| # taz.de -- Fragen und Antworten zur Pegasus-Affäre: Pferde haben Flügel, Han… | |
| > Mit der Spionagesoftware Pegasus sollen weltweit Journalist*innen und | |
| > Oppositionelle ausgespäht worden sein. Die wichtigsten Fragen und | |
| > Antworten. | |
| Bild: Tablet vorm Kopf? Schlimmer ist, wenn das Gerät abgehört wird | |
| Spionage, Staatskrise, Skandal … war da was diese Woche los? | |
| Ein internationales Recherchekonsortium hat den weltweiten [1][Einsatz des | |
| Handy-Trojaners Pegasus aufgedeckt]. Seit vergangenem Sonntag enthüllen die | |
| beteiligten Medien mehr und mehr Details. | |
| Worin besteht der Skandal? | |
| Die Spionagesoftware Pegasus ist offiziell Geheimdiensten und | |
| Strafverfolgungsbehörden vorbehalten, um Terroristen oder Kriminelle | |
| ausspionieren. Nun aber hat sich gezeigt: Autoritäre Regime in Staaten wie | |
| Aserbaidschan, Saudi-Arabien oder Togo nutzen Pegasus, um im großen Maßstab | |
| Journalist*innen, Menschenrechtler*innen und auch Politiker*innen | |
| auszuspähen. | |
| Was kann Pegasus? | |
| Viel, sehr viel sogar: Ist das Mobiltelefon einer Zielperson infiziert, | |
| kann die spionierende Seite Mails und Chatnachrichten mitlesen, etwa | |
| Whatsapp, Telegram oder Signal. Dokumente können abgegriffen und Fotos | |
| eingesehen werden. Sogar das Mikrofon und die Kamera des Smartphones sollen | |
| aktiviert werden können, ohne dass die Zielperson etwas davon mitbekommt. | |
| Ein Traum für Geheimdienste: Das Opfer kann in Echtzeit ausspioniert | |
| werden. | |
| Wie ist das alles aufgeflogen? | |
| Den Berichten zufolge gab es einen Leak: Eine Liste mit mehr als 50.000 | |
| Telefonnummern wurde an den Pariser Rechercheverein Forbidden Stories | |
| übermittelt. Dabei handelt es sich um Nummern, die Geheimdienste und andere | |
| Stellen für eine mögliche Überwachung mit Pegasus gesammelt haben. Wie | |
| viele der Anschlüsse tatsächlich überwacht wurden, ist nicht bekannt. Nur | |
| auf 67 Telefonen konnte der Einsatz von Pegasus bislang in einem | |
| aufwendigen Verfahren tatsächlich nachgewiesen werden. Forbidden Stories | |
| hat sich für die Enthüllung mit Amnesty International und 80 | |
| Journalist*innen von 17 Medien aus zehn Ländern zusammengetan. Aus | |
| Deutschland waren NDR und WDR sowie Süddeutsche Zeitung und Zeit dabei. | |
| Was sagen die 50.000 geleakten Nummern aus? | |
| Wir wissen bei einem Teil der Nummern, wer ausgespäht werden sollte, da | |
| rund 1.000 Nummern einer konkreten Person zugeordnet werden konnten. | |
| Darunter waren zum Beispiel mehr als 180 Journalist*innen von namhaften | |
| Medien wie Reuters, New York Times, Al Jazeera und CNN. Auch | |
| Reporter*innen der großen indischen Zeitung The Wire waren dabei. | |
| Und wer hat da mitgelesen? | |
| Das ist der Haken an der Sache: Der Leak selbst sagt darüber nichts aus, | |
| aber die Nummern geben Hinweise. Forbidden Stories nennt elf Länder, deren | |
| Geheimdienste wahrscheinlich Pegasus genutzt haben: Aserbaidschan, Indien, | |
| Kasachstan, Mexiko, Marokko, Ruanda, Togo, Saudi-Arabien, Bahrain, die | |
| Emirate – und Ungarn. | |
| Ungarn? | |
| Ja. Ungarn ist EU-Mitglied und in Sachen Rechtsstaatlichkeit ist ohnehin | |
