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# taz.de -- Gesetz gegen Genozid-Leugnung: Bosniens Serben kündigen Boykott an
> In Bosnien-Herzegowina drohen künftig mehrjährige Haftstrafen für die
> Leugnung von Kriegsverbrechen. In der Republik Srpska regt sich
> Widerstand.
Bild: Wo Genozid sichtbar wird: die Gedenkstätte Potočari nahe Srebrenica
Sarajevo taz | Scharfe Reaktionen auf serbischer Seite löste ein [1][Gesetz
des Hohen Repräsentanten] der internationalen Gemeinschaft in Bosnien und
Herzegowina aus, das die Leugnung von Kriegsverbrechen unter Strafe stellt.
Der Österreicher Valentin Inzko hatte nach langem Zögern am Freitag
entschieden, die [2][Leugnung und Verherrlichung von Kriegsverbrechen],
Genozid und Verbrechen gegen die Menschlichkeit mit Gefängnisstrafen zu
ahnden.
Die Nachricht darüber schlug in Banja Luka, Hauptstadt der serbischen
Teilrepublik Republik Srpska, wie eine Bombe ein. Vertreter aller Parteien
der bosnischen Serben kündigten am Montag einen Boykott aller wichtigen
Institutionen an, der deren Arbeit de facto blockiert. Bosnien setzt sich
aus der Republik Srpska und der bosniakisch-kroatischen Föderation
zusammen. Sie sind in der Präsidentschaft, dem Parlament und der Regierung
vertreten. Am Dienstagmorgen war das gesamtstaatliche Parlament in Sarajevo
verwaist.
Dabei war es ja vor allem das Verhalten der serbischen Nationalisten im
Parlament der Republik Srpska, das Inzko keine Wahl ließ, so zu
entscheiden. Jahrelang hatte Inzko während seiner mehr als 10-jährigen
Amtszeit versucht, eine Gesetzesänderung in den Parlamenten des Staates
durchzusetzen. Aber seine Bemühungen wurden von den serbischen, aber auch
von Nationalisten anderer Volksgruppen, blockiert. Denn das Gesetz richtet
sich gegen Geschichtsklitterungen aller Seiten.
Immerhin wurde die Entscheidung Inzkos in den nichtserbischen Teilen
Bosniens mit Freude aufgenommen. „Die Leugner des Genozids gehen ins
Gefängnis“, frohlockte die größte Zeitung des Landes Dnevni Avaz.
Zivilgesellschaft und Opferverbände konnten kaum glauben, dass ihre
langjährige Forderung in Erfüllung gegangen war. Bei den internationalen
Diplomaten in Sarajevo dagegen löste die Entscheidung Inzkos gemischte
Gefühle aus.
Man befürchtet, dass es nun zu noch größeren Spannungen kommen könnte.
Inzko sprach gegenüber der taz von einem großen „Druck“, der auf ihn im
Vorfeld der Entscheidung ausgeübt worden sei, er blieb aber bei seiner
Position und habe das Gesetz aus eigener Macht mit den sogenannten
Bonn-Powers durchgesetzt.
Es ginge nicht an, dass die jahrzehntelangen Untersuchungen durch das
Kriegsverbrechertribunal in Den Haag entwertet würden, so Inzko. Die
Propagierung von konspirativen Theorien bis hin zur Aussage, die Verbrechen
in Srebrenica und anderen Orten habe es gar nicht gegeben, werde zunehmend
von einfachen Bürgern im serbischen Teilstaat geglaubt, heißt es in der
Erklärung zu seiner Entscheidung.
## Neuer Hass und neue Gewalt?
Dies könne nur zu Hass und neuer Gewalt führen, denn die
[3][Geschichtslügen manipulierten die Menschen]. Das würde eine nachhaltige
Versöhnung und die Zukunft des Landes verbauen. Deshalb habe er sich
entschlossen, die Bonn-Powers anzuwenden, saget Inzko gegenüber der taz.
Seit dem [4][Friedensvertrag von Dayton 1995] sollten die Hohen
Repräsentanten die Umsetzung dieses Vertrages überwachen und anleiten. Die
Bonn-Powers ermöglichen es dem Hohen Repräsentanten, Entscheidungen
durchzusetzen, wenn die lokalen Parteien auf der Grundlage des
komplizierten Staatsaufbaues nicht in der Lage sind, Entscheidungen zu
fällen oder Kompromisse zu schließen.
Vor allem zu Beginn der 2000er Jahre war es dem Briten Paddy Ashdown als
Hohem Repräsentanten mit Hilfe der Bonn-Powers gelungen, Reformen
durchzusetzen und Nationalisten von ihren Posten zu entfernen. Danach
verzichtete die internationale Gemeinschaft auf die Anwendung dieses
Instruments.
Doch jetzt, kurz vor seinem Ausscheiden am 1. August, hat Inzko dieses
Machtinstrument wieder genutzt. Während viele Diplomaten Inzko
kritisierten, erklärte die Balkanexpertin Marion Kraske, er habe sich damit
ein Denkmal gesetzt. Auch der ehemaligen Hohe Repräsentant [5][Christian
Schwarz-Schilling] (2006–2007) beglückwünschte ihn. Der Nachfolger Inzkos
als Hoher Repräsentant, der CSU-Politiker Christin Schmidt, gab angesichts
der Turbulenzen keine Stellungnahme ab.
27 Jul 2021
## LINKS
[1] /Hoher-Repraesentant-in-Bosnien-Herzegowina-greift-durch/!5789011
[2] /26-Jahre-nach-dem-Genozid-von-Srebrenica/!5784863
[3] /25-Jahrestag-des-Massakers-in-Srebrenica/!5694151
[4] /25-Jahre-Abkommen-von-Dayton/!5725704
[5] /Christian-Schwarz-Schilling-wird-90/!5729971
## AUTOREN
Erich Rathfelder
## TAGS
Kriegsverbrechen
Genozid
Srebrenica
Bosnien und Herzegowina
Republika Srpska
Bosnien-Herzegowina
Bosnienkrieg
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Srebrenica
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