdings belassen es die Grünen bei der freundlichen Bitte. In | |
anderen Bundesländern scheuen sie davor zurück, das Thema so hochzuziehen, | |
wie es die Schleswig-Holsteinerin Touré jetzt tut. | |
Einen Hebel haben sie aber: Laut Paragraph 60a des Aufenthaltsgesetzes | |
können die obersten Landesbehörden einen befristeten Abschiebestopp | |
anordnen – „aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen“. Erst ab e… | |
Zeitraum von mehr als sechs Monaten muss laut Gesetz Einvernehmen mit dem | |
Bundesinnenministerium hergestellt werden. | |
Das heißt: Die Grünen, die im Bund den sofortigen Abschiebestopp fordern, | |
könnten über ihre Regierungsbeteiligungen in den Ländern in einer | |
konzertierten Aktion zumindest eine befristete Aussetzung der Rückführungen | |
durchsetzen. Genau das fordert Pro Asyl. „Wenn der Bund nicht handelt, dann | |
stehen die Bundesländer in der Pflicht und haben auch die konkrete | |
Möglichkeit, einen Abschiebungsstopp zu erlassen“, sagte Wiebke Judith der | |
taz, rechtspolitische Referentin bei Pro Asyl. | |
Im Moment sieht es allerdings nicht danach aus. „Bei dem Thema gibt es | |
wenig zu gewinnen“, heißt es bei den Grünen. Dabei spielt die jeweilige | |
Koalitionsräson eine Rolle, aber auch das Argument, dass befristete | |
Aussetzungen über die Länder keine nachhaltige und einheitliche Lösung | |
sind. Vor allem aber wissen wichtige Regierungsgrüne, wie populär | |
Abschiebungen von Straftätern in der Bevölkerung sind. Keiner will es sich | |
mit dem Stammtisch verscherzen. | |
Es bleibt die nächste Innenministerkonferenz, auf die Amtsberg hofft. Sie | |
ist für Anfang Dezember angesetzt. | |
5 Aug 2021 | |
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## AUTOREN | |
Ulrich Schulte | |
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