| schon dicke Luft zwischen Budapest und Brüssel. Nun steht Ungarn auch noch | |
| im Verdacht, Regierungsgegner*innen, Geschäftsleute und | |
| Investigativrepoter*innen ausspioniert zu haben. Auf der Liste | |
| standen mehr als 300 ungarische Kontakte. Sechs ungarische Telefone konnten | |
| sich IT-Expert*innen genauer anschauen und drei davon waren mit Sicherheit | |
| mit Pegasus infiziert – darunter zwei Telefone von Reportern des | |
| Investigativmediums Direkt36. Sie sind offenbar im Visier staatlicher | |
| Stellen gewesen. | |
| Was sagt Ungarns Regierung dazu? | |
| Justizministerin Judit Varga sagte: „Lasst uns nicht lächerlich sein. Jedes | |
| Land braucht solche Mittel.“ Außenminister Péter Szijjártó dagegen | |
| erklärte, der ungarische Geheimdienst nutze Pegasus „überhaupt nicht“. | |
| Dabei bezog er sich aber nur auf einen von fünf ungarischen Geheimdiensten. | |
| Ob andere Behörden NSO-Kunden sind, blieb offen. | |
| Wer hat Pegasus entwickelt? | |
| Die NSO Group, ein israelisches Privatunternehmen, das seinen Sitz in der | |
| Mittelmeerstadt Herzlia hat, wo viele Start-ups und Hightechunternehmen | |
| angesiedelt sind. Die NSO Group ist auf Spähsoftware spezialisiert und hat | |
| Pegasus entwickelt. | |
| Also steckt der Mossad dahinter? | |
| Nein, das ist ein gefährliches Klischee. Aber wenn Unternehmen | |
| problematische Produkte exportieren, hat der Staat eine Mitverantwortung. | |
| So wie die Bundesregierung mitverantwortlich ist, wenn deutsche Waffen im | |
| Jemenkrieg eingesetzt werden (oder in Syrien, Ägypten oder Mexiko). Israel | |
| ist also nicht unbeteiligt, wenn die NSO Group eine Cyberwaffe an ein | |
| autoritäres Regime liefert, das diese dann – Überraschung – „missbrauch… | |
| und gegen politische Gegner einsetzt. | |
| Nach welchen Kriterien exportiert Israel Cyberwaffen? | |
| Das Verteidigungsministerium in Jerusalem muss den Export von Spähsoftware | |
| genehmigen, aber die Kriterien sind offenbar lasch. Die israelische Zeitung | |
| Haaretz, die Teil des Pegasus-Rechercheprojekts war, erhob am Dienstag den | |
| Vorwurf, dass die Regierung von Exministerpräsident Benjamin Netanjahu | |
| sogar eine Rolle spielte in der Vermarktung des NSO-Produkts Pegasus. | |
| Haaretz stellte einen Zusammenhang her zwischen Besuchen Netanjahus in | |
| Begleitung israelischer Geschäftsleute in Ländern wie Ungarn, Ruanda und | |
| Aserbaidschan und dem späteren Einsatz von Pegasus in diesen Ländern. Der | |
| Verdacht: Netanjahu bot Pegasus im Gegenzug für politische Gefälligkeiten | |
| proaktiv an. | |
| Wurde Frankreichs Präsident Emmanuel Macron auch abgehört? | |
| [2][Dass Marcon ausspioniert wurde], ist nicht sicher. Doch eine seiner | |
| Mobilfunknummern fand sich unter den geleakten Kontakten. Auch andere | |
| Regierungsmitglieder waren laut der Zeitung Le Monde potentielle | |
| Ausspähziele. Außerdem standen rund 30 französische Medienschaffende auf | |
| der Liste. In diesem Fall stehen aber nicht französische Dienste im | |
| Verdacht, sondern der marokkanische Geheimdienst. Deshalb hat sich die | |
| Affäre in diesem Fall zu einer diplomatischen Krise entwickelt. [3][Marokko | |
| erklärte] allerdings, mit der Sache nichts zu tun zu haben. | |
