# taz.de -- Tarifkonflikt bei der Bahn: Schon auf Streiken eingestellt | |
> Die Urabstimmung der Lokführer endet. Dabei geht es nicht nur um Lohn. Im | |
> Hintergrund schwelt der Konflikt mit der Eisenbahnergewerkschaft. | |
Bild: Eine Mehrheit der GDL-Mitglieder pro Streik gilt als sicher | |
BERLIN taz | Bahnreisende und Pendler müssen ab dieser Woche mit Streiks | |
der Lokführer rechnen. Am Dienstag will [1][der Chef der | |
Lokführergewerkschaft GDL] das Ergebnis einer Urabstimmung über den | |
Arbeitskampf bekannt geben. Eine ausreichende Mehrheit der Mitglieder gilt | |
als gesichert. Anschließend könnte es schnell zu Behinderungen im | |
Schienenverkehr, zu Verspätungen oder Zugausfällen kommen. Denn es reichen | |
wenige stillgelegte Züge an strategisch wichtigen Punkten, um den Fahrplan | |
großflächig durcheinander zu bringen. | |
Die Arbeitgeber haben kein Verständnis für das Vorgehen. „Es gibt null | |
Notwendigkeit für einen Streik“, sagt Personal-Vorstand Martin Seiler und | |
fordert die GDL auf, den Konflikt auf dem Verhandlungsweg zu lösen. Doch | |
die Gewerkschaft erkennt keinen Einigungswillen auf Seiten der Arbeitgeber | |
und wirft Seiler anhaltendes „Tricksen und Täuschen“ vor. Die Bahn wolle | |
eine kritische Gewerkschaft mundtot machen. | |
Die Lage ist so verfahren wie schon lange nicht mehr. Es geht zwar | |
vordergründig nur um eine Lohnrunde. Die GDL fordert 3,2 Prozent höhere | |
Entgelte und einen Corona-Bonus von 600 Euro für ihre Mitglieder. Die Bahn | |
bietet zwar die 3,2 Prozent, will dafür aber eine lange Laufzeit von 40 | |
Monaten für den Tarifvertrag durchsetzen und auch keinen Bonus zahlen. Dazu | |
geht es um Regelungen für die Altersvorsorge oder Jobtickets und | |
Beschäftigungszusagen. [2][Die Spielräume der Bahn sind angesichts der | |
finanziellen Lage des Konzerns gering]. Corona hat 2020 und auch in diesem | |
Jahr Milliardenverluste verursacht. Das Unternehmen hat im Gegenzug für | |
Staatshilfen massive Einsparungen zugesagt, die unter anderem von den | |
Beschäftigten geschultert werden sollen. | |
## Es geht um die Verhandlungsmacht | |
Im Hintergrund schwelen zwei weitere fundamentale Konflikte, die | |
Kompromisse erschweren. Die GDL befürchtet den Verlust ihrer | |
Verhandlungsmacht, weil bei der Bahn seit Jahresbeginn das | |
Tarifeinheitsgesetz angewendet wird. Es besagt, dass in jedem Betrieb nur | |
der Tarifvertrag der größten Gewerkschaft gilt. Das ist bei den rund 300 | |
Betrieben der Bahn in der Regel der der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft | |
(EVG). In gut 70 Betrieben sind beide Organisationen vertreten. Nur in 16 | |
davon hat die Bahn die GDL als führend bestätigt. Wie die Machtverhältnisse | |
tatsächlich sind, ist nicht bekannt, weil die Mitgliederzahlen nicht | |
offengelegt werden müssen. Ein Vertrag, der die Koexistenz zweier | |
Tarifverträge regelt, ist Ende letzten Jahres ausgelaufen. Die GDL sieht | |
sich an den Rand gedrängt. | |
Das Tischtuch zwischen den beiden Gewerkschaften ist schon lange | |
zerschnitten. Das ist der zweite Konflikt, der diese Tarifrunde | |
überschattet. Im vergangenen Herbst hat die GDL der EVG offen den Kampf um | |
die Vorherrschaft bei der Bahn angesagt. Konkret will sie nicht mehr nur | |
Lokführer und Zugbegleiter vertreten, wie es bisher der Fall ist. Sie will | |
der EVG auch in den Instandhaltungswerken und anderen direkt zum | |
Bahnverkehr zählenden Betrieben Mitglieder abjagen. Die Stimmung zwischen | |
den Gewerkschaftsmitgliedern ist angespannt. Die EVG beklagt etliche | |
Übergriffe auf ihre Mitglieder, bis hin zu einer anonym gesandten | |
Gewehrkugel an einen ihrer Betriebsräte. | |
Die komplizierte Gemengelage lässt einen langen Arbeitskampf befürchten. | |
Die Lokführer gelten diesbezüglich als verschworene Truppe. Die Arbeitgeber | |
deuten an, auch eine längere Auseinandersetzung in Kauf zu nehmen. | |
Womöglich springen Gerichte dem Unternehmen zur Seite. Wahrscheinlich wird | |
die Bahn versuchen, Streiks als unverhältnismäßig verbieten zu lassen. Ob | |
das gelingt, ist fraglich. | |
9 Aug 2021 | |
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## AUTOREN | |
Wolfgang Mulke | |
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