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# taz.de -- Boxerinnen im Aufschwung: Keimling im Sumpf
> Nadine Apetz kämpft zum Abschluss ihrer Karriere als erste deutsche
> Boxerin bei Olympia. Ihre Niederlage ist dabei Teil eines umfassenderen
> Sieges.
Bild: Knappe Niederlage: Nadine Apetz (rot) aus Deutschland verliert gegen Lovl…
Für ihre letzten Worte nach dem Wettkampf erhielt [1][Nadine Apetz]
herzhaften Applaus. Höchstwahrscheinlich hatten die klatschenden
japanischen Volunteers am Rande der Interviewzone nicht ein Wort
verstanden. Aber um die Emotionen, die hier zum Ausbruch kamen, zu
verstehen, brauchte man keine Sprachkenntnisse. Immer wieder versagte der
deutschen Boxerin die Stimme, und auch den Kampf gegen die Tränen konnte
sie nicht gewinnen.
Äußerst knapp war sie zuvor ihrer indischen Gegnerin Lovlina Borgohain in
ihrem ersten olympischen Kampf unterlegen gewesen. Zwei der fünf
Kampfrichter hatten in allen drei Runden sie als Siegerin gesehen, aber das
reicht nun mal nicht. Apetz selbst hatte jede Runde des Kampfes im
Weltergewicht anders gesehen.
In der ersten habe sie mit viel Respekt gekämpft, in der zweiten habe sie
sich wohl gefühlt und in der dritten das Gefühl, eigentlich genug Druck zu
machen. „Manchmal kommt es ein bisschen auf die Präferenz der Ringrichter
an, ob sie die Defensive oder die Offensive besser finden“ Wenn es eng
wird, ist es beim Boxen eben auch Geschmackssache, wem der Sieg
zugesprochen wird. Zur Folge hatte dies für Apetz, dass ihr
Olympia-Auftritt schon nach neun Minuten vorüber war.
## „Eine Riesenenttäuschung“
„Die Riesenenttäuschung“ allein war aber nicht der Grund, warum Apetz mit
ihrer Fassung rang. Sie war keine schlechte Verliererin. Sie stellte klar:
„Es war keine Fehltentscheidung.“ Die 35-Jährige war auch deshalb so
bewegt, weil in der Kokugikan Arena etwas Großes angefangen und etwas
Großes aufgehört hatte.
Es mache sie natürlich stolz, dass sie die erste deutsche Boxerin sei, die
es zu den Olympischen Spielen geschafft habe, sagte sie. Zum anderen
realisierte sie in diesem Moment, den letzten Kampf auf großer Bühne
geboten zu haben und das noch auf der „größten Bühne im Sport überhaupt�…
Sie sagte: „Seit 2014 habe ich alles ins Boxen gesteckt, viel Schweiß,
Tränen, Blut, Zeit, viele Opfer gebracht. Da fällt natürlich jetzt schon
einiges ab.“
Nun will sie endlich ihre Doktorarbeit in Neurowissenschaften schreiben und
nur noch „hobbymäßig“ die Handschuhe anziehen.
## Korrupter Weltverband
Als die Kölnerin ihr Studium begann, suchte sie nach einem Ausgleichssport
und fing im Alter von 21 Jahren mit dem Boxen an. Das sind nicht unbedingt
die klassischen Daten einer Olympiakarriere. Aber an der Geschichte von
Apetz lässt sich auch kurz die Entwicklung des Frauenboxens in dieser Zeit
skizzieren. Als sie erstmals Boxhandschuhe anzog, war Frauenboxen noch
nicht einmal olympisch. Die Premiere mit 12 Boxerinnen gab es erst bei den
Spielen in London 2012. In Tokio sind nun 100 Boxerinnen und 288 Boxer am
Start, und bei den Spielen 2024 strebt man ein in etwa ausgeglichenes
Verhältnis an.
Für den Weltverband Aiba ist die späte und nicht ganz freiwillige
Entdeckung der Gleichstellungsfrage zugleich vielleicht die letzte Chance,
das arg ramponierte Image aufzubessern, um nicht in völlige Ungnade beim
IOC zu fallen und damit auch aus dem olympischen Programm. Wegen höchst
korruptionsverdächtiger Kampfrichter-Entscheidungen bei den Olympischen
Spielen in Rio hat der IOC seine Fördergelder für die Aiba eingefroren und
die Organisation des Olympiaturniers in Tokio selbst übernommen.
Zudem wurden 34 Startplätze gestrichen, nur der noch mehr
Skandalgeschichten zu bietende Verband der Gewichtheber musste größere
Kürzungen hinnehmen. Die Wahl von Umar Kremlev zum Aiba-Präsidenten im
Dezember vergangenen Jahres ließ den Argwohn gegenüber dem Boxweltverband
nicht unbedingt kleiner werden. Sein Versprechen, die 16 Millionen Schulden
der Aiba im Erfolgsfalle zu begleichen, hatte den Russen ins Amt gebracht.
Seitdem spricht er unentwegt davon, im Zuge eines Reformprozesses die Aiba
zu einem der besten Sportverbände auf der Welt zu formen. Nur hat er selbst
in der Zeit der schmutzigen Deals im Exekutivkomitee der Aiba einen Posten
gehabt.
Den Wert des Frauenboxens kann man in dieser Lage für den Weltverband gar
nicht hoch genug einschätzen. Aber der Nachholbedarf ist groß. Das sieht
man auch am Beispiel des Deutschen Boxsport-Verbands. Derzeit genießen 54
Männer und 15 Frauen im Bundeskader eine besondere Förderung durch den
Verband, der Frauenboxen erst 1995 auf einer Sitzung mit knapper Mehrheit
überhaupt erlaubte.
Seither hat sich zwar manches getan, aber in den letzten Jahren tun sich
auch immer wieder Abgründe im deutschen Frauenboxen auf. Nachdem eine
Leistungsboxerin ihren Hamburger Trainer wegen sexuellen Missbrauchs
anzeigte, gründeten ein paar Boxerinnen die Kampagne [2][„Coach, don’t
touch me“], weil sie auf ein strukturelles Problem aufmerksam machen
wollten. Am Heidelberger Stützpunkt wurde gegen drei Trainer wegen
sexueller Übergriffe ermittelt. Zwei Verfahren wurden im Frühjahr mit der
Begründung eingestellt, dass man die Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung
als gering einstuft.
In Tokio sprach Apetz, also die vom großen Ende und Anfang so
emotionalisierte wieder unter Tränen die Hoffnung aus, mit dem späten
Höhepunkt ihrer Karriere vielleicht die eine oder andere inspiriert zu
haben, mit dem Boxen anzufangen und „in ihre Fußstapfen zu treten“.
Spätestens nachdem die deutschen Boxerinnen bei der WM 2018 zwei Medaillen
gewonnen hätten, sei man „auf dem Zettel“ des Verbandes. Wir haben es
verdient, dass man uns ebenbürtig fördert.“
Vielleicht würde ja 2024 bei den Olympischen Spielen in Paris eine deutsche
Boxerin eine Medaille holen.
27 Jul 2021
## LINKS
[1] https://www.youtube.com/watch?v=jToX7tjCPOQ
[2] https://pinkstinks.de/coach-dont-touch-me/
## AUTOREN
Johannes Kopp
## TAGS
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