| Und was folgt auf den Pegasus-Skandal? | |
| Wahrscheinlich wenig. Was folgte auf den NSA-Skandal im Jahr 2013? | |
| Untersuchungsausschüsse, Strafanzeigen und Zusicherungen einzelner Staaten, | |
| sich nicht gegenseitig auszuspionieren – aber ein fundamentaler Wandel hat | |
| nicht stattgefunden. Auch diesmal dürfte es Anzeigen, Untersuchungen und | |
| Diskussionen geben. In Frankreich etwa hat Präsident Macron erklären | |
| lassen, er nehme die Angelegenheit „sehr ernst“. Eine Sondersitzung im | |
| Élyséepalast soll sich mit der Affäre beschäftigen. In Ungarn haben | |
| Oppositionsabgeordnete eine Untersuchung gefordert. [4][In Israel] wird | |
| einem Axios-Bericht zufolge ein Spezialteam gebildet, das mögliche | |
| diplomatische Krisen managen soll, die aus dem Skandal entstehen. Die NSO | |
| Group wird möglicherweise – auch auf Druck der neuen israelischen Regierung | |
| – die Kooperation mit den problematischsten Kunden, etwa mit Saudi-Arabien, | |
| einstellen oder zurückfahren. | |
| Aber? | |
| Pegasus bleibt die derzeit leistungsfähige Spähsoftware. Die NSO Group will | |
| sie weiterhin verkaufen und die israelische Regierung hat ein | |
| wirtschaftliches und strategisches Interesse, dass sie dies auch tut. Auch | |
| Pegasus-Kunden wird es weltweit genügend geben, selbst wenn einige Staaten | |
| vielleicht künftig wegfallen. Interessant ist ja, dass offenbar vor allem | |
| Regierungen an Pegasus interessiert sind, die anders als etwa die USA | |
| selbst nicht in der Lage sind, hochmoderne Cyberwaffen zu entwickeln. | |
| Gab ’s nicht auch einen Zusammenhang mit der Ermordung des saudischen | |
| Journalisten Jamal Khashoggi? | |
| Ja, auch das Umfeld des 2018 vermutlich vom saudischen Regime ermordeten | |
| Journalisten Jamal Khashoggi wurde ausspioniert. Den Pegasus-Recherchen | |
| zufolge wurde das Mobiltelefon von Hatice Cengiz, der Verlobten Khashoggis, | |
| vier Tage nach dem Mord mit Pegasus angegriffen. | |
| Und Mexiko? | |
| Mexiko ist im Fokus der Recherchen, denn 15.000 der insgesamt 50.000 | |
| Telefonnummern waren Kontakte aus dem Land. Das Umfeld des heutigen | |
| mexikanischen Präsidenten Andrés Manuel López Obrador, der damals noch in | |
| der Opposition war, stand auf der Liste der möglichen Zielpersonen. | |
| Außerdem ist herausgekommen, dass der investigative Journalist Cecilio | |
| Pineda 2017 auf die Liste gesetzt wurde. Nur wenige Wochen bevor er | |
| ermordet wurde. Er hatte zu Verbindungen zwischen der mexikanischen Polizei | |
| und einem Drogenboss recherchiert. | |
| Was sagt eigentlich die NSO Group zu den Enthüllungen? | |
| Die gibt sich erstaunlich angriffslustig. Die Liste mit den 50.000 Nummern | |
| habe nichts mit ihr zu tun. Wie Haaretz am Donnerstag berichtete, warf sie | |
| den beteiligten Medien sogar wissentlichen Betrug vor. Die Liste sei wie | |
| zufällig aus dem Telefonbuch zusammengesammelt und habe keinerlei faktische | |
| Grundlage – eine recht forsche Reaktion vor dem Hintergrund, dass weltweit | |
| renommierte Medien an den Recherchen beteiligt waren. | |
| 24 Jul 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Jannis Hagmann | |
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